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Bhutan - Das vermeintliche Paradies


"Wer viel betet, aber mit seinem Nachbarn ständig im Streit lebt, hat nicht begriffen, worum es wirklich geht." Bei diesen Worten des Dalai Lama mußte ich an unseren König denken, das Oberhaupt des einzigen buddhistischen Königreiches der Welt: Bhutan. Und weil König Jigme Singye Wangchuck in der Tat eine kluge, weitsichtige, umweltverträgliche Politik verfolgt, wird er auf der ganzen Welt hofiert und idealisiert. Das liegt auch daran, daß nur wenige Außenstehende unser Land wirklich kennen.

Denn Bhutan schottet sich ab, selbst kontrolliertes und zensiertes Fernsehen wurde erst 1999 eingeführt. Die Zahl der Touristen wird über hohe Preise künstlich niedrig gehalten, Reisen ohne Aufpasser sind nicht gestattet. Wer als Entwicklungshelfer, Wissenschaftler, Berater oder Journalist ins Land kommen darf, muß sich bereits im Voraus mit der Obrigkeit gut stellen. Sonst wird ihm ein Visum verweigert. Deshalb hören wir ausschließlich Gutes über das "letzte buddhistische Paradies" oder "Shangri-La" der Erde. Unser Land ist wirklich grün und sehr schön. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere würde zeigen, daß der König mit einem Teil seines eigenen Volkes ständig im Streit lebt: Weil wir seiner absoluten Macht nicht zustimmen, Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit fordern, und weil wir - offensichtlich zu viele - Hindus sind. Die Hindus sind wie die Drukpas, die herrschende buddhistische Elite im Norden, Einwanderer. Ihre Vorfahren kamen aus Tibet, unsere aus Nepal. Im Osten lebt die Urbevölkerung der Sarchops, die ebenfalls von der Regierung in der Hauptstadt Thimphu unterdrückt wird. Meine Familie lebt seit mehreren Generationen im Süden Bhutans, wo die meisten Hindus angesiedelt wurden. Weil wir uns Ende der achtziger Jahre gegen die neue "arisierende" Politik "Eine Nation, ein Volk, eine Kultur" wehrten, wurden wir ins Gefängnis geworfen, mußten flüchten oder wurden als "illegale Einwanderer" vertrieben.

Über 100.000 von uns leben seit Beginn der neunziger Jahre in großen Flüchtlingslagern in Nepal - staatenlos. Denn wer das kleine Paradies nicht ordnungsgemäß und ohne Genehmigung verläßt, verliert seine Staatsbürgerschaft, ganz so wie seinerzeit im Ostblock.

Trotzdem kämpfen wir auf friedliche Weise für unsere Rückkehr und Versöhnung. Aber wir sind nicht sehr optimistisch. Wie überall, gibt es auch in unseren Reihen ein paar schwarze Schafe, die tatsächlich illegal in Bhutan lebten oder Racheakte verübten. Deshalb bezeichnet die Regierung nun alle Flüchtlinge als "Illegale" und "Terroristen". Ein Dialog wird uns bis heute verwehrt.

Quelle: Sympathie Magazin "Buddhismus verstehen". Mit freundlicher Genehmigung des Studienkreises für Tourismus und Entwicklung, Ammerland 2000.

(2.791 Anschläge / 37 Zeilen, Juli 2000)

Karte: Distrikte, in denen die sieben Flüchtlingslager liegen.