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Menschenrechte und lokale Initiativen

Weltsozialforum in Tunis im Zeichen des arabischen Frühlings


Stark im Zeichen des "arabischen Frühlings" stand im März das elfte Weltsozialforum in der tunesischen Hauptstadt Tunis. Beide Bewegungen haben sich gegenseitig gestärkt: Die internationale Vernetzung hilft der tunesischen Zivilgesellschaft und der Demokratiebewegung im arabischen Raum, während der "arabische Frühling" dem Treffen der sozialen Bewegungen mit eigenen Schwerpunkten und Akteuren neuen Schwung verliehen hat.

Mit zwei großen Demonstrationen, diversen Foren und rund 1.000 Workshops bot das Weltsozialforum eine Plattform für ein riesiges Spektrum an Themen und politischen Anliegen. Tourismuskritische Gruppen waren in Tunis gut vertreten. Im Vordergrund stand für sie die Mobilisierung, zum Beispiel für lokale Initiativen bei der Veränderung von Machtstrukturen im Tourismus.

Menschenrechte im Fokus

Antje Monshausen von Tourism Watch – Brot für die Welt gab einen Überblick über die Verantwortung von Unternehmen beim Schutz der Menschenrechte, wie sie in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte definiert sind. Frans de Man von der niederländischen Stiftung Retour berichtete über die bislang eher dürftigen Erfolge mit dem Kodex zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung im Tourismus. "Wenn man mit der Wirtschaft arbeiten will, muss man die Dinge einfach halten", so de Man. "Doch wenn schon im Laufe der vergangenen 15 Jahre mit dem Kinderschutz-Kodex so wenige Fortschritte erzielt wurden – was werden dann die neuen UN-Leitprinzipien bringen?"

Rami Kassis von der Alternative Tourism Group (ATG) aus Palästina berichtete über die Situation im Tourismus in Palästina unter israelischer Besatzung. Durch Checkpoints im gesamten palästinensischen Gebiet und an den Grenzen zu Israel werde das Recht auf Bewegungsfreiheit eingeschränkt. "Indem Palästinenser auf der touristischen Landkarte und in touristischen Programmen nicht auftauchen, denken die Touristen in Palästina, sie seien noch immer in Israel", so Kassis. Es gebe so weder Einkommen für die Palästinenser noch Kontakte zwischen Palästinensern und Touristen. Die Touristen würden verunsichert und davon abgehalten, Palästina zu besuchen.

Adama Bah aus dem kleinen westafrikanischen Staat Gambia, der in hohem Maße vom Tourismus abhängig ist, arbeitet mit Menschen im informellen Sektor. Seine "Association of Small Scale Enterprises in Tourism" (ASSET) verschaffte Straßenhändlern Lizenzen, durch die sie besser respektiert werden. Mamadou Mbodji von den Naturfreunden berichtete von einer lokalen Initiative, die im Senegal dafür sorgen will, dass aus "Sand – Sea – Sex-Tourismus" "Flora – Fauna – Familientourismus" wird.

Sumesh Mangalassery von der indischen Organisation Kabani zeigte Beispiele von Menschenrechtsverletzungen entlang der East Coast Road, einer Küstenstraße im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu, auf. In Folge des von internationalen Finanzinstitutionen mitfinanzierten Infrastrukturprojekts kam es an der Küste zur Verdrängung von Einheimischen, zu Umweltschäden und zur Verschärfung des Trinkwassermangels. Ein Meeresbiologe aus Gambia untermauerte dies, indem er auf die negativen Auswirkungen des Tourismus auf die Kleinfischerei hinwies.

Ein Teilnehmer aus Mauretanien meinte, es müsse sichergestellt werden, dass die Einheimischen vom Tourismus profitierten und nicht unter den Auswirkungen zu leiden hätten. Das Wasser, in dem die Menschen fischen, dürfe nicht verschmutzt werden und bevor eine neue Hotelanlage gebaut werde, sollte eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen werden. Ebenfalls vorgeschlagen wurde eine Evaluierung der Menschenrechtsverletzungen im Tourismus, die sehr regionsspezifisch vorgenommen werden müsse. Dabei käme den Tourismusunternehmen, den Medien und der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle zu.

Lokale Initiativen für Entwicklung und politische Veränderungen

In einem zweiten Workshop-Teil ging es um die Rolle lokaler Tourismusinitiativen bei der Veränderung politischer Rahmenbedingungen. In Tunesien hat der Tourismus seit der Jasminrevolution starke Einbußen erlitten. Das gibt Anlass, die bisherigen Strukturen zu überdenken, die stark auf "all-inclusive" und die großen Hotelanlagen entlang der Strände von Djerba, Sousse, Monastir und Hammamet ausgerichtet sind. Tunesien ist ein Land, in dem 98 Prozent der Touristen als Massentouristen kommen. "Wie können wir sie dazu bringen, sich für alternative Projekte zu interessieren?" fragte ein Teilnehmer. Die anwesenden tunesischen Reiseveranstalter und Tourismusdienstleister hatten durch ihre eigenen Angebote eindeutige Antworten auf diese Frage: Z.B. zum Beispiel durch kleine, familiäre Unterkünfte, regionaltypisches Essen oder das Kunsthandwerk und die Architektur der Berber und Beduinen. Leider fehle ihnen bisher die Unterstützung für diese Angebote.

Neben Tourism Watch und Partnern nutzten auch andere Organisationen die Gelegenheit, auf dem Weltsozialforum Alternativen im Tourismus vorzustellen. So zum Beispiel die Association Méditerranéenne pour le Développement en Tunisie (A.M.D.T.), die im September 2011 in Tunis gegründet wurde. A.M.D.T. sieht in Tunesien ein großes Potenzial für solidarischen Öko- und Kulturtourismus und fördert innovative Projekte in wirtschaftlich benachteiligten Regionen.

Einen weiteren Tourismus-Workshop organisierte Tamadi, eine Nichtregierungsorganisation aus Frankreich, Belgien und Mali. "Wie erfühlt man ein Land, das sich bewegt, das träumt, das Kämpfe ausficht?" fragt Tamadi auf seiner Webseite (www.tamadi.org). Mit ländlichem Tourismus und Aktivitäten, die gesellschaftliche Veränderungen in den Partnergemeinschaften bewirken sollen, will "Tamadi" seinen Gästen Wege dazu bieten. Tamadi organisiert seit 2005 zusammen mit Partnern in Indien, Madagaskar, West-Sahara, Türkei und Tunesien "Solidaritätsreisen". Im Vordergrund steht dabei der interkulturelle Austausch. 70 Prozent des jeweiligen Reisepreises gehen an die Partner, die jedoch keine Tourismusunternehmen sind, sondern vor Ort entwicklungspolitische Arbeit leisten. So die Vereinigung der Jugendlichen von Zammour (Association des Jeunes de Zammour) im Süden von Tunesien, die versucht, Landflucht zu verhindern. Durch die Revolution und die darauf folgende Flaute im Tourismus geriet das Projekt jedoch ins Stocken. In der Türkei arbeitet Tamadi mit einer Bauernvereinigung in Ostanatolien und einer ländlichen Kooperative in Izmir zusammen. Auch in Mali und in der West-Sahara unterstützt Tamadi Projekte, bietet aber aufgrund der politischen Lage dort derzeit keine Reisen an.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Teilnehmenden, Initiativen und Organisationen, die aus verschiedenen Regionen der Welt auf dem Weltsozialforum zusammenkamen, zeigte sich gerade in den Tourismusveranstaltungen überwiegend Einigkeit sowohl in der Beschreibung der Probleme als auch in den Lösungsansätzen: Ein "anderer" Tourismus sei möglich und könne zu einer "anderen", besseren Welt beitragen.