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Die „Saharisierung" des Mittelmeers

Für eine gemeinsame Agenda zu Klimagerechtigkeit


Der Mittelmeerraum ist eine der Regionen der Welt, wo die Auswirkungen des Klimawandels am deutlichsten spürbar werden. Die Temperaturen steigen bereits und werden ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch weiter zunehmen. Die Region wird heißer als der globale Durchschnitt, mit starken saisonalen Ungleichgewichten und einer Ausbreitung der Wüsten in Richtung des nördlichen Mittelmeeres.

Ein „Weiter wie bisher" würde zu einem Temperaturanstieg von 3,4°C im globalen Durchschnitt führen. Doch im Mittelmeerraum könnte der Anstieg noch um zwei Grad höher liegen und bis zu 5,4°C erreichen. Im besten Fall (der saubere Energien und verbesserte Technologien vorsieht) liegt der Temperaturanstieg mehr als doppelt so hoch wie die Zwei-Grad-Marke, auf die sich die großen Industrienationen zur Stabilisierung des Klimas geeinigt haben. Die Niederschläge werden dagegen abnehmen, insbesondere im Süden der Region. Das wird zu gravierenden Problemen bei der Wasserversorgung der Bevölkerung und der Bodenfruchtbarkeit in der Landwirtschaft führen. Dazu kommt eine große Waldbrandgefahr. Im Jahr 2000 litt bereits mehr als ein Drittel der Bevölkerung der Mittelmeeranrainer (35,2 Prozent) unter Wasserknappheit.

Die Meeresspiegel werden weiter und immer schneller steigen, abhängig davon, was mit den Eiskappen in der Arktis passiert. Wie stark oder schwach auch immer der Anstieg ausfallen wird, er wird die Tourismuswirtschaft an der Küste gravierend beeinflussen und könnte in den dicht besiedelten Gebieten in der Nähe von Flussmündungen enorme Verdrängungsprozesse zur Folge haben.

Demografischer und sozialer Wandel

Ein Drittel der Bevölkerung der Mittelmeerländer lebt in Küstenregionen. Ein erster Indikator für die extreme Anfälligkeit der mediterranen Gesellschaften sind die niedrig gelegenen Küstengebiete, die weniger als zehn Meter über dem Meeresspiegel liegen. Insgesamt leben rund 60 Millionen Menschen in den Küstengebieten des südlichen Mittelmeers und des Nahen Ostens. Diese Zahl könnte bis 2030 auf 100 Millionen ansteigen. Die Region würde, was Naturkatastrophen im Zusammenhang mit dem Klimawandel angeht, die zweitanfälligste der Welt.

Obwohl es im südlichen Mittelmeerraum wichtige mineralische Rohstoffe gibt, vor allem Erdöl und Erdgas, wachsen die Einkommensunterschiede weiter. Die sozialen Ungleichheiten zwischen Arm und Reich nehmen zu, sowohl innerhalb der Gesellschaften am Mittelmeer, als auch zwischen Nord und Süd. Die Auswirkungen des Klimawandels werden zum großen Teil auch vom gesellschaftlichen Zusammenhalt und der Wohlfahrt in den verschiedenen Gesellschaften abhängen. In Notfällen werden die Reichen und die gesellschaftlichen Schichten, die Zugang zu einem staatlichen Sicherheitsnetz haben, besser in der Lage sein, mit der Situation zurechtzukommen. Die Armen und diejenigen mit dem schlechtesten Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem und zu sozialen Sicherungsmechanismen werden stärker zu leiden haben. Sie werden vermutlich die ersten Kandidaten für einen Migrationsexodus unter prekärsten Bedingungen sein.

Wenn der Klimawandel die Wüstenbildung in Afrika südlich der Sahara vorantreibt, gibt es einen noch nie dagewesenen Zustrom von Umweltflüchtlingen vor den Toren Nordafrikas, die, koste es was es wolle, den Garten Eden Europas erreichen wollen. Im Jahr 2006 war der afrikanische Kontinent Heimat von 924 Millionen Menschen. Es wird damit gerechnet, dass die afrikanische Bevölkerung sich bis Mitte des 21. Jahrhunderts mehr als verdoppeln wird, auf fast zwei Milliarden Einwohner.

Von den acht Staaten, deren Bevölkerung sich verdreifachen wird, liegen vier (Niger, Mali, Tschad und Guinea-Bissau) südlich der Sahara – der am stärksten gefährdeten Region Afrikas in Hinblick auf das Klima und natürliche Ressourcen wie Wasser und landwirtschaftliche Fläche. Gibt es in der näheren Zukunft keine technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Revolution, werden viele Afrikaner keine Wahl haben, als nach Norden abzuwandern, über den Maghreb und die Mittelmeerregion. Dadurch steigt das Risiko militärischer Einsätze zur Aufrechterhaltung der Sicherheit im Mittelmeer. In Hinblick auf ihre geostrategische Bedeutung ist der Mittelmeerraum eine der längsten und gefährlichsten Sicherheitslinien zwischen Nord und Süd.

Was wird aus dem Tourismus?

Der Tourismus ist die dominante Wirtschaftsaktivität fast überall am Mittelmeer. 32 Prozent des internationalen Reiseverkehrs fließt in diese Region, rund 300 Millionen Touristen im Jahr 2008. Noch 100 Millionen mehr werden für das Jahr 2025 vorausgesagt. 80 Prozent des Tourismus basieren auf Sonne, Sand und Strandhotels und dieser Trend ist stabil. Doch mit steigenden Temperaturen wird in mittel- und nordeuropäischen EU-Staaten, aus denen die meisten Mittelmeerurlauber kommen, die Reisefreudigkeit stark zurückgehen. Denn aufgrund der Erderwärmung werden die Menschen dort auch zuhause mediterrane Temperaturen genießen können. Die Tage des Küstentourismus, der auf Billigfluglinien setzt, könnten gezählt sein.

Die direkte Bedrohung der Tourismusinteressen in der Region sollte in deutlichem Zusammenhang mit der eigenen Klimaverantwortung der Branche gesehen werden. In einer branchenspezifischen Studie sind die Vereinten Nationen zu dem Schluss gekommen, dass der Tourismus bis zu 14 Prozent der globalen Verantwortung am von Menschen verursachten Klimawandel trägt.

Eine gemeinsame Agenda für Klimagerechtigkeit im Mittelmeerraum

Zum Auslaufen des Kyoto-Protokolls haben die Gesellschaften am Mittelmeer eine unsichere und gefährliche Zukunft vor sich. Sie verfügen weder über die Institutionen noch über Instrumente für eine Zusammenarbeit, die helfen könnten, einen gesellschaftlichen und klimapolitischen Wandel zu fördern, der auf menschliche, demokratische und gesunde Lebensbedingungen der Gesellschaften an den Küsten abzielt. Weder eine nur dem Namen nach bestehende Mediterrane Union noch der historische und gut gemeinte, jedoch rein technische "Blue Plan" der Vereinten Nationen werden ausreichen. Zudem stellt der Mangel an umfangreicher Kooperation zwischen Nichtregierungsorganisationen im Norden und nordafrikanischen Gemeinschaften ein weiteres Hindernis dar.

Man sollte nicht vergessen, wie dringend es ist, alle Anstrengungen zu unternehmen, Klimaschutzpläne zu entwickeln und umzusetzen (zum Beispiel für eine signifikante Verringerung der Treibhausgasemissionen im Luftverkehr und im Tourismus) und Anpassungspläne (zum Schutz der empfindlichsten und anfälligsten mediterranen Gemeinschaften, insbesondere entlang des Küstenstreifens von Nordafrika und Ägypten). Doch die entscheidende Frage in der Region sollte nicht sein "Was können wir tun, um den Klimawandel aufzuhalten?", sondern eher: "Wie wollen wir hier leben?“ Die Vorstellung vom Mittelmeer als gemeinsamem Lebensraum muss unbedingt wiederbelebt werden und die mediterranen Gesellschaften müssen demokratisch gestärkt werden.

Joan Buades ist Mitglied des Teams von Alba Sud, Spanien. Er arbeitet zudem für die Research Group on Sustainability and Territory (GIST) an der Universität der Balearen (UIB) und andere soziale Organisationen.

Dieser Beitrag ist eine gekürzte, überarbeitete Fassung von "The Mediterranean: Caught in the Carbon Microwave: Severe Climate Threat, More Inequality and the end of Coastal Tourism. An overview of global risks in the Mediterranean in the 21st century. Von Joan Buades. AlbaSud, Januar 2012.

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp

(6.920 Zeichen, März 2013)