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"Hier kotzte Goethe"

Heritage-Konferenz im südenglischen Brighton


Um die Widersprüchlichkeiten bei der Vermittlung und dem Verkauf von Natur- und Kulturerbe ging es auf der Jahreskonferenz 2008 der Association for Tourism and Leisure Education (ATLAS), die unter dem Titel "Selling or Telling" Anfang Juli im südenglischen Brighton stattfand.


Im Vergleich zu früheren Ansätzen des Denkmalschutzes geht es beim Kulturerbe um ein neueres Paradigma, das in den 1980er Jahren aufgekommen ist. Man kam davon ab, sich nur auf Objekte aus der Vergangenheit zu konzentrieren. Vielmehr traf man Annahmen über Prozesse und Erfahrungen und interpretierte, was sie für uns heute bedeuten – auf sehr selektive Art, wie der Raumplaner Gregory Ashworth aus Groningen betonte.

Dabei hat Kulturerbe an sich keinen eigenen, ihm innewohnenden Wert. Jeglicher Wert wird ihm zugeschrieben und ist veränderlich. Kulturerbe kann je nach Bedarf geschaffen werden. Wenn es eine Nachfrage danach gäbe, ließen sich auch mehrere Venedigs erschaffen. Die Ansätze zum Denkmalschutz dagegen zielen auch darauf ab, Denkmäler vor den Touristen zu schützen. Kulturerbe zu definieren, heißt nicht zuletzt, Macht zu demonstrieren. Es kann entfremden, ausschließen, irritieren, trennen, verärgern oder unglücklich machen.


Was Kultur- und Naturerbe ist und was nicht, wird selten durch demokratische Entscheidungsprozesse bestimmt, meinte auch Martijn Duineveld von der Universität Wageningen. Es sei eher eine Entscheidung von Experten. Ein weiteres Dilemma bestehe darin, wie dann mit dem Kultur- und Naturerbe umzugehen sei. Soll man es in einem Museum ausstellen, wiederaufbauen und erhalten oder kommerzialisieren und "touristifizieren"?


Donald MacLeod von der Universität Glasgow machte deutlich, dass die Kontrolle über die Darstellung von Kultur- und Naturerbe in unterschiedlicher Hand sein kann. Dem von offizieller Seite unterstützten Kultur- und Naturerbe steht das inoffizielle Kultur- und Naturerbe gegenüber, das Gemeinden auf lokaler Ebene für sich selbst bestimmen und pflegen. So wurde zum Beispiel in der Dominikanischen Republik die Altstadt der Hauptstadt Santo Domingo mit einer Statue von Christoph Kolumbus zum Weltkulturerbe erklärt. In Bayahibe dagegen erinnern die Einwohner an Juan Brito, den einstigen Gründer des Fischerdorfes, der 1874 aus Puerto Rico kam.


Carl Cater von der Griffith Universität, Australien, berichtete, dass auf der indonesischen Insel Lombok die Bevölkerung am Rinjani, dem zweithöchsten vulkanischen Berg Indonesiens, ihr spirituelles Erbe selbst kartiert und interpretiert hat. Daraus sei ein zweisprachiges Büchlein entstanden, das nicht nur Pilger und Touristen anspricht, sondern auch für die ortsansässige Bevölkerung eine wichtige Ressource darstelle.


Sarah Bologna aus Südafrika berichtete über die “wahre Macht der falschen Darstellung". Im Nordwesten des Landes soll durch exklusiven, hochpreisigen Ökotourismus die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung verbessert und ihre Gesellschaft "modernisiert" werden. Dazu werde das Wildreservat Madikwe als wildes, ursprüngliches Naturerbe Südafrikas vermarktet. "Doch wessen Erbe ist es eigentlich?”, fragen die Anwohner, die keinen Zugang zu dem Gebiet haben. "Wessen Erbe, wenn nur die reichen Ausländer auserwählt sind, das Schutzgebiet zu betreten?"

Die Frage, um wessen Erbe es gehe, sei keine Frage von mehr oder weniger Einkommen, sondern in einigen Fällen eine Frage von Leben und Tod, sagte Wolfgang Arlt von der Fachhochschule Stralsund mit Blick auf Tibet. Die chinesische Regierung nutzt das Schangri-La-Image des tibetischen Bezirks Garze – der Heimat des Volkes der Kangba (Khampa) – um das östliche Tibet touristisch zu vermarkten. Die Region liegt im Grenzgebiet zwischen Sichuan, Yunnan und Tibet. Verschiedene Kulturen – die der Han-Chinesen, die tibetische und andere – treffen hier aufeinander. Dadurch entstand in dieser wenig entwickelten Region eine einmalige Kulturlandschaft. Der Tourismus wird als entwicklungspolitisches Instrument genutzt. Das Volk der Kangba strebt nach Unabhängigkeit von den "Gelben Hüten" (den Anhängern des Dalai Lama) und von den Chinesen. Die chinesische Regierung will eine Entwicklung nach chinesischem Muster. Die Minderheitenkultur lässt sich gut "verkaufen". Während sich chinesische Touristen vor allem für die schöne Natur interessieren, verstehen ausländische Besucher nur wenig von der Tradition der Kangba – der "Starken Männer" – und ihrem Widerstand gehen die "Gelben Hüte". Die Tibeter haben das Image eines sanftmütigen, Gott zugewandten Volkes.


Stephen Haller von der Wilfried Laurier Universität, Kanada, untersuchte die Frage, was "echt" sei und was künstlich. Touristen suchen nach Komfort-Zonen. Sie projizie¬ren unweigerlich ihre Fantasien in ihre Urlaubserfahrungen. Die seien jedoch immer auf die eine oder andere Weise "fabriziert" und niemals völlig authentisch. "Ist es falsch, die Dinge anders zu sehen, als sie wirklich sind?", fragte Haller. Man müsse nicht immer die Wahrheit sehen. Falsche Eindrücke können über einen Ort genauso viel sagen wie die Realität. "Wir haben die Chance, die Geschichten, die wir erzählen, zu erfinden."

(5.206 Anschläge, 68 Zeilen, Dezember 2008)