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"Community Based Tourism": Marktchancen und Risiken

Ergebnisse aus der Reiseanalyse 2011


Urlaub in kleineren Gemeinschaften, abseits vom (Massen-)Tourismus, mit dem Ziel, in engeren Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung zu kommen und deren Leben, Kultur und Umwelt kennen zu lernen – das ist "Community Based Tourism" (CBT). Ein solcher Ansatz kann vor allem für Regionen geeignet sein, die vom Tourismus noch unberührt sind und vorsichtig entwickelt werden sollen. Es gibt dafür ein erhebliches Marktpotenzial, das wesentlich größer sein dürfte als die entsprechenden Angebote.

In einer speziellen Umfrage wurde für den deutschen Markt untersucht, wie groß das Interesse für diese spezielle Form des Urlaubs ist. Im Rahmen der Reiseanalyse 2011 wurden knapp 8.000 Deutsche befragt, auf welche Art und Weise sie am liebsten ihren Urlaub in einem Land der "Dritten Welt" verbringen würden. Die beliebteste Urlaubsform ist danach eine Kombination von Rundreise und Strandurlaub (58 Prozent). Ein Strandurlaub alleine wird nur von knapp 30 Prozent als beliebteste Urlaubsform angegeben. Ferner gibt es eine Reihe von speziellen Interessen, z.B. an kulturellen Attraktionen (40 Prozent) oder Abenteuerurlaub (27 Prozent).

Das Marktpotenzial für CBT

Darüber hinaus würden 38 Prozent der potenziellen Dritte-Welt-Urlauber 2011-2013 im Urlaub gerne "mehr über die Lebensbedingungen der Einheimischen erfahren“. 19 Prozent geben an, dass sie "gerne in so engen Kontakt wie möglich mit der einheimischen Bevölkerung kommen möchten“. Wenn diese Personen gleichzeitig in den nächsten drei Jahren einen Urlaub in einem Entwicklungsland verbringen wollen und am liebsten in einem kleinen, einfachen Hotel mit landestypischer Atmosphäre wohnen, statt in einem internationalen Hotel, zählen sie zum Marktpotenzial für CBT. Insgesamt erfüllen 19 Prozent aller 15,2 Mio. potenziellen Dritte-Welt-Urlauber in Deutschland diese Bedingungen. Das entspricht etwa drei Millionen Urlaubern in den nächsten drei Jahren.

Dabei gibt es allerdings große Unterschiede zwischen einzelnen Ländern. Relativ "neue" Urlaubsländer ziehen neugierige, reiseerfahrene Touristen an, unter denen sich mehr CBT-Interessierte befinden als unter den "traditionellen" Urlaubern. So beträgt das CBT-Interesse bei den potenziellen Indien- und Vietnam-Urlaubern fast 30 Prozent, während es bei den potenziellen Thailand-Urlaubern "nur" 17 Prozent ausmacht (was aber immerhin 1,8 Millionen Interessenten sind). Natürlich werden sich nicht alle von ihnen den Wunsch erfüllen, Thailand in den nächsten drei Jahren zu besuchen, und nicht alle werden dort CBT-Urlaub machen – aber das Interesse ist da, und es ist groß.

Marketing als Herausforderung

Der Engpass für den weiteren Ausbau des CBT ist also nicht die Nachfrage. Vielmehr sind den potentiellen Interessenten die Angebote nicht bekannt. Es handelt sich also vor allem um ein Marketing-Problem. Die einzelnen Projekte sind meist auf sich allein gestellt und verfügen nicht über eine (übergeordnete) Organisation, die ihnen bei dieser Aufgabe behilflich ist. Die Versuche, solche Projekte z.B. über die Kataloge von Reiseveranstaltern zu vermarkten, sind in der Regel wenig erfolgreich. Erstens verdienen die Veranstalter an diesen Angeboten nur relativ wenig (was durchaus "im Sinne des Erfinders" ist, denn das Geld soll ja den Gemeinschaften zugute kommen). Wenn überhaupt, nehmen Veranstalter diese Angebote vor allem aus Image-Gründen ins Programm. Zweitens sind die typischen CBT-Interessierten sehr reiseerfahren und gehören eher nicht zu den Kunden der Reiseveranstalter (es sei denn es handelt sich um spezialisierte Veranstalter). Sie reisen lieber auf eigene Faust. Zwischen 40 und 60 Prozent ziehen es vor, alles selbst zu organisieren, und nutzen vor allem das Internet zur Information und zur Buchung.

Eine Herausforderung besteht also darin, eine Internet-Plattform zu entwickeln, auf der die CBT-Angebote regional, länderbezogen oder sogar weltweit bekannt und buchbar gemacht werden. Allerdings geht es nicht nur um das Marketing allein. Selbstverständlich müssen die CBT-Projekte in den oft wenig entwickelten Regionen zunächst vorsichtig und sensibel umgesetzt werden. Auch wenn es sich bei den meisten Projekten um recht einfache Angebote handelt (einfache Unterkünfte im landestypischen Stil), so sind es doch komplexe, höchst unterschiedliche Probleme, die bei der Entwicklung von CBT-Projekten individuell gelöst werden müssen.

Einsicht, Erfahrung, Vernetzung

Es gibt durchaus gute Beispiele, aber leider wurde auch in einer Vielzahl von Projekten das Gegenteil dessen erreicht, was ursprünglich angestrebt worden ist. Zuweilen ist dadurch mehr Schaden entstanden, als wenn man auf Tourismus-Entwicklung verzichtet hätte. Die Chancen eines nachhaltigen Tourismus durch CBT sind also durchaus vorhanden, aber die Gefahren keineswegs zu unterschätzen. Gerade weil ein solcher sozialverantwortlicher Tourismus partizipativen Charakter hat und der ganzen Gemeinschaft zugute kommen soll (und nicht nur einzelnen lokalen "big shots"), bedarf es großer Einsicht und Erfahrung, um solche Projekte umzusetzen. Eine Möglichkeit wäre, ein internationales Netzwerk zu etablieren, das Gemeinschaften, Regionen und Organisationen, die an der Entwicklung des CBT interessiert sind, zusammenbringt und aktiv unterstützt. Dabei ist es durchaus denkbar, dass im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit finanzielle oder organisatorische Hilfe geleistet wird.

Die sozialen, kulturellen und Umweltbelastungen, die durch den Tourismus in den unberührten Gemeinschaften entstehen, müssen vermieden oder in akzeptablen Grenzen gehalten werden. Die Gäste haben hohe Erwartungen und wollen das Leben der einheimischen Bevölkerung authentisch erleben. Diese Erwartungen müssen erfüllt werden, wenn "Community Based Tourism" auf längere Sicht Erfolg haben soll.

Peter Aderhold war Inhaber des "Dr. Aderhold – Büro für Tourismusforschung und Planung"und Geschäftsführer der Forschungsgemeinschaft Reiseanalyse. Er hat an einer Vielzahl von Tourismus-Entwicklungsprojekten mitgearbeitet und stellt nach seinem Rückzug aus dem aktiven Berufsleben nun Interessenten gerne seine Erfahrung zur Verfügung.

Eine englische Langfassung dieses Beitrags erschien in "Contours" Vol. 21, Nr. 2, Juli 2011 (www.ecotonline.org).

(5.874 Anschläge, 77 Zeilen, September 2011)