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Mehr als Planschen an der Oberfläche

Junge Freiwillige in Guatemala


Schon auf dem Weg zur Schule begegnen Regine die ersten Kinder, mit denen sie arbeitet. "Hoy vamos a hacer otra vez clase de inglés?" Immer mehr Kinder schließen sich der Gruppe an und immer wieder stellen sie die gleiche Frage: "Lernen wir heute wieder Englisch?" Bei denen, die die junge Deutsche auf einen anderen Tag vertrösten muss, ist die Enttäuschung groß. "Viele Kinder sind im Unterricht noch sehr müde, weil sie einen langen Weg haben. Trotzdem ist ihre Begeisterung deutlich zu spüren. Die Aufgaben werden in Windeseile bearbeitet und jeder will der Erste sein, der mir seine Lösungen zeigt", erzählt Regine, die seit 2007 verschiedene Organisationen und eine Schule in Jocotenango in der Nähe von Antigua als Freiwillige unterstützt.

Viele Organisationen in Guatemala sind für solche Hilfe dankbar. Ohne die Unter­stützung von Freiwilligen könnten sie ihre Arbeit nicht im selben Umfang weiterführen. So sagt die Koordinatorin eines Schulprojektes für arme Kinder aus Ciudad Vieja: "Für uns ist es aus finanziellen Gründen nicht möglich mehr Personal einzustellen, um eine ausreichende Betreuung anzubieten. Die Hilfe von Freiwilligen ist daher dringend nötig. Außerdem ist es für die Kinder auch anregend, sich mit Menschen aus anderen Ländern austauschen zu können und so etwas über andere Kulturen zu lernen."

Freiwillige oder Reisende

Ob es beim Einsatz von Freiwilligen zu einer erfolgreichen Kooperation kommt, hängt nicht nur von den Motiven der Freiwilligen ab, sondern auch von der Organisation, in der die Freiwilligen mitarbeiten, und der Organisation, die die Freiwilligen dorthin ver­mittelt. Es besteht ein Unterschied zwischen Freiwilligen, die während ihres Projekt­aufenthaltes hin und wieder auch reisen, und Touristen, die auf ihrer Reise zwischen­durch auch als Freiwillige arbeiten.

Touristen widmen der Freiwilligenarbeit oft weniger Zeit (meist ein bis zwei Wochen) und der "Erlebnisfaktor" steht im Vordergrund. "Kurzzeitfreiwillige können in das Ge­schehen, das 'Drum-Herum' und 'Hinter-Dem-Vorhang' nicht integriert werden, sie planschen ein wenig an der Oberfläche herum, ohne zu erfahren was sich alles unter ihnen bewegt", stellt Maren fest, eine Freiwillige die 2007/2008 ein Jahr lang mit dem gemeinnützigen Verein "Projekt Mosaik" und dessen Partnerorganisationen arbeitete.

Personen hingegen, die ins Ausland gehen, um als Freiwillige zu arbeiten, planen mehr Zeit ein und wollen auch tatsächlich helfen. Oft sind es junge Frauen zwischen 20 und 30 Jahren. "Weil die Analphabetenquote in Guatemala sehr hoch ist und viele Kinder der bestehenden Schulpflicht nicht nachkommen, wollte ich meine Zeit nutzen, um meinen kleinen Teil zur Alphabetisierung in Guatemala beizutragen", erzählt Linda aus ihrer Erfahrung in einem Projekt in Alta Verapaz, in der Mitte Guatemalas. "Der Verein 'Projekt Mosaik' vermittelte mich an ein kleines Projekt für Kinder aus armen Verhältnissen. Dessen Anliegen ist, dass die Kinder zur Schule gehen können und bei ihren Hausaufgaben unterstützt werden. Leider haben sie aus finanziellen Gründen keinen einzigen fest angestellten Lehrer."

Vorbereitung tut Not

Oft kommt es in der Zusammenarbeit zwischen Freiwilligen und der Aufnahme­organisation zu Problemen, die durch bessere Vorbereitung hätten verhindert oder entschärft werden können. "Als Freiwillige in einem Kinder- und Frauenprojekt sollte ich helfen, durch spielerisches Lernen den indigenen Kindern die spanische Sprache zu vermitteln. Als die Leiterin für einige Zeit ins Ausland musste, habe ich gemeinsam mit einer Lehrerin die Kinder betreut. Wir haben uns viele neue Spiele einfallen lassen und allen hat das Zusammensein Spaß gemacht. Doch als die Leiterin wiederkam, war sie sichtlich enttäuscht. Wir hätten nicht ausreichend mit den Kindern gearbeitet, war ihre Meinung, da ja nicht ein neues Bild an der Wand hängen würde. Ich versuchte ihr die Situation zu erklären, aber ein Gespräch war kaum mehr möglich", erinnert sich Sabrina, ein junge Freiwillige, die für drei Monate am Lago Atitlan tätig war.

Das Beispiel zeigt, wie wichtig Kommunikation für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist. Wären zu Beginn in einem Gespräch die jeweiligen Vorstellungen und Ideen abge­sprochen worden, wäre es vielleicht nicht zu dieser Situation gekommen. Doch vielen Verantwortlichen vor Ort ist nicht bewusst, wie wichtig ein Einführungsgespräch mit den Freiwilligen ist. Sie brauchen beim Aufbau eines Freiwilligenmanagements Hilfe, da es ihnen an Personal und Erfahrung mangelt. Erfolgt der Freiwilligeneinsatz durch eine Entsendeorganisation, kommt dieser die Aufgabe zu, die Aufnahmeorganisation zu unterstützen und auch die Freiwilligen angemessen auf ihren Aufenthalt vorzubereiten. Ob letzteres im Heimat- oder Zielland geschieht, ist eher zweitrangig. Wichtig ist, dass die Freiwilligen von Personen vorbereitet werden, die sowohl das Land als auch die Aufnahmeorganisation persönlich kennen.

Die Bereitschaft der Freiwilligen, sich an bestehende Arbeitsweisen anzupassen, und die Offenheit der Organisation für neue Ideen sind Themen, die von Entsendeorganisa­tionen aufgegriffen werden sollten. Durch die Sensibilisierung für die jeweils andere Kultur können schon im Vorfeld mögliche Problemfelder aufgezeigt und Lösungs­ansätze erarbeitet werden.

Verantwortliche Vermittlung

Entsendeorganisationen müssen ebenfalls sicherstellen, dass Freiwillige nicht dort ein­gesetzt werden, wo eigentlich ein Arbeitsplatz mit einem einheimischen Mitarbeiter besetzt sein sollte. Dazu ist ein regelmäßiger und persönlicher Kontakt notwendig. Dieses Problem findet sich hauptsächlich bei größeren Aufnahmeorganisationen, die manchmal eine "Aufwandsentschädigung" dafür zahlen, wenn die Freiwilligen mindes­tens zwölf Monate dort arbeiten. Die von den Freiwilligen oft als gering eingeschätzte Aufwandsentschädigung bedeutet für einheimische Mitarbeiter meist schon ein akzep­tables Monatsgehalt.

Leider passiert es immer wieder, dass Freiwilligenarbeit von kommerziellen Entsende­organisationen rein als profitabler Geschäftszweig gesehen wird und die Interessen der Freiwilligen und der Aufnahmeorganisationen dabei vernachlässigt werden. Der "geregelte" Einsatz von Freiwilligen ist wichtig, um sicherzustellen, dass auch die Auf­nahmeorganisation von der Zusammenarbeit angemessen profitiert. Dies gilt vor allem dann, wenn die Motive der Freiwilligen vorwiegend persönlicher Natur sind. Freiwillige können immer wieder dort helfen, wo ihre Hilfe tatsächlich auch gebraucht wird. Dass sie dabei auch ihren Erfahrungsschatz und ihre interkulturelle Kompetenz erweitern, ist ein durchaus positiver Nebeneffekt.

Anouk Reitz arbeitete 2004/2005 ein Jahr als Freiwilligenkoordinatorin der Organisation "Proyecto Mosaico" in Guatemala. Seit 2005 ist sie zweite Vorsitzende des deutschen Vereins Projekt Mosaik e.V. und koordiniert die Arbeit in Mittelamerika.

(6.712 Anschläge, 88 Zeilen, Juni 2009)