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Eine Frage des Überlebens

Tourismusunternehmen im Kampf gegen HIV/Aids


An der vorderen Wand werben Plakate für Abenteuer in der Natur und einen fairen Tourismus. An der Rückwand des kleinen Veranstaltungsraums informieren Poster über die verheerenden Wirkungen des Drogenkonsums. Die Arbeit von "Stormsriver Adventures" hat zwei Seiten. Das südafrikanische Unternehmen in Stormsriver hat sich mit Canopy-Touren im Tsitsikamma-Nationalpark einen Namen gemacht. Zugleich ist es einer der Vorreiter des Fairen Handel(n)s im Tourismus in Südafrika.

Was das konkret bedeutet, erfahren die Gäste auf einem weiteren Plakat im Restaurant nebenan. Dort ist aufgeschlüsselt, was mit dem Geld passiert, das ein Gast für eine Tour mit "Stormsriver Adventures" ausgibt. Ein Prozent davon fließt in den Kampf gegen HIV/Aids – eine der größten Herausforderungen für das Tourismusunternehmen.

"Man kann nicht über nachhaltigen Tourismus sprechen, ohne auch über HIV/Aids zu sprechen", meint auch Paul Miedema von "Calabash Tours" – "jedenfalls nicht in Südafrika". Das Land leidet unter einer der größten HIV-Epidemien weltweit. 2009 waren etwa 30 Prozent der schwangeren Frauen, die im Rahmen der vorgeburtlichen Betreuung auf HIV getestet wurden, HIV-positiv. Eine breiter angelegte Erhebung aus dem Jahr 2008, die sich auf die gesamte südafrikanische Bevölkerung ab zwei Jahren erstreckte, ergab eine Prävalenz von 10,9 Prozent. In der Altersgruppe der 15 bis 49jährigen lag die geschätzte HIV-Prävalenz mit 16,9 Prozent deutlich darüber.

"Seit 13 Jahren arbeiten wir in den Townships von Port Elizabeth und die Auswirkungen von Aids werden immer sichtbarer", erzählt Paul Miedema. "Wir sehen Lehrerinnen und Künstler sterben, Menschen, mit denen wir zusammengearbeitet haben. Wir leben hier mit HIV, es ist Teil unseres Alltags. So berufen wir zum Beispiel an Samstagen keine Mitarbeitertreffen ein, denn viele Leute gehen samstags zu Beerdigungen."

Nicht-Diskriminierung und offene Türen

Für Unternehmen in Südafrika ist der Umgang mit HIV/Aids eine Notwendigkeit. HIV/Aids bedroht das Wohlergehen der Mitarbeiter und verringert die Produktivität und Ertragskraft – zusätzlich zu dem menschlichen Leid, das damit verbunden ist. Deshalb ist es selbstverständlich, dass in Südafrika proaktive Maßnahmen zu HIV/Aids auch zu den Kriterien für eine "Fair Trade"-Zertifizierung im Tourismus gehören.

Nicht-Diskriminierung am Arbeitsplatz und eine "Unternehmenspolitik der offenen Türen" gehören zu den Mindestanforderungen. Hinzu kommt, dass die Probleme mit HIV/Aids offen thematisiert werden müssen. Bei "Stormsriver Adventures" arbeitet HIV/Aids-Berater Abel mit DVDs, die von Organisationen wie der "Treatment Action Campaign" zur Verfügung gestellt werden. Der Umgang mit Drogen ist für ihn ein Ansatzpunkt, das noch immer schwierige Thema mit den Angestellten anzusprechen. Oder es geht um "gesunde und ungesunde Beziehungen", um Gewalt, Alkohol oder Tuberkulose. Die Anknüpfungspunkte auf den regelmäßig stattfindenden Mitgliederversammlungen sind ebenso komplex wie die Problematik.

"Ich weiß" – oder will es nicht wissen

Noch immer ist HIV/Aids mit einem Stigma behaftet. Lee Harris vom Backpacker-Hostel "The Backpack" in Kapstadt beschreibt das Problem, vor dem auch die anderen Unternehmen stehen: "Niemand verliert bei uns seinen Job, wenn er seinen HIV-Status offenlegt, doch kaum jemand tut es". Viele Mitarbeiterinnen wissen nicht, ob sie infiziert sind, und sie wollen es auch nicht wissen. Die Unternehmen ermutigen ihre Angestellten, sich testen zu lassen. "Stormsriver Adventures" setzte zeitweise "I know"-Anstecker ein, mit denen die Mitarbeiter sich gegenseitig ermutigten, sich freiwillig testen zu lassen. Denn nur wer selber weiß, dass er infiziert ist, kann zu einem frühen Zeitpunkt antiretrovirale Medikamente einnehmen – Medikamente, die wesentlich dazu beitragen, dass eine HIV-Infektion heute kein Todesurteil mehr ist.

In den vergangenen Jahren hat sich in Südafrika viel verändert: von einer Politik der Verleugnung hin zu einem proaktiven Ansatz unter dem derzeitigen Gesundheitsminister Aaron Motsoaledi. Antiretrovirale Medikamente werden von der Regierung zur Verfügung gestellt, theoretisch für alle Menschen, die sie brauchen. Nach den südafrikanischen Richtlinien für die Behandlung HIV-Infizierter sollte jede Patientin und jeder Patient mit einem Immunstatus von unter 200/µl (gemessen anhand der CD4-Lymphozyten*) mit antiretroviralen Medikamenten versorgt werden. "Doch das ist zu spät", beklagt Paul Miedema. Deshalb hilft "Calabash" Angestellten, die HIV-positiv sind, gegebenenfalls auch schon zu einem früheren Zeitpunkt mit der Behandlung zu beginnen. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist dies spätestens bei einem Immunstatus von 350/µl angezeigt.

Hindernisse für eine effektive Behandlung

Nachdem die südafrikanische Regierung 2010 eine groß angelegte HIV/Aids-Kampagne gestartet hat, steigt die Zahl der Menschen, die sich testen lassen. Schließlich bietet die Regierung auch finanzielle Unterstützung für Menschen mit schlechtem Immunstatus. Das ist eine notwendige finanzielle Absicherung für die Betroffenen, es habe aber auch Kehrseiten, gibt Ashley Wentworth, einer der Unternehmenseigner von "Stormsriver Adventures", zu bedenken. Denn um diese Unterstützung zu bekommen, nähmen einige HIV-Infizierte ihre Medikamente erst einmal so lange nicht ein, bis sich ihr Immunstatus entsprechend verschlechtert hat. Einen weiteren gefährlichen Trend hat HIV/Aids-Berater Abel beobachtet: Ein Bestandteil der antiretroviralen Medikamente lässt sich offensichtlich als Droge zu Geld machen. Ein weiteres Hindernis, das einer wirksamen Behandlung im Wege stehe, sei der verbreitete Glaube an Hexerei. Wer mit einem Fluch belegt wurde, werde eher im Heimatdorf von Verwandten versteckt, als mit antiretroviralen Medikamenten versorgt.

Man kann immer noch mehr tun

Für die Unternehmen führt kein Weg daran vorbei, sich diesen Problemen so aktiv wie möglich zu stellen. "Stormsriver Adventures" ist mit über 40 Mitarbeitern ein ganz wesentlicher Arbeitgeber in dem kleinen Ort. Die meisten Angestellten stammen direkt aus Stormsriver und Umgebung. Viele von ihnen sind sehr jung. Die Aufklärungs- und Beratungsarbeit des Unternehmens beschränkt sich nicht auf die Belegschaft, sondern erstreckt sich auf die gesamte Gemeinschaft. So wird zum Beispiel auch die örtliche Grundschule bei der Aufklärungsarbeit zu HIV/Aids unterstützt.

Auch "Calabash" in Port Elizabeth tut mehr als nur die eigenen Mitarbeiter zu unterstützen. Der Veranstalter vermittelt im Rahmen eines Freiwilligenprogramms erfahrene, oft pensionierte "Volunteers" für einen Zeitraum von mindestens einem Monat in ein Hilfsprojekt für Aids-Kranke, das auf die Betreuung von Aids-Patienten in deren häuslichem Umfeld setzt.

Angesichts der enormen Herausforderungen bleibt nicht aus, dass die Unternehmen trotz ihres großen Engagements Mitarbeiter verlieren, die an Aids und damit zusammenhängenden Krankheiten sterben. Auch die Tuberkulose hat sich zu einem riesigen Problem entwickelt und ist nach offiziellen Statistiken in Südafrika derzeit die Haupttodesursache. Innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte sind hier dreimal mehr Menschen an Tuberkulose erkrankt als zuvor – ein Trend, der auch, aber nicht nur, mit der starken Verbreitung von HIV/Aids zusammenhängt.

*Der Immunstatus zeigt, wie leistungsfähig das Immunsystem einer Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ist. Die so genannten CD4-Lymphozyten oder Helferzellen haben eine zentrale Abwehrfunktion. Sie zeigen an, wie fortgeschritten eine HIV-Erkrankung ist und wie dringend der Therapiebeginn ist. Normale Werte bewegen sich zwischen 500 und 1.000 CD4-Zellen pro Mikroliter (µl), während CD4-Werte unter 200/µl bereits eine deutliche Immunschwäche beschreiben.

(7.375 Anschläge, 98 Zeilen, Dezember 2011)