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Akteure oder Schurken?

Unternehmensverantwortung aus indischer Sicht


Zwar werden Unternehmen zunehmend auch danach beurteilt, auf welche Weise sie ihre Produkte herstellen und ihre Gewinne erwirtschaften, doch gibt es noch keinen Konsens darüber, was "Corporate Social Responsibility" (CSR) eigentlich genau bedeutet. Um die Möglichkeiten und Grenzen unternehmerischer Verantwortung ging es auf einer Konsultation Mitte Dezember 2009 im südindischen Chennai. Vertreterinnen und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Basisgruppen und der Wissenschaft tauschten sich über Konzepte, Instrumente und Praktiken der CSR im Tourismus aus.

T.T. Sreekumar von "Kerala Tourism Watch", einer Gruppe zivilgesellschaftlicher Organisationen, die die Konsultation mit organisiert hatten, betonte, dass gemeinnützige philanthropische Aktivitäten und CSR getrennt werden müssen. Außerdem sollten die Unternehmen ihre Bemühungen um Markenbildung von CSR-Konzepten trennen. Sumesh Mangalassery von der Tourismusinitiative "KABANI - the other direction", Hauptorganisator der Konsultation, betonte: "Wir können CSR aber nicht von den negativen Auswirkungen des Tourismus trennen, mit denen wir uns in den Zielgebieten durch das verantwortungslose Handeln von Unternehmen konfrontiert sehen."

"Den Begriff CSR kann man nicht einfach für jede beliebige gute Sache im Tourismus verwenden." sagte Heinz Fuchs von EED Tourism Watch. Als Kooperationspartner der Veranstaltung ging es dem EED darum, sich mit indischen Partnern aus der Zivilgesellschaft über Visionen und Perspektiven zu verständigen, durch die sich die gesellschaftliche Unternehmensverantwortung stärken lassen könnte.

Verantwortung vs. Rechenschaft

In Entwicklungsländern, wo die Gesetze zum Schutz der Interessen der Bevölkerung und der Umwelt entweder schwach sind oder häufig verletzt werden, spielt CSR eine weniger prominente Rolle als im Norden. Dort können sie als einer der "nächsten Schritte" auf der Nachhaltigkeitsleiter angesehen werden. Nach Ansicht von T.T. Sreekumar kommen verbindliche Rechenschaftspflichten vor CSR: "Die Menschen­rechte und die Rechte der Menschen auf die Sicherung ihres Lebensunterhalts müssen respektiert werden." Er betonte jedoch auch den komplexen, fragmentierten Charakter der Tourismuswirtschaft. Einige Hotelbetreiber könnten sich alles erlauben, weil sie (in erster Linie um Steuern zu sparen) viel Geld in wohltätige Maßnahmen steckten. Doch während in anderen Wirtschaftsbereichen die Kinderarbeit nach und nach zurückgehe, habe sie im Tourismus sogar weiter zugenommen.

CSR vs. gesetzliche Unternehmensverantwortung

Mit Blick auf die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Tourismus in Goa machte die goanische Rechtsanwältin und Aktivistin Albertina Almeida deutlich: "Verhaltenskodizes reichen nicht aus. Wir brauchen Gesetze!" Erst dann könne die Zivilgesellschaft ins Spiel kommen. Gemeinschaften vor Ort könnten zum Bespiel das Gesetz zum Recht auf Information nutzen. Wenn ein Hotel Steuererleichterungen bekommt, könnten sie nach der Grundlage dafür fragen. A.C. Fernando, Professor am Loyola Centre for Business Ethics and Corporate Governance in Chennai, wies darauf hin, dass es nicht ausreiche, nur die CSR-Aktivitäten der Unternehmen im Blick zu haben. Auch die Unternehmen selbst müssten unter die Lupe genommen werden, z.B. in Hinblick auf arbeitsrechtliche Verstöße oder Landrechtskonflikte.

Druck von Seiten der Gemeinschaften und der Konsumenten

"Die Bevölkerung vor Ort kann Unternehmen überwachen", sagt Pfarrer Arulraj vom "Coastal Protection Forum" in Kanyakumari an der Südspitze Indiens. Er zeigte, wie eine Gemeinschaft im Distrikt von Kanyakumari, im Bundesstaat Tamil Nadu, erfolgreich Widerstand geleistet hat, als ein Hotelprojekt die Richtlinien zum Küstenschutz zu verletzen drohte.

Heinz Fuchs von EED Tourism Watch stellte die Nachhaltigkeitszertifizierung kleiner Reiseveranstalter in Deutschland vor. Sie basiert auf der strategischen Entscheidung eines Unternehmens, CSR in sein Kerngeschäft zu integrieren. Zu den Indikatoren gehört auch, inwieweit Partneragenturen, das Gastgewerbe und die Reiseleiter vor Ort Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. T.T. Sreekumar wies darauf hin, dass es schwierig sei sicherzustellen, dass die entsprechenden Informationen stimmten. Selbst unter "Laborbedingungen" - wenn die Reiseveranstalter grundehrlich wären - gäbe es Probleme beim Erfassen solcher Informationen in den Zielgebieten.

Perspektiven

Aus den Präsentationen und Diskussionen in Chennai wurde deutlich, dass eine enorme Informationslücke zwischen Unternehmen und der Bevölkerung besteht. Daher müsse zunächst einmal mehr Transparenz geschaffen werden. Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten Druck auf ihre Regierungen ausüben, Richtlinien zu CSR einzuführen. Auch die Hoteliers müssten mit an den Verhandlungstisch, um eine langfristige, faire und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren sicherzustellen.

Weitere Informationen: www.tourism-watch.de

Im Vorfeld der Konsultation ist im Dezember 2009 eine englische TourismWatch Sonderausgabe zum Thema CSRerschienen.  

(5.009 Anschläge, 71 Zeilen, März 2010)