Der brasilianische Volksheld Chico Mendes hat der Menschheit mindestens ein wichtiges Vermächtnis hinterlassen: das Gesetz zur Schaffung von Schutzgebieten zur nachhaltigen Nutzung – so genannten Extraktivismus- oder Sammlergebieten ("reservas extrativistas" – Resex auf Portugiesisch). Mendes führte in den 1970er/80er Jahren die Gewerkschaft der Kautschukzapfer an, um den reichen Farmern Widerstand entgegenzusetzen, die staatliches Land als Weideland für ihre Rinder nutzten. Er trat für eine nachhaltigere Ressourcennutzung ein. Im Dezember 1988 wurde er von einem der Großgrundbesitzer erschossen.
Heute sind die Resex ein wichtiger Baustein im brasilianischen Schutzgebietssystem. Es sind geschützte Gebiete, die der nachhaltigen Nutzung durch traditionell lebende, meist indigene Bevölkerungsgruppen vorbehalten sind. Gemeinschaften, die in den Wäldern, entlang der Flüsse oder Küsten leben, können Anträge zur Einrichtung eines Resex an die zuständige Regierungsstelle, das Institut Chico Mendes zum Schutz biologischer Vielfalt (ICMBio), stellen. Die Anträge werden sorgsam geprüft, bevor sie dem Präsidenten zur Unterschrift vorgelegt werden. Die Regierung tritt dann die Landnutzungsrechte ab und die Gemeinschaften erhalten kollektive Landnutzungstitel. Die Konzession garantiert den Zugang zu Land und Meer auch für zukünftige Generationen der jeweiligen Gemeinschaft. Ist ein Resex eingerichtet und ratifiziert worden, muss innerhalb von fünf Jahren ein Management-Plan entwickelt werden.
Vergütungsoptionen für Umweltdienste
Die lokalen Gemeinschaften sollten aus CO2-Kompensationsprogrammen Ausgleichszahlungen für die Umweltdienste ihres Resex erhalten. Dadurch ließe sich das Einkommen aus dem Tourismus und traditionellen Aktivitäten wie der Fischerei, der Jagd, der Landwirtschaft und dem Kunsthandwerk ergänzen. Brasilien verfügt bereits über rechtliche Grundlagen für die Vergütung von Umweltleistungen im RESEX. Mit den ersten Projekten wird in der Amazonas-Region derzeit noch experimentiert. In Brasilien könnten CO2-Ausgleichsprogramme den Gemeinschaften sehr nützen und zur Minderung der Armut, zum Schutz der biologischen Vielfalt und zum Klimaschutz beitragen.
Prainha do Canto Verde als Modell für nachhaltige Entwicklung
Das Fischerdorf Prainha do Canto Verde in Ceará im Nordosten Brasiliens ist zu einem klassischen Beispiel für den Widerstand gegen Grundstücksspekulation geworden. Nach einem 25jährigen Kampf vor Ort und vor Gericht fiel die Entscheidung zugunsten der Gemeinschaft. Mit lokaler und internationaler Unterstützung und Vernetzung hat Prainha do Canto Verde Projekte für nachhaltige Fischerei, einen von der Gemeinschaft gesteuerten Tourismus, organische Landwirtschaft und andere nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten entwickelt. 2009 unterschrieb Präsident Lula da Silva den Entscheid zur Schaffung des Resex Prainha do Canto Verde und sicherte damit die Rechte der Gemeinschaft. Das Gebiet umfasst 252 km2, davon 610 Hektar Landfläche. Der Rest ist marines Territorium.
Die Gemeinschaft hat begonnen, die rechtlichen Grundlagen für eine nachhaltige Nutzung zu schaffen. Vor 2009 waren die Richtlinien für Neubauten im Dorf freiwillige Vereinbarungen ohne rechtliche Grundlage. 2011 wurde eine modifizierte Fassung rechtlich verbindlich. Das führte zu Landkonflikten mit einem Mitglied einer reichen Familie der Elite von Ceará, der Eigentümer mehrerer Privatschulen ist. Er beansprucht über 50 Prozent des Resex-Territoriums für sich und nutzt seinen Einfluss, um gegen das Resex vorzugehen. Er hat bereits mehrere Gerichtsverfahren gegen das Resex angestrengt und spaltet die Gemeinschaft durch subversive Aktivitäten – jedoch ohne Erfolg. Seine Villa, die vor 20 Jahren illegal erbaut wurde, soll von der brasilianischen Regierung konfisziert werden.
In Gruppendiskussionen und Anhörungen der Fischergemeinschaft und der Nachbargemeinschaften werden derzeit Richtlinien für die Fischerei im Resex ausgehandelt. Wenn ein Konsens erzielt ist, wird er in diesem Gebiet rechtlich verbindlich. Motorboote sind zunächst verboten. Dies ist eine Vorsichtsmaßnahme, um die Bestände an Fischen und anderen Meerestieren zu schützen, bis diese wissenschaftlich untersucht und erfasst sind und entsprechende Management-Entscheidungen sinnvoll getroffen werden können. Nachbargemeinden, die Segelboote und eine auf nachhaltige Fischerei ausgerichtete Ausrüstung verwenden, sollen besondere Fischerei-Lizenzen erhalten. Die Fischer bemängeln jedoch, dass die Hummer-Wilderei auf dem Meer nicht verfolgt wird.
Tourismus als ein Baustein
Seit der Ausweisung des Resex hat die Gemeinschaft von Prainha do Canto Verde viel Aufmerksamkeit auf die Einkommen schaffenden Potenziale des Ökotourismus gelenkt. Jedes Jahr wird der Ort von über 1.200 Touristen besucht und verzeichnet etwa 3.100 Übernachtungen, verteilt auf fünf Gäste-Unterkünfte. Frauen, Männer und Jugendliche bieten in den Pensionen und Restaurants touristische Dienstleistungen an, wie zum Beispiel auch Ausflüge mit einheimischen Führern. Von der Nachfrage der Touristen nach gesunden Lebensmitteln profitieren auch die Bauern vor Ort. Die Infrastruktur der Gemeinde und der Schule wird genutzt, um Schüler- und Studentengruppen zu empfangen oder Veranstaltungen zu organisieren, wie Austauschprogramme mit Gemeinden aus anderen brasilianischen Schutzgebieten.
Der große Vorteil dieser Art von Tourismus ist, dass niemand auf das Einkommen aus dem Tourismus angewiesen ist. Auch außerhalb der Saison haben die Dorfbewohner ein Einkommen. Die Einnahmen aus dem Tourismus, dem Kunsthandwerk, der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und Computer- und Kommunikationsdienstleistungen ergänzen das Einkommen aus den Hauptaktivitäten wie der Fischerei, der Jagd und der Land- und Forstwirtschaft.
Das Resex hat der einheimischen Bevölkerung bereits viele Vorteile gebracht. Es hilft die Zugangsrechte zu Land und zu den Ressourcen des Meeres sowie die Selbstbestimmung der Gemeinschaft sicherzustellen. Es gibt besondere Kreditlinien und Projekte für wirtschaftliche Entwicklung. Die Fischer fordern allerdings von der zuständigen Regierungsstelle ein effizienteres Management und eine bessere Durchsetzung des Resex, um die Umsetzung voranzutreiben und den Management-Plan bis Juni 2014 fertig stellen zu können.
Bestehende Schwachstellen
Brasilien verfügt über vorbildliche rechtliche Grundlagen und Schutzgebiete für nachhaltige Nutzung. Doch es muss deutlich mehr geschehen, um die Anzahl der Resex und anderer Schutzgebiete zu erhöhen, damit der im Übereinkommen über Biologische Vielfalt (UNCBD) festgelegte Anteil von zehn Prozent des marinen Territoriums erreicht wird. Zudem sind gute Management-Pläne nötig, damit diese Schutzgebiete nicht bloß auf dem Papier bestehen.
Es müssen dringend mehr Schutzgebiete ausgewiesen werden, die die Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel erhöhen, zum Klimaschutz beitragen und die lokale wirtschaftliche Entwicklung fördern. Das ICMBio muss institutionell gestärkt werden, braucht qualifizierte Mitarbeiter und ausreichend finanzielle Mittel.
Die anstehende Konferenz für nachhaltige Entwicklung Rio+20 hätte eine gute Gelegenheit sein können, das brasilianische Resex als Modell für ein nachhaltiges Steuerungssystem zu präsentieren, das auch in anderen Teilen der Welt kopiert werden könnte. Doch Präsidentin Dilma Rousseff fehlt es an umweltpolitischer Führungsstärke. Seit ihrem Amtsantritt im Januar 2011 wurde kein neues Resex mehr ausgewiesen. Was noch schlimmer ist: bestehende Schutzgebiete, insbesondere in der Amazonas-Region, wurden verkleinert, um Kommunalpolitiker und Agrarunternehmen zufriedenzustellen. Durch Regierungserlasse und parlamentarische Initiativen, die kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteilen Vorrang gegenüber der Nachhaltigkeit geben, wird die Umweltgesetzgebung immer weiter geschwächt. Die Aussichten für eine "grüne Wirtschaft", die beim Rio+20-Gipfel herauskommen soll, stehen nicht gut.
René Schärer unterstützt im brasilianischen Fischerdorf Prainha do Canto Verde die lokale Entwicklung, einen umweltverträglichen und sozialverantwortlichen Tourismus und den Kampf gegen die Bodenspekulation. Er ist Gründungsmitglied des Instituto Terramar in Brasilien und des Schweizer Vereins Amigos da Prainha do Canto Verde.
Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp
(7.950 Zeichen, 106 Zeilen, Juni 2012)