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Rio+20: Neuer Anlauf – neue Sackgasse?

Drei Fragen an Michael Frein, Evangelischer Entwicklungsdienst (EED)


Vom 20. bis 22. Juni 2012 blickt die Welt erneut nach Rio de Janeiro. Zwanzig Jahre nach dem historischen Weltgipfel von 1992 soll die diesjährige Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung neuen Schwung in die Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit bringen. Im Mittelpunkt stehen Ansätze für eine "grüne", umweltverträgliche Wirtschaft im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung und Armutsüberwindung sowie der institutionelle Rahmen für nachhaltige Entwicklung. Zu den Erwartungen an Rio+20 befragten wir Michael Frein vom Evangelischen Entwicklungsdienst, der die Verhandlungen im Vorfeld beobachtet hat.

TW: Welchen Stellenwert hat Rio+20 und was kann die Konferenz leisten?

Michael Frein: Formal betrachtet wird das Ergebnis der Rio+20-Konferenz eine – völkerrechtlich unverbindliche – Abschlusserklärung sein. Nun kann man sagen, das sei nicht so wichtig. Tatsächlich aber wird in Rio ein Rahmen dafür geschaffen, wie das Verhältnis von Ökonomie, Ökologie und Sozialem in Zukunft diskutiert und gestaltet werden soll. Und das ist schon wichtig. Das dürfen wir nicht der Wirtschaft und der Politik allein überlassen. Vor allem darf die Abschlusserklärung nicht hinter die Beschlüsse von Rio 1992 zurückfallen. Konkret heißt dies etwa: In Rio 1992 wurde anerkannt, dass die Industrieländer die Verursacher der globalen Umweltkrise sind und über die meisten Mittel verfügen, diese Krise zu bewältigen. Von daher sind sie in besonderer Weise gefordert.

Die Industrieländer versuchen, dies zu verwässern, indem sie auf die veränderte Rolle der Schwellenländer verweisen. Damit stehlen sie sich jedoch aus ihrer historischen Verantwortung. Ein bisschen wird in Rio "Schwarzer Peter" gespielt. Es ist ja offensichtlich, dass auch 20 Jahre nach dem ersten Rio-Gipfel die entscheidenden Schritte in Richtung nachhaltige Entwicklung noch ausstehen. Rio+20 ist vielleicht eine Chance für einen neuen Anlauf. Hunger und Armut, Klimawandel und Artensterben, die multiplen, sich gegenseitig verstärkenden Krisen zeigen, wie groß die Herausforderungen sind.

Rio+20 muss deutlich machen, dass ein Politikwechsel überfällig ist. Doch seit Wochen mehren sich die Anzeichen, dass es den Regierungen in Rio nicht gelingen wird, die richtigen Weichen für eine nachhaltige Entwicklung zu stellen. Nachhaltige Entwicklung ist offenbar nicht gerade ein Renner, sondern eher eine Schnecke, die auch noch schwer von der Stelle kommt.

TW: Um die Schnecke zu bewegen, wollen die Regierungen in Rio die "Green Economy" auf den Weg bringen. Was ist davon zu erwarten? Handelt es sich dabei um ein ernsthaftes Nachhaltigkeitskonzept?

Michael Frein: Die "Green Economy" ist eines der Schwerpunktthemen der Rio+20-Konferenz. Im "Zero Draft", dem ersten Entwurf der Abschlusserklärung, wurde deutlich, dass die Ökonomie in gewissem Maße und mit Blick auf Win-win-Situationen "begrünt", aber nicht konsequent auf ihre soziale und planetarische Verantwortung hin ausgerichtet werden soll. Die "Green Economy" setzt auf grüne Investitionen, auf Effizienzgewinne durch den Einsatz neuer Technologien und hofft, so wirtschaftliches Wachstum und Naturverbrauch absolut entkoppeln zu können. Dass dies gelingen könnte, dafür gibt es wenig Anzeichen. Und dann bleibt die "Green Economy" blind gegenüber sozialer Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung. Damit wird sie den Herausforderungen nicht gerecht.

Es reicht eben nicht, Güter und Dienstleistungen künftig ressourcenschonender und umweltfreundlicher bereit zu stellen, wenn gleichzeitig immer mehr Güter und Dienstleistungen konsumiert werden. Effizienzgewinne können so schnell wieder aufgefressen werden. Statt Wirtschaftswachstum mit möglichst wenig Umweltverbrauch muss das Ziel heißen, innerhalb der planetarischen Grenzen Wohlfahrt und ein gutes Leben für alle zu schaffen.

TW: Wird Tourismus als einer der größten Wirtschaftssektoren mit all seinen ökologischen und sozialen Herausforderungen auf der Rio+20-Konferenz ein Thema sein? Und kann der Gipfel die zukünftige Tourismusentwicklung beeinflussen?

Michael Frein: Im ersten Entwurf des Abschlussdokuments sucht man Tourismus vergeblich. In den aktuellen Verhandlungstexten finden sich immerhin zwei eher schmale Absätze dazu, die vermutlich auch im Abschlussdokument auftauchen werden. Dort ist beispielsweise zu lesen, dass stärker in einen nachhaltigen Tourismus investiert werden soll und arme Bevölkerungsgruppen sowie indigene Völker leichteren Zugang zu Krediten haben sollen. Das liest sich alles sehr schön, gibt aber nur wenig Handlungsorientierung und ist nur sehr bedingt hilfreich.

Würde man beispielsweise indigene Völker nach ihren Interessen befragen, so stünde an erster Stelle vermutlich nicht der Zugang zu Krediten, sondern der Respekt vor ihren Rechten, insbesondere dem Recht auf ihr Land und ihre kulturellen Ausdrucksformen, wie es in der UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker heißt. Im Grunde wiederholt das Kapitel zu Tourismus die Probleme des Kapitels zur "Green Economy": Es geht darum, Investitionen zu lenken und marktorientierte Lösungen voranzutreiben, es geht nicht darum, Menschenrechte durchzusetzen und Benachteiligten zu mehr Gerechtigkeit zu verhelfen.

Weitere Informationen: Mindestanforderungen an die Abschlusserklärung des "Rio+20-Gipfels". VENRO-Stellungnahme. Verband Entwicklungspolitik deutscher

Nichtregierungsorganisationen, Bonn, Juni 2012. Download:http://www.venro.org/fileadmin/redaktion/Newsletter_Bilder/Newsletter_Dokumente/Mai_2012/VENRO-Standpunkt_Ausgabe3-2012.pdf

Ein gutes Leben für alle. Rio+20: Weichen stellen für eine Nachhaltige Entwicklung. Ein Hintergrundpapier. Von Michael Frein, Jürgen Reichel, Stig Tanzmann, Stefan Tuschen, Evangelischer Entwicklungsdienst, Bonn, Mai 2012. Download: www.eed.de//fix/files/doc/EED_Ein%20gutes%20Leben%20f%FCr%20alle_2012_deu.pdf

(5.186 Zeichen, 69 Zeilen, Juni 2012)