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All inclusive: Barrierefreier Tourismus ist ein Gewinn für alle


Von Lea Thin, freie Autorin

Weltweit leben über eine Milliarde Menschen mit Behinderungen, rund 15 Prozent der Weltbevölkerung. Ihre Bedürfnisse sind vielfältig und reichen von Mobilitäts-, Seh- und Hörbeeinträchtigungen bis hin zu kognitiven und psychiatrischen Einschränkungen. Diese Vielfalt macht die Umsetzung von inklusiven Maßnahmen im Tourismus zur Herausforderung – doch Barrierefreiheit lohnt sich.

Inklusion von Reisenden: Ein wirtschaftlicher Gewinn

Reisen ist ein Menschenrecht. Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen sichert mit Artikel 30 das Recht auf Teilhabe am Tourismus. Denn Reisen ist nicht nur ein Freizeitvergnügen, sondern auch ein Ausdruck von Freiheit und Selbstbestimmung. Doch in der Praxis stoßen Menschen mit Behinderungen auf zahlreiche Barrieren: Von unzugänglichen Websites über fehlende barrierefreie Transportmöglichkeiten bis hin zu Hotels, bei denen schon der Weg zur Rezeption unbezwingbar ist. Barrierefreies Reisen erfordert daher umfassende Maßnahmen wie stufenlose Zugänge, taktile Bodenleitsysteme, Untertitel für audiovisuelle Inhalte und Informationen in leichter Sprache. Ebenso wichtig sind barrierefreie sanitäre Einrichtungen. Auch die Möglichkeit, Blinden- und Assistenzhunde mitzuführen, erleichtert vielen Betroffenen das Reisen erheblich. Ergänzend sollten bildliche Darstellungen wie Fotos oder Symbole verwendet werden, um das Verständnis zu erleichtern.

Unternehmen sollten verstärkt auf diese Bedürfnisse eingehen, denn ein inklusives Reiseangebot bedeutet nicht nur mehr Gerechtigkeit, sondern auch wirtschaftliches Potenzial. Erhebungen der Welttourismusorganisation (UNWTO) zeigen, dass Menschen mit Behinderungen aus den wichtigsten Tourismusmärkten wie den USA und Deutschland jährlich fast 100 Milliarden Euro für Reisen ausgeben. Die meisten von ihnen reisen mit zwei bis drei Begleitpersonen. Wer barrierefreie Angebote ignoriert, verliert also nicht nur eine Person als Gast, sondern eine gesamte Reisegruppe. Darüber hinaus sind viele dieser Reisenden unabhängig von Ferienzeiten unterwegs, was eine bessere Auslastung außerhalb der Hauptsaison ermöglicht und so die wirtschaftliche Stabilität von Tourismusbetrieben erhöht.

Barrierefreier Arbeitsmarkt

Als personalintensive Branche bietet der Tourismus zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten, auch für Menschen mit Behinderungen. Ob an der Hotelrezeption, in der Küche, im Service oder in der Beratung – viele Arbeitsbereiche lassen sich durch gezielte Anpassungen inklusiv gestalten. Unternehmen, die auf Vielfalt setzen, profitieren nicht nur von kreativeren Teams und höherer Toleranz, sondern auch von einer stärkeren Bindung zu ihren Gästen. Verschiedene Studien, etwa vom Deutschen Institut für Wirtschaft, belegen zudem, dass ein inklusives Arbeitsumfeld ein positives soziales Klima schafft und das Miteinander innerhalb der Belegschaft stärkt. Besonders in barrierefreien Hotels oder Reisebüros sind sie wertvolle Mitarbeitende, da sie sich in die Bedürfnisse der Gäste hineinversetzen können. Gleichzeitig entstehen ortsgebundene Arbeitsplätze, die nicht ins Ausland verlagert werden können – eine wertvolle Stütze für lokale Wirtschaftsräume. Zudem profitieren viele Branchen von der Tourismuswirtschaft, etwa der Einzelhandel oder das Kunsthandwerk, wo Menschen mit Behinderungen ebenfalls Einkommensperspektiven finden.

Damit Inklusion im Arbeitsmarkt gelingt, braucht es jedoch mehr als gute Absichten. Unternehmen sollten gezielt Schulungsprogramme für ihre Mitarbeitenden anbieten, um Berührungsängste abzubauen und ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Zudem sind Anpassungen von Arbeitsplätzen notwendig, sei es durch barrierefreie Zugänge oder flexible Arbeitszeiten. Die Zusammenarbeit mit Selbstvertretungsorganisationen kann dabei helfen, bestehende Strukturen zu verbessern und von deren Expertise zu profitieren. Besonders im Globalen Süden besteht großer Handlungsbedarf: 80 Prozent aller Menschen mit Behinderungen leben in Entwicklungs- und Schwellenländern, wo Diskriminierung und eingeschränkte Teilhabe weit verbreitet sind. Häufig sind behinderte Menschen hier vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und landen in einem Kreislauf von Armut und Menschenrechtsverletzungen. Frauen mit Behinderungen sind besonders gefährdet, sie erleben bis zu zehnmal häufiger Gewalt. Auch sind vor allem behinderte Frauen auf dem Arbeitsmarkt stark benachteiligt. So geht weltweit nur etwa jede fünfte Frau mit Behinderungen einer Beschäftigung nach. Selbstständigkeit ist für viele von ihnen eine attraktive Alternative. Tour-Guides, Kunsthandwerkerinnen oder Betreiberinnen von kleinen Unterkünften schaffen sich so eine eigene wirtschaftliche Existenz.

Tourismus als Motor für gesellschaftliche Teilhabe

Reisen verbindet Menschen, schafft Begegnungen und kann dabei helfen, Barrieren abzubauen – sowohl physische als auch gesellschaftliche. Der Tourismus hat das Potenzial, soziale Gleichstellung zu fördern, indem er die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen erhöht und Vorurteile abbaut. Gerade im Globalen Süden sind Menschen mit Behinderungen von Bildung, Beschäftigung und grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung häufig ausgeschlossen. Dies führt zu Armut und hohen Kosten für die Allgemeinheit. Menschen mit Behinderungen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, haben keine wirtschaftliche Unabhängigkeit und benötigen oft Unterstützung durch Familie und Staat. Ein barrierefreier Arbeitsmarkt kann diesen Kreislauf durchbrechen, indem er Menschen mit Behinderung neue Einkommensmöglichkeiten bietet. Besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern kann inklusiver Tourismus Arbeitsplätze schaffen und die Infrastruktur verbessern. Dabei profitiert auch die lokale Bevölkerung. Denn stufenlose Wege, barrierefreie Verkehrsmittel oder leicht verständliche Informationen erleichtern den Alltag für alle: Eltern mit Kinderwagen, ältere Menschen oder Personen mit vorübergehenden Einschränkungen. Barrierefreiheit ist also kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, um unsere Städte und Regionen für alle lebenswerter zu machen.