Blog

Reisen für den Frieden?

Die Rolle des Tourismus in Palästina


Tourismus in Verbindung mit Konfliktregionen zu diskutieren, ist auf dem ersten Blick nicht nahe liegend. Die Touristenzahlen brechen rapide ein, sobald in einer Region ein Konflikt ausbricht. Andererseits kann Tourismus in einer Konfliktregion auch wirtschaftliche Entwicklung befördern. Durch Interaktion zwischen ehemaligen Konfliktparteien können Feindbilder abgebaut werden. Positive Wirkungen sind jedoch keine Selbstläufer. Sie entwickeln sich nur, wenn gewisse "Spielregeln" befolgt werden. Dazu braucht es Unternehmensverantwortung und Konfliktsensibilität. Das Beispiel Palästina zeigt Probleme mit dem Tourismus in Konfliktregionen, aber auch Chancen, die der Tourismus bergen kann.

Trotz zahlreicher internationaler Friedensinitiativen kam der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern bislang nicht zur Ruhe. Im Zentrum steht die Aufteilung von Territorium. Damit gehen die Flüchtlings- und Siedlungsfrage, Sicherheitsaspekte oder die Diskussion um Jerusalem als Hauptstadt einher. Insbesondere auf palästinensischer Seite erschweren schwache politische Institutionen, Korruption sowie die am Boden liegende Wirtschaft den Alltag der Bevölkerung. Unter diesen Bedingungen ist die Suche nach politischen Lösungen schwierig.

Tourismus in Israel und Palästina

Nicht nur in Israel, auch in den palästinensischen Gebieten gibt es zahlreiche touristische Sehenswürdigkeiten. Das beste Beispiel ist Bethlehem. Aber auch Jericho und natürlich der Ostteil Jerusalems mit dem Tempelberg und dem Basar verfügen über touristische Anziehungspunkte. Doch der größere Anteil der Touristenströme und des Einkommens aus dem Tourismus geht an die israelische Tourismusbranche. Interviewpartner sprechen zum Teil von über 90 Prozent. Wie kommt dies zu Stande? Reisen nach Bethlehem sind hierfür exemplarisch: Die meisten Reisenden übernachten in Hotels im Westen Jerusalems. Sie brechen mit dem Bus ihres Reiseanbieters auf und fahren nach Bethlehem in die palästinensischen Gebiete. Auf dem Platz vor der Geburtskirche kommt der Bus zum Stehen und die Reisegruppe folgt ihrem Reisenleiter in die Kirche. Im Anschluss können die Reisenden in einem am Kirchplatz gelegenen Shop Souvenirs kaufen. Nach zwei Stunden verlässt der Bus Bethlehem. Damit haben die Reisenden weder in einem palästinensischen Restaurant gegessen, noch in dem wenige hundert Meter entfernten Basar eingekauft. Auch konnten die palästinensischen Hoteliers keine einzige Übernachtung verbuchen.

So kommt der Tourismus Palästina nicht zugute. Die lokalen Unternehmer werden nicht gestärkt und der Bevölkerung eröffnet sich keine ökonomische Perspektive. Auch ein interkultureller Austausch zwischen Einheimischen und Reisenden entsteht nicht. Im schlechtesten Fall bleiben nur Müll und Abgase zurück. Durch eine solche Form des Reisens lässt sich die Kluft zwischen den Konfliktparteien nicht verringern, wertvolle Chancen bleiben ungenutzt.

Konfliktsensibel reisen

Mit wenigen "Grundregeln" aber können Reiseanbieter sowie Reisende den lokalen Bedingungen mit mehr Sensibilität Rechnung tragen. Ein erster Schritt ist die Wahl des Hotels. Eine ausgeglichene Auswahl zwischen israelischen und palästinensischen Hotels ist beispielsweise auch in Jerusalem möglich. Neben Bethlehem kann man auch das so genannte "Kloster der Versuchung" in Jericho besuchen. Genießt man dann noch in einem palästinensischen Restaurant zum Beispiel die bunte Auswahl verschiedener Vorspeisen wie Hummus, Ful und Taboulé aus Kichererbsen, Bohnen oder Bulgur, so nützt die Reise beiden Seiten. In der gesamten Region ist Wasser knapp. Ein sparsamer Umgang mit dieser umkämpften Ressource ist daher besonders wichtig.

Damit auch Palästina besser vom Tourismus profitieren kann, gründeten einige palästinensische Reiseanbieter, Hotels und staatliche und nichtstaatliche Organisationen 2007 die "Palestinian Initiative for Responsible Tourism" (PIRT). Die Mitglieder dieser Initiative verpflichten sich nicht nur, ihren Mitarbeitern gegenüber soziale Mindeststandards einzuhalten und die Umwelt zu schützen. Sie möchten auch dass Veranstalter und Reisegruppen Hotels, Restaurants und Shopping-Möglichkeiten in den palästinensischen Gebieten nutzen, damit die lokale Bevölkerung am Einkommen aus dem Tourismus besser beteiligt wird. Fragt man nach dem Grundgedanken der Initiative, so erfährt man: "Wir glauben, dass Tourismus ein Instrument zur Förderung von Frieden und Gerechtigkeit ist." Der Verhaltenskodex der Initiative richtet sich nicht nur an die Unternehmen vor Ort, er appelliert auch an internationale Reiseveranstalter und Reisende, den vorherrschenden Bedingungen in der Region besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Reisen ist gerade in Konfliktregionen keine neutrale Aktivität. Vor diesem Hintergrund sind international agierende Reiseanbieter besonders gefordert, Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten, Korruption zu vermeiden und die Menschenrechte zu achten. Geschieht dies nicht, verlieren Unternehmen angesichts einer immer kritischeren Zivilgesellschaft rasch ihre breite gesellschaftliche Akzeptanz.

Auch für die Reisenden bringt das Reisen Verantwortung mit sich. Es gilt Informationen einzuholen und Hotels und Restaurants sorgsam auszuwählen. Was viele Konsumenten beim Kauf von Lebensmitteln gelernt haben, trifft auch auf die Urlaubsreise zu: Lässt sich eine Reise nicht verantwortlich gestalten, kann die Entscheidung für ein anderes Reiseprodukt die bessere Entscheidung sein.

Susanne Fischer forscht zu Unternehmensverantwortung und Global Governance und arbeitete bis 2010 in dem Forschungsprojekt "Die Rolle von transnationalen Unternehmen in Konfliktzonen" der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt. In ihrer Dissertation, die Ende 2011 erscheint, untersucht sie das Engagement lokaler palästinensischer Reiseanbieter und ausgewählter deutscher Veranstalter.

(5.519 Anschläge, 75 Zeilen, September 2010)