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"Ein anderer Tourismus ist dringlich und nötig!"

Drei Fragen an Esther Neuhaus, Koordinatorin der Tourismusveranstaltungen auf dem Weltsozialforum 2009 in Brasilien


Auf dem Weltsozialforum (WSF) 2009, das vom 27. Januar bis 1. Februar in Belém im brasilianischen Bundesstaat Pará stattfand, ging es in verschiedenen Veranstaltungen auch um Tourismus. Die anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer des "Global Tourism Interventions Forum (GTIF)" verabschiedeten die "Erklärung von Belém", die wir im Anhang dokumentieren.

Zu den Erfahrungen, die in Brasilien zur Sprache kamen, und dem Stellenwert des WSF zur Unterstützung eines nachhaltigeren Tourismus befragten wir Esther Neuhaus, Koordinatorin des Brasilianischen Forums von Nichtregierungsorganisationen und gesellschaftlichen Bewegungen für Umwelt und Entwicklung (FBOMS).

TW: Hat das Weltsozialforum neue Wege aufgezeigt, um einen "anderen", einen umwelt- und sozialverträglicheren Tourismus möglich zu machen?

Esther Neuhaus: Die Veranstaltungen auf dem WSF hatten zwei Ziele: Einerseits wollten wir das aktuelle Tourismusmodell kritisieren, das mehr und mehr zur Zerstörung der Umwelt und der sozialen Strukturen, insbesondere in Entwicklungsländern beiträgt. Anderseits wollten wir aufzeigen, dass ein anderer Tourismus ebenso möglich wie dringlich ist. Wir haben in Belém einen Workshop organisiert, der interessante Alternativen aus verschiedenen Ländern vorstellte. Bei diesen alternativen Tourismuskonzepten bestimmt die lokale Bevölkerung selbst, wie der Tourismus sich entwickeln soll, ohne Einmischung internationaler Spekulanten und Unterwerfung der Natur, mit Respekt für die Umwelt, begrenzten Besucherzahlen und gemeinschaftlichen Entscheidungs- und Besitzstrukturen. So wird sichergestellt, dass das Einkommen aus dem Tourismus nicht traditionelle Einkommensquellen wie die Landwirtschaft und die Fischerei ersetzt und dass der Gewinn im Dorf bleibt und gemeinschaftlichen Projekten zugute kommt. Interessant ist, dass diese Dörfer sich mehr und mehr zusammenschließen, Erfahrungen austauschen, gemeinsame Produkte anbieten und sich vernetzen (vgl. Beitrag zum brasilianischen Netzwerk "Turisol" auf S. 7).

TW: Welche Anliegen standen im Mittelpunkt?

Esther Neuhaus: Dank der Mitarbeit mehrerer Organisationen (s. Anhang S. 24) sowie der Unterstützung der Schweizer Stiftung für Solidarität im Tourismus und des Vereins der "Freunde von Prainha do Canto Verde" konnten wir auf dem WSF vier Tourismus-Workshops durchführen. Der erste untersuchte die aktuelle Tourismuspolitik in Brasilien (vgl. Beitrag S. 5) sowie in Indien, Argentinien, Peru, Ecuador, Costa Rica und Panama, insbesondere in Bezug auf die Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungsprozessen. Ein anderer Workshop untersuchte die negativen Auswirkungen von Mega-Resorts und Finanzspekulationen auf die Landrechte der Einheimischen und auf soziale Konflikte. Zugleich wurden die Folgen für Frauen und indigene Völker kritisiert. Beispiele hatten wir hier aus dem Nordosten Brasiliens, aus Peru, Nicaragua und Argentinien. Ein dritter Workshop widmete sich dem aktuellen Thema Klimawandel und untersuchte die Auswirkungen des Temperaturanstiegs und der immer häufiger auftretenden Klimakatastrophen auf den Tourismus. Umgekehrt hatten die Beiträge aus den USA, von einer Massai aus Kenia, aus Brasilien, Holland und Peru auch den Tourismus als Verursacher des Klimawandels zum Thema. In diesem Workshop ging es vor allem auch darum, die Rolle der Konsumenten in Europa zu hinterfragen. Der vierte Workshop schließlich zeigte die oben genannten Alternativen auf.

TW: Wie können sich tourismuskritische Gruppen und andere globalisierungs-kritische Bewegungen gegenseitig stärken?

Esther Neuhaus: Mit dem Thema Klimawandel haben wir klar gemacht, wie wichtig vernetztes Denken und Handeln ist, auch für die Zivilgesellschaft. Die unkontrollierte Globalisierung der Wirtschaft, die aktuelle Finanzkrise und die Klimakrise haben alle Sektoren der Wirtschaft und Gesellschaft getroffen, und deshalb ist koordiniertes Handeln von tourismuskritischen und anderen Bewegungen grundlegend. Auf dem Weltsozialforum kommen all diese Gruppen zusammen und die Netzwerke werden gestärkt. Für unsere Gruppen ist es deshalb wichtig, dass wir die Kritik am aktuellen Tourismusmodell in den Kontext einer generellen Kritik am neoliberalistischen Wirtschaftsmodell stellen, das jahrzehntelang die natürlichen Ressourcen unseres Planeten und die sozialen Strukturen indigener und traditioneller Völker und Gemeinschaften gefährdet oder gar zerstört hat. Um uns gegenseitig zu stärken, ist es wichtig, gemeinsame Diskussionen und einige große Kampagnen zu organisieren, wie zum Beispiel zum Thema Klimagerechtigkeit. Einerseits können wir so die Gesellschaft, die Medien und die Regierung mit klaren Informationen beliefern. Anderseits bringen wir auf diesem Weg soziale Bewegungen, Umweltorganisationen, Landlose, Kleinbauern, Fischer, Gruppen, die sich für Menschenrechte und gegen Rassendiskriminierung einsetzen, Frauenbewegungen und Jugendliche zusammen.

Weitere Informationen: www.fboms.org.br. Dort ist auch ein Teil der erwähnten WSF-Beiträge aus verschiedenen Ländern eingestellt. 

(5.113 Anschläge, 68 Zeilen, März 2009)