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Milchmädchen(be)rechnung bei Flugemissionen

Welttourismusorganisation vernachlässigt wesentliche Klimawirkungen


Indem sie den Emissionsrechner der Luftfahrtindustrie empfiehlt statt sich an die Berechnungen des Weltklimarates zu halten, setze die Welttourismusorganisation (UNWTO) ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Mit diesem Vorwurf hat sich eine Gruppe tourismuskritischer Organisationen im Juli 2008 in einem offenen Brief an die UNWTO gewandt und um eine Erklärung gebeten.


Anlass war die Meldung der UNWTO zum diesjährigen Weltumwelttag am 5. Juni, in der sie ihre Kooperation mit der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) bekannt gab. Die ICAO hat einen Emissionsrechner entwickelt, der von der UNWTO mitgetragen wird. Sowohl die Reisebranche als auch Reisende sollen ermutigt werden, eine freiwillige Klimagasabgabe zu leisten, um die durch den Flug verursachten Emissionen an anderer Stelle einzusparen. Auch der Internationale Luftverkehrsverband (IATA) empfiehlt seinen Mitgliedern die ICAO-Methodologie.


Die ICAO-Methodologie berechnet jedoch nur einen Teil der Emissionen, nämlich nur das CO2, und vernachlässigt dabei den Strahlungsantrieb (RFI), der neben dem CO2 für weitere klimawirksame Effekte verantwortlich ist.

Der Strahlungsantrieb (RFI) nach Empfehlung des Weltklimarates

Besonders in höheren Flughöhen können die Emissionen weitere Treibhauseffekte bewirken, die über die reinen CO2-Emissionen hinausgehen. Der so genannte Strahlungsantrieb, auch Radiative Forcing Index (RFI), ist ein Multiplikator, mit dem der CO2-Ausstoß in größeren Flughöhen multipliziert wird. Er wird im IPCC-Bericht von 2007 auf zwischen 1,9 und 4,7 geschätzt. Der IPCC-Report hat noch 1999 einen RFI von 2,7 empfohlen. Die “Zwischenstaatliche Sachverständigengruppe über Klimaänderungen“ (IPCC) ist der Weltklimarat der Vereinten Nationen. Als beigeordneter Ausschuss der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) hat er die Aufgabe, die Risiken der globalen Erwärmung zu beurteilen und Vermeidungsstrategien zusammenzutragen.

Standards setzen im Klimaschutz


Die deutsche Bundesregierung, die Europäische Umweltagentur und der “World Wide Fund for Nature“ (WWF) empfehlen einen RFI von drei. Mit diesem Multiplikator wird für einen einfachen Flug von Frankfurt nach New York eine Klimagasemission von 2000 kg errechnet. Die ICAO kommt dagegen nur auf 416 kg, also auf weniger als ein Viertel. Dies lässt darauf schließen, dass nicht nur der RFI vernachlässigt wird. Es wird zudem von einer konstanten hundertprozentigen Auslastung der Maschinen ausgegangen – was nicht der Realität entspricht.

"Der ICAO-Emissionsrechner trivialisiert die anfallenden Emissionen", heißt es in dem Brief der Nichtregierungsorganisationen. "Den tatsächlichen Zusammenhang mit dem Klimawandel beschreibt er nicht."


In seiner Antwort räumt UNWTO-Generalsekretär Francesco Frangialli ein, dass in einer Studie der UNWTO zu Klimawandel und Tourismus auch auf den RFI eingegangen werde. Da es jedoch noch erhebliche Unsicherheiten über den Anteil anderer Gase am Treibhauseffekt gebe, habe die ICAO entschieden, zunächst nur die CO2-Emissionen zu berücksichtigen. Sie sei aber dabei, sich mit dem Weltklimarat darüber abzustimmen, welcher Multiplikator bei Kompensationsprogrammen gegebenenfalls angesetzt werden sollte.

UNWTO unterstützt "greenwashing"


Die UNWTO ignoriere mit ihrem Vorgehen den wissenschaftlichen Stand der Klimaforschung und stifte zum "greenwashing" an, so die Folgerung der Nichtregierungsorganisationen. "Gerade als Institution der Vereinten Nationen sollte es der UNWTO doch ein Anliegen sein, bei ihren Mitgliedern ein Klimabewusstsein zu fördern, und dazu gehört zunächst, auch die Klimawahrheit auszusprechen", sagt Heinz Fuchs von EED-Tourism Watch. "Lufthansa und TUIfly freuen sich natürlich, wenn sie mit ihren Klimamogelpackungen jetzt auch noch den Segen einer UN-Organisation bekommen", so Fuchs.


Air Berlin verweigert sich dem Thema ganz und bietet überhaupt keinen Emissionsrechner an. Die Ignoranz gegenüber notwendigen Klimaschutzmaßnahmen hat dem Unternehmen eine unrühmliche Trophäe eingebracht. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) hat Air Berlin-Chef Joachim Hunold als "größten Umweltsünder" mit dem Dinosaurier-Preis 2007 ausgezeichnet. Hunold habe den "Dinosaurier" – Deutschlands peinlichsten Umweltpreis – mehr als verdient. Obwohl ihm die negativen Folgen des Klimawandels bekannt seien, spiele er das Thema unverfroren in der Öffentlichkeit herunter, begründete NABU-Präsident Olaf Tschimpke den "Dinosaurier".


Auch die UNWTO verharmlost die klimaschädigende Wirkung des Fliegens. Immerhin gibt es bereits Emissionsrechner, die alle zurzeit verfügbaren Parameter berücksichtigen und weitaus fortschrittlicher sind als der ICAO-Rechner. Ob die Kunden dann den höheren Preis zahlen möchten, ist ihre freiwillige Entscheidung, aber immerhin wissen sie dann, welche Parameter in die Preisbildung eingeflossen sind und welchen monetären Aufwand es tatsächlich bedeutet, die Klimagase an anderer Stelle einzusparen.

Sabine Minninger ist Diplom-Geografin und arbeitet im Auftrag des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) und in Zusammenarbeit mit der Ecumenical Coalition on Tourism (ECOT) zu Klimaschutz und Katastrophenvorsorge im Tourismus.

(5.051 Anschläge, 69 Zeilen, September 2008)