"Es hat den Anschein, dass der Mensch umso unmoralischer wird, je weiter er in die Ferne reist." Das sagte einst Ron O´Grady, der ehemalige Koordinator der internationalen ECPAT-Kampagne gegen Prostitution mit Kindern. Der Tourismus in die Länder der Dritten Welt ist seit Jahren steigend. Steigend ist auch die Zahl der Frauen und Kinder in der Tourismus-Prostitution.
Neben den bekannten "Sextourismusländern" wie Thailand, Kenia oder den Philippinen entwickelte sich auch Brasilien zum Urlaubsland für alleinreisende Männer. Sextourismus und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen haben vor allem an der brasilianischen Nordostküste zugenommen. Die "Terra do Sol", das Land der ewigen Sonne und der kilometerlangen Palmenstrände im Nordosten von Brasilien, gehört zu den ärmsten Regionen des Landes. Dort investiert die Tourismusindustrie seit einigen Jahren in neue Urlaubsparadiese. Zu den "Attraktionen" von Recife, Fortaleza und Salvador da Bahia gehören aber nicht nur Sonne und Strand, sondern auch die jungen einheimischen Frauen, die sich an den Stränden und in den Bars der Urlaubsstadt Recife für wenig Geld als "Urlaubsbegleiterinnen" bzw. als Prostituierte anbieten. Alternative Arbeitsmöglichkeiten gibt es nur wenige. Von der ohnehin hohen Arbeitslosigkeit sind Frauen doppelt so häufig betroffen wie Männer. Arbeiten, die Frauen offen stehen, etwa als Putzhilfe oder Köchin in Privathaushalten, werden so schlecht bezahlt, dass sich niemand davon ernähren kann. Daher ist die hohe Zahl von Frauen und Mädchen nicht verwunderlich, die von den Touristen leben oder der Prostitution nachgehen. Es wird geschätzt, dass in Brasilien ca. 500.000 minderjährige Mädchen in der Prostitution ihr Überleben organisieren, nicht nur, aber auch in den großen Tourismuszentren wie zum Beispiel Boa Viagem, dem Strandviertel der Großstadt Recife. Diese Mädchen werden der Gewalt von Prostitution und sexueller Ausbeutung überlassen und man wirbt auf geradezu rassistische Weise mit ihrer Sinnlichkeit. Viele von ihnen halten dieses Leben nur mit Drogen aus und haben enorme psychische Probleme. Auch das Risiko einer HIV-Infektion ist hoch, da sich viele Freier weigern, Kondome zu benutzen.
Die jungen Frauen (zwischen 14 und 26) kommen vorwiegend aus armen Familien, in denen sie oftmals sexuelle Gewalt durch Vater, Stiefvater oder andere männliche Mitglieder erlitten haben. Die extrem patriarchal ausgerichtete Gesellschaft im Nordosten Brasiliens begünstigt die Industrie des Sextourismus. Die Frau gilt als minderwertig, der Mann als Herr, Besitzer und Familienoberhaupt. Für Frauen wird in dieser patriarchalen Kultur nur eine Perspektive konstruiert, nämlich sich ein Haus und einen Ehemann zu wünschen, der Vater ihrer Kinder sein soll, der sie versorgt und beschützt. Ohnehin wird in die Zukunft der Mädchen kaum investiert, weil man davon ausgeht, dass sie als Ehefrau und Mutter nicht zur Verwirklichung eigener beruflicher Ziele kommen.
Die Mädchen reagieren auf diese Situation mit einem extrem negativen Bild vom brasilianischen Mann. Sie beschreiben ihn als gewalttätig, untreu, hinterhältig und vorurteilsbeladen. Deswegen, und um Armut und familiärer Gewalt zu entfliehen, wollen sie ihren Traum von einer Familie mit einem europäischen Ausländer verwirklichen. Viele Mädchen sehen die Arbeit im Sextourismus nur als vorübergehende Durststrecke. Die Illusion, der sie nachjagen, ist ein sorgenfreies Leben voller Glück und Wohlstand im "paradiesischen" Europa. Sie träumen vom blonden Prinzen, der sie dorthin mitnimmt und aus ihrem Elend befreit. Solche verklärten Vorstellungen über die Migration nach Europa werden vor allem durch Heiratsagenturen und europäische Touristen genährt, die die Jugendlichen mit falschen Informationen und Versprechungen ködern. Natürlich sieht die Realität ganz anders aus. Gehen die Mädchen mit, so zerplatzt ihre Traumwolke meist bereits nach drei Monaten, wenn ihr Touristenvisum abgelaufen ist. Wollen sie dann nicht zurück, beginnt für viele ein Leben in der Illegalität oder oftmals erneuter Prostitution.
Hautfarbe:
73% sind schwarz
Wohnort:
71% leben in Boa Viagem
Wissen deine Eltern wie du lebst?
56% nein
Was erwartest du von dieser Art zu leben?
75% meinen "Prinzen" zu finden und glücklich zu sein
14% Geld und einen guten Lebensstandard
Was hast du vorher gearbeitet?
44% als Verkäuferin
33% als Hausangestellte
Wann fingst du an, mit Ausländern zu schlafen?
59% mit über 18 Jahren
41% mit unter 18 Jahren
Warst du schon einmal in Europa?
55% ja
Wo warst du in Europa?
67% in Deutschland
17% in Italien
8% in der Schweiz
Wie findest du den brasilianischen Mann?
91% sehr schlecht
9% gut
Die Umfrage erarbeitete das brasilianische Coletivo Mulher Vida (Kollektiv Frauen Leben), eine Selbsthilfeorganisation, die Gewalt gegen Frauen bekämpft.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt (ASW), Berlin
(4.842 Anschläge, 92 Zeilen, Juni 2004)