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Chancen und Risiken für die biologische Vielfalt

Drei Fragen an Jürgen Nauber, UNWTO


Um auf den dramatischen Verlust biologischer Vielfalt aufmerksam zu machen, haben die Vereinten Nationen das Jahr 2010 zum Internationalen Jahr der biologischen Vielfalt erklärt. Auch der diesjährige Welttourismustag steht in diesem Zeichen. Das von den Staats- und Regierungschefs der Welt vereinbarte Ziel, bis 2010 den weltweiten Verlust an biologischer Vielfalt entscheidend zu verlangsamen, ist nicht erreicht worden. Ob der Tourismus hilft oder eher schadet und wie er zum Erhalt der biologischen Vielfalt beitragen kann oder diese gefährdet, fragten wir Jürgen Nauber. Er ist Koordinator der Bonner Beratungsstelle zu biologischer Vielfalt und Tourismus, einer Zweigstelle der Welttourismusorganisation (UNWTO).

TW: Unter welchen Umständen kann der Tourismus zum Schutz biologischer Vielfalt wirksam beitragen?

Jürgen Nauber: Tourismus trägt insbesondere dann zum Schutz der biologischen Vielfalt bei, wenn den verschiedenen Interessengruppen klar wird, dass natürliche Ressourcen, die man bewahrt, einen höheren Wert darstellen als zerstörte. Paradebeispiel dafür ist die Walbeobachtung, bei der ein Vielfaches an Erträgen erzielt werden kann als bei "konsumptiver Nutzung", d.h. durch den Walfang. Die Leistungen der Ökosysteme beinhalten dabei alle Grundlagen, auf die auch der Tourismus angewiesen ist: sauberes Wasser, ausgleichendes Klima, Attraktivität und Landschaftsästhetik, um nur einige zu nennen. Tourismus kann in besonderer Weise der Philosophie des Übereinkommens über die biologische Vielfalt entsprechen. In diesem Übereinkommen werden die nachhaltige Nutzung der Natur, ihr Schutz und die gerechte Verteilung der Vorteile aus ihrer Nutzung als gleichwertige Ziele angesehen.

Langfristig kann der Tourismus zum Naturschutz beitragen, wenn dieser kombinierte Ansatz in der Bevölkerung verankert ist und wenn die Menschen vor Ort an der Gestaltung des Tourismus angemessen beteiligt sind. Nach unseren Erfahrungen spielt eine gute Koordination zwischen den verschiedenen Landnutzungsplanungen eine wichtige Rolle. Die Potenziale eines nachhaltigen Tourismus für die Erhaltung der Natur werden in sektoralen Planungen häufig nicht erkannt. Die touristische Planung muss in die anderen Planungsprozesse eingebunden sein und sich an die Spielregeln der Landesentwicklung halten. Auch den Verbrauchern und den Reiseveranstaltern kommt eine besondere Verantwortung zu: In dem Maße, in dem Reisen nachgefragt werden, die die biologische Vielfalt schonen, werden diese auch zum Standard werden.

TW: Der Tourismus kann aber auch deutlich negative Auswirkungen auf natürliche Lebensräume, Ökosysteme und die Artenvielfalt haben. Schadet Tourismus mehr als dass er nützt?

Jürgen Nauber: Für die UNWTO wird zunehmend deutlich, dass sich im Laufe der letzten Jahre die touristischen Akteure immer mehr der Verantwortung für die Erhaltung der natürlichen Ressourcen bewusst werden. Organisationen wie EED Tourism Watch haben durch ihren Akzent auf Sensibilisierung daran einen Anteil. Ebenso steuert der Markt in gewissem Maße den Tourismus in Richtung Nachhaltigkeit, sowohl aufgrund des erhöhten Wettbewerbs, als auch wegen der Nachfrage, die immer stärker auf Nachhaltigkeitskriterien reagiert. Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass auf einer spanischen Mittelmeerinsel alle touristischen Masseneinrichtungen zurückgebaut werden? Oder dass ein Reiseveranstalter erwägt, Phuket aus dem Programm zu nehmen, da die Kunden sich beschwert haben, dass von der Natur in Thailand dort nichts mehr zu sehen sei?

Grundsätzlich ist jede wirtschaftliche Tätigkeit ein Eingriff in den Naturhaushalt. Was akzeptabel ist und was nicht, beurteilen wir Menschen, denn die Natur selbst kann das nicht. Eben daraus leitet sich unsere besondere Verantwortung für unser Naturerbe ab: es zu erhalten, zu unserem Wohl.

Die über 180 Vertragsstaaten des Abkommens über die biologische Vielfalt haben 2004 empfohlen, dass die im Rahmen des Abkommens erarbeiteten "Leitlinien über biologische Vielfalt und Tourismusentwicklung" bei der touristischen Entwicklung angewendet werden sollten. Diese Leitlinien geben den Staaten Instrumente an die Hand, mit denen sie ihre touristische Entwicklung im Sinne der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt steuern können. Die UNWTO-Beratungsstelle in Bonn setzt sich für eine breitere Anwendung der Leitlinien ein. Gelingt dieses im Laufe der Zeit, können wir die Frage, ob Tourismus der biologischen Vielfalt mehr schadet als nützt, eindeutig mit „Nein" beantworten. Ich hoffe, wir finden für dieses Anliegen noch mehr Verbündete.

TW: Welche Aufgaben hat die UNWTO-Beratungsstelle zu biologischer Vielfalt und Tourismus?

Jürgen Nauber: Die Beratungsstelle wurde 2010 von der UNWTO mit Unterstützung des Bundesumweltministeriums eingerichtet. Sie baut auf dem Projekt "Tourismus und Biodiversität in vom Tsunami betroffenen Ländern" auf, das von 2006 bis 2009 von der UNWTO mit Mitteln der deutschen Tsunami-Hilfe durchgeführt wurde. Ihre Aufgabe ist es, die Mitgliedsstaaten der UNWTO in Angelegenheiten zu beraten, die biologische Vielfalt und nachhaltige touristische Entwicklung betreffen. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Entwicklung touristischer Strategien und Produkte gelegt, die die Menschen vor Ort angemessen an den Erträgen beteiligen und sie bei der Gestaltung des Tourismus in die Entscheidungsfindung einbeziehen. Das spezielle Wissen, das in der Beratungsstelle akkumuliert wird, dient außerdem dazu, auch UNWTO-intern spezielle biodiversitätsrelevante Inhalte in die Programmumsetzung einzubringen.

Gegenwärtig beraten wir außerdem in Projektform die Vertragsstaaten der Karpatenkonvention bei der Umsetzung ihres Tourismusprotokolls und die slowakische Stadt Banska Stiavnica bei der schonenden Einbeziehung von Schutzgebieten in die Destinationsentwicklung. Mit Indonesien wird demnächst ein Modellprojekt geplant, das in einer Destination auf West-Java eine Verbesserung der Energieeffizienz des Tourismussektors zum Ziel hat. Mit dem Projekt wird die örtliche Biodiversität nachhaltig in Wert gesetzt und der Tourismussektor auf mögliche Anpassungsmaßnahmen gegen die Auswirkungen des Klimawandels vorbereitet. Weitere Beratungsprojekte werden folgen, beispielsweise in Brasilien, der Karibik und auch hoffentlich bald in Afrika.

Die Beratungsstelle wird an der zentralen Veranstaltung des Welttourismustages Ende September in China teilnehmen und in der Delegation der UNWTO für die zehnte Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt in Japan im Oktober 2010 vertreten sein. Dort wird die UNWTO eine Veranstaltung zu Tourismus und biologischer Vielfalt anbieten, um den Delegierten, die vorwiegend aus Naturschutzkreisen stammen, die Möglichkeiten des Tourismus für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt näher zu bringen.

(6.928 Anschläge, 92 Zeilen, September 2010)