Während es im Nordosten Brasiliens im Staat Ceará erfolgreichen zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen eine wenig nachhaltige Tourismusentwicklung gibt, sind in den Bundesstaaten Bahia und Rio Grande do Norte das Immobiliengeschäft und der Bauboom außer Kontrolle geraten.
An der Nordküste von Rio Grande do Norte sind in den nächsten zehn Jahren rund 100 Immobilienprojekte geplant. 120.000 Wohneinheiten sollen gebaut werden, mit einem Investitionsvolumen von 2,5 Milliarden US-Dollar (1,95 Milliarden Euro) – wenn die Finanzkrise den Investoren nun keinen Strich durch die Rechnung macht. Im Bundesstaat Bahia geht es vor allem im Gebiet von Praia do Forte noch schlimmer zu. Hier ist das größte Tourismus-Resort "Costa Sauipe" nach Investitionen von über 1,5 Milliarden Real (ca. 500 Millonen Euro) durch den Pensionskassenfonds der Staatsbank "Banco do Brasil" jetzt für 200 Millionen zu haben. Ein möglicher Käufer könnte nach bislang unbestätigten Presseinformationen in Dubai zu Hause sein.
Immobilienboom an der brasilianischen Küste
Die gigantischen Immobilienprojekte in Brasilien werden hauptsächlich von spanischen Immobilienfirmen vorangetrieben, die mittlerweile die Mittelmeerküste nicht einfach weiter zerstören können. Denn am Mittelmeer gibt es angesichts des durch den Klimawandel drohenden Anstiegs des Meeresspiegels inzwischen strengere Richtlinien, um die Küstenlandschaften nicht mit Resorts, Golfplätzen und Yachthäfen zuzupflastern.
In Österreich und der Schweiz gibt es strenge Regelungen, um Zweitwohnsitze zu beschränken und so genannte "kalte Betten" zu vermeiden. Die Schweiz beschränkt die Möglichkeiten von Ausländern, die nicht in der Schweiz leben, dort Grund und Boden zu erwerben. Im österreichischen Tirol dürfen Zweitwohnsitze nicht mehr als acht Prozent aller Wohngebäude ausmachen und müssen in der Zonenplanung ausgewiesen sein. In Brasilien gibt es jedoch keine derartigen Beschränkungen.
Deutlicher als es der Manager des spanischen Unternehmens Iberostar, Esteban de la Cruz, auf den Punkt gebracht hat, kann es ein Investor wohl kaum ausdrücken: “Nach all der Zerstörung dort (in Spanien) sind die Gesetze sehr restriktiv geworden. Hier in Brasilien ist es wundervoll. Wie mit einer jungen, willigen und selbstgefälligen Jungfrau kann man machen, was man will”.
Widerstand in Ceará
So treiben brasilianische und internationale Investoren den Bau von Mega-Resorts voran. An der Küste im Nordosten Brasiliens befinden sich mehr als 33 große Tourismuskomplexe in verschiedenen Planungs- und Baustadien. Das Entwicklungsmodell der Region ist wenig nachhaltig. Es wird auf Schwerindustrie (Erdölraffinerien, Stahlwerke), die intensive Garnelenzucht und einen Tourismus gesetzt, der an den Menschen vorbeigeht. Diese Großinvestitionen, einschließlich der Umleitung des Flusses São Francisco, gehören zu Präsident Lulas Infrastrukturprojekt, das die Wirtschaft ankurbeln soll. Die Auswirkungen sind verheerend: Der Wohlstand konzentriert sich in den Händen einiger weniger Investoren und Spekulanten, es werden enorme Mengen Wasser verschwendet, die Küstengewässer werden verschmutzt, die Küstenbewohner marginalisiert. Gleichzeitig wird die für die Region so wichtige traditionelle Fischerei vernachlässigt.
Doch die Bevölkerung wehrt sich, seit vielen Jahren schon. In Ceará wurde durch den Widerstand von Bürgerinitiativen und unter Einsatz von Rechtsmitteln eine Reihe von Bauvorhaben erfolgreich verhindert. So wurde der Bau von Hotelanlagen wie "Nova Atlantida", "Aquiraz Riviera Beach", "Cumbuco Golf Resort" und "Playa Mansa Resort" durch die Staatsanwaltschaft gestoppt. Der Bau des "Resort do Pirata" wird durch den Widerstand der Bevölkerung hinausgezögert. Im Falle des "Aquiraz Beach Resorts" und des "Boa Vista Resorts Maceio" hat die Staatsanwaltschaft den Einwohnern das Landrecht zugesagt und dadurch den Bau verhindert. Durch den Bau des "Porto Canoa" wurde eine natürliche Dünenlandschaft völlig zerstört. Die Anlage ist heute wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit geschlossen. Die Frage ist, wer stellt die zerstörte Umwelt wieder her? Die Problematik der Immobilienspekulation wiederholt sich in ganz Lateinamerika und der Karibik, wie aus verschiedenen Beiträgen auf dem Weltsozialforum 2009 zu erfahren war.
Alternative Konzepte
Das Modell selbstbestimmter Tourismusentwicklung ("turismo comunitário"), dem sich einige Dorfgemeinschaften in Brasilien verschrieben haben, zeigt, dass es Alternativen gibt, durch die die Einheimischen sehr viel besser am Nutzen des Tourismus teilhaben können (vgl. Beitrag "Turisol"). Wo Strandhäuser und Ferienwohnanlagen die Landschaft verschandeln, ohne dass sie wirtschaftlichen Nutzen bringen, gibt es ebenfalls bessere Konzepte. Eine Alternative zu Tausenden von Zweitwohnsitzen, die die meiste Zeit leerstehen, sind zum Beispiel "Time Share"-Resorts, wie es sie in Europa bereits gibt. Sie bremsen die Nachfrage nach Neubauten, die ja auch finanziert werden müssen, und erlauben den Touristen eine weitaus flexiblere Wahl ihres Ferienziels.
Die Beispiele aus Ceará, Bahia und Rio Grande do Norte zeigen ganz klar, dass das, was die Regierungen dieser Bundesstaaten Tourismusentwicklung nennen, in Wirklichkeit ein globales Immobiliengeschäft ist. Es geht um Milliarden spekulativer Dollar, die auf den Geldmärkten zirkulieren. Die Gegenwart ist voll von kleinen und großen Tragödien, durch die sich die Taschen derjenigen weiter füllen, die ohnehin schon mehr als genug haben: Grundstücksspekulanten und Investoren, die von staatlichen Investitionen in die Infrastruktur und von Steueranreizen profitieren.
Aber es zeigt sich auch, dass solche Tourismuskomplexe zunächst kaum rentabel sind. Der Zeitraum, bis so eine Anlage sich wirtschaftlich rechnet, ist sehr lang. Ein Ausweg scheint der Ausverkauf der Küstengebiete zu sein, aus dem sich in kurzer Zeit enormer Profit schlagen lässt.
Hier kommt die Finanzkrise zum richtigen Zeitpunkt. Die mangelnde Wirtschaftlichkeit der Hotelkomplexe und die finanziellen Schwierigkeiten der großen – spanischen und portugiesischen – Spekulanten könnten dem Immobilienboom in Brasilien in naher Zukunft deutliche Grenzen setzen.
René Schärer, Fórum em Defesa da Zona Costeira do Ceará (Forum zum Schutz der Küste von Ceará), lebt und arbeitet als Entwicklungshelfer in Prainha do Canto Verde/Brasilien. Er ist Mitgründer des Instituto Terramar in Fortaleza. Der Beitrag basiert auf einer Präsentation auf dem Weltsozialforum in Brasilien im Januar 2009.
(6.294 Anschläge, 85 Zeilen, März 2009)