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Auf dem Weg von Cochabamba nach Durban

Reflektionen über Klimagerechtigkeit


Überall auf der Welt wächst die Widerstandsbewegung gegen die unfairen Auswirkun­gen des Klimawandels. Wir müssen auf die Stimmen der Menschen und der Natur hören, die uns daran erinnern, dass bei der Art und Weise, wie wir diesen Planeten bewohnen, etwas vollkommen schief läuft. Die Klimakrise spiegelt die schädlichen Folgen von Gier und Überkonsum wider, ebenso die dominanten Paradigmen des menschlichen Lebens auf diesem Planeten. Das hat uns an einen Scheidepunkt zwischen Leben und Tod gebracht. Nie zuvor haben wir eine so wichtige Entscheidung getroffen. Daran gibt es keinen Zweifel.

Die globale Empörung erklärt, warum die "Weltkonferenz der Völker über den Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde" im April 2010 so erfolgreich war. Sie brachte mehr als 35.000 Menschen aus 142 Ländern sowie einige offizielle nationale Delegationen zusammen. Cochabamba gab uns die Möglichkeit, die Mauern in Frage zu stellen, die rund um die Klimaverhandlungen errichtet worden waren. All diese Kraft und diese Emotionen kamen von der Basis. Cochabamba war der ernsthafteste Versuch in den letzten Jahren, um zu zeigen, dass eine solche Debatte unter den Menschen stattfinden muss, um eine globale Agenda für Veränderungen zu entwickeln. Und wir haben uns nicht nur mit den sehr technischen Themen beschäftigt, die in den Klimaverhandlungen diskutiert werden (wie zum Beispiel eine gemeinsame Vision, das Kyoto-Protokoll, Finanzierungs- und Technologiefragen), sondern auch mit neuen Konzepten wie Klimagerechtigkeit, mit den Rechten indigener Völker, strukturellen Ursachen und der Idee eines "internationalen Klimagerichtshofes".

Das Konzept des "guten Lebens"

Die Agenda von Cochabamba hat die Grundlage für eine politische Brücke zwischen zwei Bewegungen geschaffen: der sozialen und der Umweltbewegung. Die Ergebnisse werden nun nach und nach in verschiedenen Foren diskutiert, darunter auch der Vorschlag, die Rechte der Mutter Erde festzuschreiben. Diese Agenda stellt nun eine große Herausforderung dar. Wir müssen damit anfangen, sie überall auf der Welt umzusetzen, wo immer möglich. Sie bringt eine Vielzahl an Möglichkeiten mit sich, die sich konkret auf lokaler Ebene messen lassen müssen. Der Vorschlag, die Rechte der Mutter Erde auszuarbeiten, ist eine Herausforderung für unser traditionelles Wertesystem und zwingt uns, darüber nachzudenken, ob sich mit unserem gegenwärtigen Menschenrechtssystem die Zerstörung des Planeten stoppen lässt. Er lässt uns erkennen, dass wir in einer Art Schizophrenie leben, in der all die schönen Werte und im UN-System beschlossenen Vereinbarungen tatsächlich weniger verbindlich sind als das neoliberale System, das unser Leben regiert. Es ist von großer Dringlichkeit, unsere Staats- und Regierungssysteme neu zu erfinden, um sowohl die Umweltzerstörung als auch die Ungerechtigkeit unter den Menschen zu beenden. In den neuen Verfassungen Boliviens und Ecuadors wurde ein erster Schritt getan, das Konzept des "guten Lebens" anzuerkennen. Darin wird ein Ende des übermäßigen Konsums gefordert, und die Anerkennung der Grenzen, die die Natur dem "grenzenlosen" Wachstum auferlegt.

Das "Abkommen der Völker"* von Cochabamba spiegelt die Beiträge und Auseinandersetzungen der gesellschaftlichen Bewegungen wider. Es gibt viele weitere Initiativen und Erklärungen, die zu dieser neuen Vision beitragen. Doch wir müssen über die Rhetorik hinausgehen, denn Erklärungen reichen nicht aus, um wirkliche Veränderungen herbeizuführen. Über die Rhetorik hinauszugehen, erfordert eine politische Vision und eine stärkere Konzentration auf die lokale Ebene. Dabei müssen wir die Anstrengungen anerkennen, die die Menschen bereits unternehmen, um sich selbst und die Erde zu verteidigen - wie der Widerstand der indigenen Völker gegen Staudämme in der Amazonas-Region oder der tägliche Einsatz der Frauen für das Leben überall auf der Welt. Doch um über die Rhetorik hinauszugehen, müssen wir gleichzeitig tiefgreifende persönliche und kulturelle Veränderungen herbeiführen. Und dies wird wahrscheinlich so lange nicht möglich sein, wie wir nicht in der Lage sind, unterstützende soziale Strukturen und politische Handlungskonzepte aufzubauen.

In diesem Sinne ist es besonders wichtig, das Konzept des "guten Lebens" (was im Grunde bedeutet, dass niemand das Recht hat, unseren Planeten über die Maßen auszubeuten) in den wachsenden städtischen Zentren in die Praxis umzusetzen. Eine weitere Herausforderung liegt in der Einheit der sozialen Bewegungen: einer Zivil­gesellschaft, die in Durban** ihren Visionen und Forderungen Ausdruck verleiht und die die reichsten Länder dazu zwingt, anzuerkennen, dass ihre Entscheidungen Menschen und Ökosysteme zum Tode verurteilen.

Das "Fukushima-Syndrom"

Wir müssen gemeinsam stark genug sein, um zu fordern, dass der Prozess im Rahmen der Klimarahmenkonvention ein Ergebnis liefern muss, das die Klimaschuld anerkennt. Es ist wirklich beängstigend, dass all die Tragödien, die durch die Erderwärmung ver­ursacht werden, das Herz der Verhandlungen gar nicht berühren. Seit dem Klimagipfel in Kopenhagen ist viel passiert: Pakistan, Brasilien, Mittelamerika, die Andenländer, die Philippinen, Russland, Australien, und nun die schrecklichen Wirbelstürme in den USA. Doch es herrscht eine übermächtige Amnesie. Die entwickelten Länder und Großunternehmen vergessen ihre Verantwortung für die Emissionen der Vergan­genheit und wollen stattdessen sogar das Basisjahr zur Berechnung ihre Verpflich­tungen zur Reduktion von Treibhausgasen ändern.

Wir müssen Solidarität zeigen und wir müssen die Tragödie von Fukushima sehr ernst nehmen, denn sie ist eine Metapher für die globale Klima- und Umweltkrise. Wir alle erleben das "Fukushima-Syndrom": wie weit die neoliberale Gier gehen kann, wie die Wahrheit verheimlicht und der Schutz des Lebens nicht mehr ernst genommen wird. Diejenigen, die die Entscheidungen für Atomkraftwerke getroffen haben oder die darin investiert haben, kennen die Wahrheit, und doch vertrauen sie der Wirtschaft. Sie kennen die Gefahren, und doch verurteilen sie ihre Mitarbeiter zum Tode. Sie wissen um die schädlichen Auswirkungen, und doch lassen sie die Menschen darüber im Un­klaren und nehmen ihnen die Kontrolle über eine Regulierung aus der Hand. Die Mäch­tigsten wollen unser Recht auf Leben nicht respektieren.

Zeichen der Hoffnung

Das Ringen um Klimagerechtigkeit gibt uns einige entscheidende Zeichen der Hoffnung für ein harmonisches Leben auf der Erde. Es werden gute Ideen entwickelt. Das Tribu­nal ist zum Beispiel eine Initiative, durch die deutlich gemacht wird, wer für die Klima­krise verantwortlich ist. Durch das Tribunal bekommen die verwundbarsten Bevölke­rungsgruppen eine Plattform, um auf die Mächtigen Veränderungsdruck auszuüben. Doch wirkliche Veränderungen kommen von unten und sie finden in unserem täglichen Leben statt. Veränderungen entstehen durch ein Zusammenspiel der globalen und lokalen Ebenen, der öffentlichen und der privaten, der persönlichen und der kollektiven. Es sind die Menschen, die für diesen Wandel ihre Kräfte einsetzen werden.

* Erklärung der Weltkonferenz über den Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde. 22. April 2010 Cochabamba, Bolivien, Abkommen der Völker. http://pwccc.wordpress.com/support

** Der nächste Weltklimagipfel findet vom 28. November bis 9. Dezember 2011 in Durban/ Südafrika statt.

Elizabeth Peredo Beltrán ist Autorin, Aktivistin und Direktorin der Fundación Solón, einer Stiftung in Bolivien, die zu Menschenrechten, Integration und Kultur arbeitet. Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung ihrer Rede im Abschlussplenum der internationalen Konferenz "Cochabamba + 1", die im April 2011 in Montreal stattfand.

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN), www.klimawandel-bekaempfen.de

(7.175 Anschläge, 95 Zeilen, Juni 2011)