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Neue Unternehmen, neue Kunden braucht das Land

Laudatio zur Verleihung der TourCert-Zertifikate auf der ITB Berlin 2012


Unser Land braucht nicht nur neue, beispielgebende Reiseunternehmen, die mit Nachhaltigkeitsinitiativen vorangehen, es braucht auch neue und andere Kunden. Das geht sehr viel weiter: Wir müssen uns insgesamt klar werden, dass unser Lebensstil nicht nachhaltig ist. Nehmen wir mehr der Dienste und Leistungen der Natur in Anspruch, als diese wieder erstellen kann? Das ist es, was wir mit Nachhaltigkeit verbinden. Unser Lebensstil ist aus dieser Messlatte ein Stückchen herausgelaufen. Wir bemühen uns jetzt sehr viel stärker, keine Wegwerfgesellschaft zu bleiben, sondern Kreisläufe zu schließen, so wie wir das in der Natur kennen. In der Natur gibt es zum Beispiel keine Abfälle.

Wir müssen uns technisch und verhaltensmäßig so entwickeln, dass wir im Einklang mit den Leistungsfähigkeiten dieses Globus stehen. Der Nobelpreisträger Paul Crutzen hat schon im Jahr 2000 in der renommierten Zeitschrift "Nature" die Auffassung vertreten, wir seien bereits im "Anthropozen" – dem Zeitalter des Menschen. Ist der Mensch schon so weit, dass er bestimmt, was auf dieser Erde passiert? Die Unterscheidung zwischen Naturkatastrophen oder von Menschen gemachten Katastrophen wird überlappend.

Unternehmenserfolg nicht auf Kosten der Umwelt

Das ist nicht so etwas Akademisches, wenn wir fragen: Wie handeln wir eigentlich, individuell, als Kunde, als Verbraucher, als Reisende, und wie bringen wir auch Angebote zustande, die der Nachhaltigkeit etwas mehr Rechnung tragen? Deswegen müssen wir immer stärker bei Unternehmen ansetzen und sagen: Legt Rechenschaft darüber ab, wie ihr Euer Geschäft betreibt. Es gibt Bestrebungen, dass Unternehmen nicht nur Gewinne und Verluste und die Bilanz vorlegen, sondern auch die Kosten, die sie der Umwelt aufgebürdet haben: Wie viel Emissionen an SO2, an CO2, an NOx, etc.? Wie viel Abwasser ist entstanden, welche Belastungen sind damit verbunden? Konnten wir auch in dieser Hinsicht gute Ergebnisse erzielen oder haben wir unseren betrieblichen Erfolg nur erreicht, indem wir noch mehr Kosten auf die Umwelt abgewälzt und die soziale Stabilität gefährdet haben?

Ist das Bruttosozialprodukt noch der richtige Indikator für unser Handeln, ist das noch Wohlstand? Oder ist Wohlstand nicht ganz anders definiert? Darüber nachzudenken schafft Märkte für solche Produkte. Mir geht es darum, dass wir solche Reiseveranstalter, solche Reisebüros auszeichnen, aber dass wir auch alle zusammen dafür arbeiten, dass sie, die ausgezeichnet werden, zunehmend sagen, das zahlt sich aus. Wir sehen in vielen anderen Bereichen, dass das der Fall ist, im Nahrungsmittelbereich zum Beispiel ganz eindeutig. Das ist eine tolle Entwicklung.

Die Bürger achten immer stärker darauf, wo und wie etwas erzeugt worden ist. Welche sozialen Konsequenzen sind damit verbunden? War da Kinderarbeit im Spiel? Welche ökologischen Konsequenzen sind damit verbunden? Konnten die Anbieter so billig sein, weil die keine Rücksicht auf Abwasser und Abluft nehmen mussten? Ich möchte die beiden Seiten stark zusammenbringen: die Anbieter und die Kunden, die das aufgreifen. Denn wenn uns das gelingt, wird dieser Verstärkungseffekt unmittelbar eintreten.

Welche Kriterien kommen in Frage? Natürlich ganz besonders die Energien, mit denen das Angebot, das Produkt erstellt wird. Wie weit ist es möglich, solche Energien mit zu nutzen, die wesentlich weniger CO2-Emissionen verursachen und damit eine ganz andere Auswirkung auf die Entwicklung unseres Klimas haben?

Entscheiden ohne bereuen zu müssen

Wissenschaft besteht immer darin, dass jemand versucht, bisher gesicherte Ergebnisse der Wissenschaft zu widerlegen. Sie ist nie endgültig, sondern im Augenblick richtig. Wenn wir fragen, was denn absolut richtig ist und dann erst handeln, handeln wir eigentlich nie. Menschliches Entscheiden ist immer ein Entscheiden bei unvollkommener Information. Es kann nicht überraschen, dass immer wieder ganz besonders kluge Menschen kommen und sagen "Vielleicht ist das gar nicht so mit dem Klimawandel, vielleicht hat das gar nichts mit CO2 zu tun". Wenn das nur gemacht wird, um ein Alibi zu finden, jetzt nicht zu handeln und sich seines Wohlstands zu erfreuen, auf Risiken der Zukunft, dann bin ich da nachhaltig dagegen. Dann müssen wir klar machen: Beweise und vor allem Handeln sind besser als Reden. Solange wir die endgültigen Beweise nicht haben, verpflichtet uns auch das Vorsorgeprinzip, so zu handeln, dass wir auch dann gut gehandelt hätten, wenn sich irgendwelche Änderungen in der grundlegenden Hypothese ergeben hätten.

"No regret" – das bereut man nicht, wenn man CO2 eingespart hat. Mir hat noch niemand gesagt, dass es gut sei, so schnell wie möglich alle verfügbaren fossilen Energieträger und Rohstoffe dieser Welt zu verfeuern, zu schlechten Wirkungsgraden, und unseren Nachkommen davon nichts zu lassen.

Was ist also die CO2-Bilanz solcher Reisen? Wenn Reiseveranstalter von der ersten Idee bis zur Durchführung mitmachen, kommen wir genau in die Lieferkette hinein. Nicht nur "Was machst Du?", sondern: "Was machen Deine Lieferanten? Hast Du möglicherweise sogar das, was Dein Produkt zuhause belasten würde, bewusst ausgelagert, damit es dort hergestellt wird, wo niemand so genau hinguckt?"

Regionale Wirtschaftskreisläufe stärken

Die Wirkungen der Ausgaben, die Touristen tätigen, sind für die regionale Wirtschaft oft recht gering. Die Touristen bringen quasi alles mit. Früher, als wir noch nicht so diplomatisch diskutieren mussten, fragten wir, warum das Länderkennzeichen der Niederlande NL ist. Die Auflösung stammt aus Italien. Es heißt "Niente lire". Die Holländer waren "autark", sie brachten alles mit. Was vor Ort ausgegeben wurde, war für die Entwicklung der dortigen Wirtschaft vergleichsweise gering.

Unser Ziel auch in der entwicklungspolitischen Verantwortung muss sein, alles zu tun, um örtliche Produkte zu verwenden, das zu nutzen, was in der Zielregion vorhanden ist, um dadurch einen multiplikativen Effekt in der Weiterentwicklung der Wirtschaft zu erzielen, gleichzeitig CO2 einzusparen und alles dazu beizutragen, dass auch die Natur vor Ort erhalten bleibt. Denn für Destinationen im Tourismus ist die Natur Kapital. Wir haben viele gesehen, die dieses Kapital verschleudert haben.

Tourismus ist ein wichtiges Instrument der Entwicklungsförderung. Es ist ein wichtiger Punkt in einer Welt, die auf neun bis zehn Milliarden Menschen hingeht, dass wir das nachhaltig machen. Dass wir keine Wegwerfgesellschaft sind, sondern eine Kreislaufgesellschaft. Dass wir uns Gedanken darüber machen, welche Konsequenzen unsere Reise hat. Wenn wir das tun, dann haben wir nicht nur ein besseres Gewissen, sondern wir haben auch in der guten Erwartung gehandelt, dass sich das in der Breite, in der Bevölkerung weiter durchsetzt.

Klaus Töpfer ist Direktor des Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam. Von 1987 bis 1994 war er Bundesumweltminister, von 1998 bis 2006 Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) in Nairobi.

Der vorliegende Beitrag ist eine gekürzte, bearbeitete Fassung seiner Laudatio auf die TourCert-geprüften Reiseveranstalter und Reisebüros, die im März 2012 auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin ausgezeichnet wurden.

Weitere Informationen: www.tourcert.org

(6.745 Zeichen, 89 Zeilen, Juni 2012)