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Wie man eine Destination in die Armut treibt

Steuervermeidung durch Unternehmenskonzentration


Internationaler Tourismus erzeugt Ungleichheiten – mit gravierenden Konsequenzen. Regierungen in Entwicklungs- und Schwellenländern setzen auf Tourismus, um der Armut zu entkommen und Arbeitsplätze zu schaffen. Sie subventionieren teure All-Inclusive-Anlagen großer, vertikal integrierter Konzerne, um wirtschaftlichen Wohlstand anzustoßen. Dieser Wohlstand erweist sich jedoch als Illusion. Destinationen werden in die Armut getrieben und verschulden sich gegenüber internationalen Tourismusunternehmen.

Am Beispiel Cancún und dem Bundesstaat Quintana Roo in Mexiko wird deutlich, dass es sich bei den negativen Entwicklungen um jüngere Phänomene handelt. Dort wird auch nachvollziehbar, was sich seit den frühen Phasen des internationalen Tourismus geändert hat. Bis Ende der 1990er Jahre brachte der Tourismus dort noch volkswirtschaftlichen Nutzen. Seit 1972 wurde Cancún als Urlaubsregion erschlossen. Die ersten Hotels hatten ca. 200-300 Zimmer und waren in einheimischer Hand. Erst in den 1980er Jahren zog Cancún internationale Investoren an. Diese internationalen ebenso wie nationale Investoren boten European Plan (EP) Hotels an, d.h. nur die Übernachtung. Abgesehen von Unterkunft und Flug bezahlten die Touristen alle anderen Dienstleistungen vor Ort. Sie ließen ihr Geld in den dortigen Restaurants, gaben den Kellnern Trinkgeld, kauften Souvenirs und buchten lokale Tourangebote. All dies war ein Segen für die einheimische Wirtschaft und die Menschen. Für die Hoteleigentümer war es schwierig, Steuern zu vermeiden, denn das Geld, das vor Ort im Hotel eingenommen wurde, musste steuerlich angegeben werden.

Diejenigen, die Cancún einst erschlossen haben, hatten keine Vorstellung davon, wie sich der Markt verändern würde: Von European Plan zu All-Inclusive-Anlagen. All-Inclusive-Angebote wurden in den 1950er Jahren in Frankreich eingeführt. Indem nun alle Dienstleistungen (Übernachtung, Verpflegung und Transport) in einem Preis zusammengefasst waren, konnten Reisende ihr Urlaubsbudget genau kalkulieren, ohne am Ende noch mit zusätzlichen Ausgaben rechnen zu müssen. In den 1950er und 1960er Jahren beschränkten sich die All-Inclusive-Angebote auf die französische Kette Club Méditerranée. In den 1980er Jahren verbreitete sich dieses System.

Vermeidung von Körperschaftssteuern

All-Inclusive-Anbieter können aufgrund ihrer komplexen internationalen Unternehmensverflechtungen Körperschaftssteuern vermeiden und Destinationen so wirtschaftlich und gesellschaftlich schaden. Mit Hilfe von Konzernverrechnungspreisen gelingt es ihnen, weniger als den eigentlichen Wert der Reise in Rechnung zu stellen. So lassen sich Gewinne in Ländern ausweisen, wo keine oder nur geringe Steuern anfallen.

Das System funktioniert so: Das Hotel im Urlaubsland stellt einer internationalen Reservierungsfirma z.B. im Steuerparadies Curaçao einen geringeren Betrag als den Gesamtwert einer Pauschalreise in Rechnung. Das Hotel weist vor Ort einen Verlust als sogenannten Verlustvortrag aus und zahlt daher keine Steuern. Die Gewinne bleiben in Curaçao. Wenn ein Anbieter expandieren will, bringt er die unversteuerten Gewinne als ausländische Direktinvestitionen ins Land und erhält dafür oft auch noch Subventionen.

Auch große internationale Tourismuskonzerne auf dem deutschen Markt können durch komplexe Transaktionen erhebliche steuerliche Verlustvorträge erreichen. Ein Unternehmen, dem direkt oder indirekt mehrere hundert Firmen weltweit gehören, kann die gesamte touristische Dienstleistungskette von Reisebüro, All-Inclusive-Anlagen, Dienstleistungen vor Ort und Hin- und Rückflug quasi aus einer Hand anbieten. 2012 lagen die Verlustvorträge bei den größten Reiseveranstaltern nicht selten im einstelligen Milliardenbereich.

 

Auf Jamaika und die mexikanische Karibik (den Bundestaat Bundesstaat Quintana Roo und seine Hauptstadt Cancún), entfallen etwa ein Drittel aller Karibik-Touristen (ausgenommen Kreuzfahrer). Beide Destinationen sind mittlerweile insolvent und haben aufgrund der erklärten steuerlichen Verluste dieser Unternehmen sogar Schulden bei diesen. Es ist nicht einfach, bestimmte Auswirkungen direkt auf die Steuervermeidung zurückzuführen. Mit Steuergeldern aber wird gesellschaftliches Wohlergehen sichergestellt: öffentliche Gesundheitsversorgung, ein gutes Bildungssystem und eine widerstandsfähige Infrastruktur. Trotz des florierenden Tourismus in Quintana Roo lebt ein Drittel der Bevölkerung in Armut und sieben Prozent in extremer Armut. Im Jahr 2015 hatte der Bundesstaat die höchste Selbstmordrate und die meisten Teenager-Schwangerschaften in ganz Mexiko – unter anderem ein Zeichen für fehlende steuerfinanzierte Sozialprogramme.

Subventionen und Steuererleichterungen

Solche touristischen Großunternehmen sind es, mit denen junge Tourismusdestinationen Verhandlungen führen. Enorm reiche Unternehmensgruppen drängen auf Subventionen und Steuererleichterungen. Lokale Regierungen sollten diesem Subventionierungsdruck widerstehen. Sie wären gut beraten, nur einheimische  Unternehmen, jedoch keine ausländischen Direktinvestitionen, zu fördern.

Entlang der 120 km zwischen den Städten Cancún und Tulum an der Karibikküste Mexikos werden fast alle 70.000 Zimmer in All-Inclusive-Paketen angeboten. Mehr als ein Drittel der Zimmer gehören spanischen Unternehmensgruppen. Obwohl es mehrere Dutzend Hotelanlagen gibt, leben nur fünf Eigner in Cancún oder Umgebung. Das hat gravierende Auswirkungen, nicht nur auf die Steuereinnahmen, sondern auch auf den Umweltschutz. 2016 wurden große Resorts aufgefordert, sich am Schutz des mittelamerikanischen Riffsystems, des zweitgrößten nach dem australischen Great Barrier Reef, finanziell zu beteiligen. Doch statt um Nachhaltigkeit geht es den weit entfernt ansässigen Hoteleignern um Profite, so dass die Besitzer einstimmig ablehnten und behaupteten, sie würden ja bereits hohe Steuerzahlungen leisten.

Indirekte Steuern bevorzugen

Es gibt zwei Arten von Steuern: direkte, wie die Körperschafts- und Einkommenssteuer, und indirekte, wie die Mehrwertsteuer. Während Einzelpersonen und kleine  Unternehmen kaum Möglichkeiten haben, Steuern zu vermeiden, stehen den Großunternehmen mit ihren komplexen Verflechtungen und Konzernverrechnungspreisen dazu viele Mittel zur Verfügung.

Indirekte Steuern wie Beherbergungs-, Mehrwert- oder Flughafensteuer werden vor Ort erhoben. Sie sind  sehr viel schwieriger zu vermeiden und machen den Großteil der Steuern aus, die die Unternehmen vor Ort zahlen. Um sicherzustellen, dass das Geld, das für Umweltschutz und soziale Entwicklung im Land gebraucht wird, auch dort bleibt, sind Destinationen gut beraten, möglichst indirekte Steuern zu erheben.

Dr. Linda M. Ambrosie ist Postdoc-Stipendiatin an der Universität Calgary, Haskayne School of Business, in Kanada. Sie ist Autorin des Buches „Sun & Sea Tourism: Fantasy and Finance of the All-Inclusive Industry”, Cambridge Scholars Publishing, Cambridge, 2016.

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp

(6.773 Zeichen, März 2017, TW 86)