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Wer will schon „Sextourist“ sein?

Herausforderungen der HIV/Aids-Prävention im Tourismus


Die Beziehungen zwischen HIV/Aids und Tourismus sind komplex, noch nicht genügend erforscht und ihre Bedeutung wird möglicherweise unterschätzt. Zwei Grundlagen der weltweiten Verbreitung von HIV/Aids und anderer sexuell übertragbarer Erkrankungen sind sexuelle Kontakte mit mehreren Partnern und Mobilität. Seit Beginn der Epidemie hat sich HIV/Aids durch menschliche Mobilität (Touristen, Geschäftsleute, usw.) ausgebreitet. Unwissenheit, mangelndes Problembewusstsein, Stigma und Verdrängung sind Hemmnisse für die Prävention.

So weit wir wissen, entwickeln alle HIV-Infizierten Aids und sterben, es sei denn, sie bekommen antiretrovirale Therapie. Aber auch damit ist HIV/Aids nicht heilbar. Während der meisten Zeit, in der jemand HIV-positiv ist, fühlt sich dieser Mensch gesund und kann ein normales Leben führen, also auch sexuell aktiv sein. Er oder sie ist jedoch auch infektiös und kann andere Menschen mit HIV anstecken – zu Hause wie auch auf Reisen.

Im Jahr 2005 betrug die Zahl der mit HIV infizierten Menschen in Deutschland fast 50.000. Dabei gibt es eine Dunkelziffer von HIV-Infizierten, die nichts von ihrer Infektion wissen. Durch lebensverlängernde Therapien und die Zunahme der HIV-Infektionen kann die Zahl der Menschen, die HIV übertragen können, in den nächsten Jahren noch weiter steigen.

Unter den Touristen sind auch Menschen mit HIV/Aids. Untersuchungen zufolge reisen 20 Prozent der ca. eine Million HIV-Infizierten in Nordamerika jedes Jahr in die Ferne. HIV-infizierte Menschen, die reisen, benötigen intensive Beratung und Betreuung, sowohl in medizinischer Hinsicht als auch bezüglich ihrer Verantwortung, andere vor HIV-Übertragung zu schützen.

Tourismus, Sextourismus und HIV/Aids

Zwei Millionen Deutsche reisen pro Jahr nach Asien, Afrika oder Lateinamerika. Aus eigener Erfahrung in der Tropenambulanz des Paul-Lechler-Krankenhauses Tübingen wissen wir, dass sich über die Jahre mehrere Menschen als Touristinnen/Touristen oder als Arbeitende im Ausland mit HIV infiziert haben.

Einer Studie zufolge hatten 8,5 Prozent der darin Befragten sexuelle Kontakte mit Personen, die sie erst im Gastland kennen gelernt haben. Häufig hatten sie Kontakte mit mehreren Partnerinnen bzw. Partnern. Mindestens ein Drittel aller Reisenden mit Sexualkontakten im Ausland verwendet keine Kondome, andere verwenden sie nur, wenn sie vermuten, dass die Partnerin oder der Partner ein erhöhtes Risiko hat. Man kann davon ausgehen, dass auf Reisen eine große Zahl von (kommerziellen oder nicht-kommerziellen) sexuellen Begegnungen zwischen Reisenden und Einheimischen bzw. anderen Reisenden stattfindet.

Die HIV-Neuinfektionen in Deutschland sind seit dem Jahr 2000 wieder deutlich gestiegen. Dabei wird die Bedeutung von Sexarbeiterinnen und Partnern aus stark von HIV/Aids betroffenen Ländern wahrscheinlich unterschätzt, weil die Risiken den mit HIV Diagnostizierten nicht bekannt sind oder weil sie nicht mitgeteilt werden. Männer nennen Südostasien deutlich häufiger als Infektionsort als Frauen. Dies wird durch in den 90er Jahren in Thailand erworbene Infektionen erklärt.

In den Niederlanden wurde geschätzt, dass 36 Prozent der heterosexuell erworbenen HIV-Infektionen wahrscheinlich bei Auslandsaufenthalten erworben sind (inklusive Migranten, die reisen). In Großbritannien waren zwischen 2000 und 2002 bei Männern 69 Prozent der heterosexuell erworbenen HIV-Infektionen durch Sex im Ausland erworben, bei Frauen 25 Prozent.

Sextouristen kommen aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen, jedoch sind überdurchschnittlich viele ledig. Häufig handelt es sich um „ältere alleinreisende Männer“, die den Sex schon vor der Reise geplant haben, vor allem Sex auch mit jungen Mädchen. Reisende, die Sex kaufen, haben ein besonders hohes Risiko, sich mit HIV zu infizieren, da in den meisten Zielländern, die von Sextouristen besucht werden (wie z.B. Kenia, Thailand, Brasilien, zunehmend Vietnam, Philippinen) HIV/Aids stark verbreitet ist. Meist haben Sexarbeiterinnen besonders hohe Infektionsquoten, in Afrika bis zu 80 Prozent und in einigen Teilen Asiens bis zu 60 Prozent. In Osteuropa nimmt der Sextourismus in die grenznahen Gebiete zu.

Reisemedizinische Vorbereitung

Reiseveranstalter sind seit 1999 verpflichtet, auf Gefährdungen und geeignete Vorkehrungen wie reisemedizinische Beratung hinzuweisen. In Reiseführern kommt das Thema HIV/Aids und Schutz vor möglicher Infektion meist nur in einer Randnotiz vor. Fluggesellschaften haben das Thema nicht auf der Tagesordnung und bieten keine entsprechenden Informationen an. Das Thema HIV/Aids und sexuell übertragbare Krankheiten wird eher als geschäftseinschränkend erlebt. Reiseveranstalter und Reiseführer wollen kein negatives Image des Zielorts schaffen. Hier zeigt sich das Spannungsfeld zwischen Geschäft und Verantwortung.

Informationen zu HIV/Aids für Reisende können durch Ärzte, Reiseveranstalter und Gesundheitsbehörden gegeben werden, entweder allgemein an alle Reisenden oder an bestimmte „Zielgruppen“. Reisende sollten schon vor der Abreise, während der Reise und bei der Ankunft an ihrem Zielort informiert werden. Sie sollten wissen, dass sie sich selber vor HIV schützen müssen. Dies gilt insbesondere, wenn sie allein reisen und in Länder, in denen der soziokulturelle Kontext das Risikoverhalten fördert.

Die Reisenden sollten auch wissen, dass sie andere mit HIV infizieren können, sofern sie nicht ganz sicher wissen, dass sie selbst HIV-negativ sind. Das betrifft den Schutz der Sexualpartnerinnen bzw. -partner im Reiseland und nach Rückkehr in Deutschland, wo sie eine aus dem Urlaub mitgebrachte HIV-Infektion an ihre Partnerinnen bzw. Partner weiter geben können. Aufgrund der langen Dauer von der Infektion bis zum Auftreten der Symptome von bis zu zehn Jahren kann eine Weiterverbreitung von HIV unwillentlich und unwissentlich geschehen.

Die Grenzen der Aufklärung

Sexualität im Allgemeinen und HIV/Aids im Besonderen sind schwierige Themen, und sowohl Ärzte als auch die Beratung Suchenden neigen häufig dazu, diese Themen zu verdrängen. Ärztinnen und Ärzte, die in der Reiseberatung tätig sind, legen nicht immer genügend Nachdruck auf die Vermittlung der Risiken des sexuellen Verhaltens auf Reisen, aus mangelndem Problembewusstsein, Scheu und Unsicherheit das Thema anzusprechen und aus Zeitmangel.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Grad von Wissen über Risikoverhalten häufig wenig mit dem tatsächlichen Verhalten zu tun hat. Touristen mögen ein adäquates Wissen über ein Risiko im Allgemeinen haben, das wahrgenommene persönliche Risiko wird jedoch oft als gering eingeschätzt.

Heterosexuelle Sextouristen romantisieren ihre sexuellen Beziehungen und haben häufig die Vorstellung, dass das, worauf sie sich einlassen, keine Prostitution sei und dass sie den Frauen helfen würden. Dadurch unterschätzen sie jedoch auch ihr HIV-Risiko. In Thailand z.B. haben sie die Vorstellung, dass sie Sex mit einer „Freundin“ haben; dies ist jedoch in Thailand kaum möglich. Homosexuelle Männer romantisieren ihre Kontakte weniger, nehmen den Prostitutionscharakter eher wahr und verwenden öfter Kondome. Sextouristen haben häufig eine ablehnende Haltung gegenüber Kondomen. Einer Studie zufolge benutzen 45 Prozent regelmäßig Kondome, 24 Prozent gelegentlich und 31 Prozent nie.

HIV/Aids ist nicht „eine weitere Krankheit“: Es ist eine Krankheit, für die es gegenwärtig weder medizinische Heilung noch eine Impfung gibt. Einen zuverlässigen Schutz gibt es nur durch Abstinenz (kein Sexualverkehr) oder die Benutzung von Kondomen („safer sex“).

Dr. Sonja Weinreich und Dr. Johannes Schäfer sind HIV/Aids-Berater beim Deutschen Institut für Ärztliche Mission (Difäm) in Tübingen. Sonja Weinreich berät Projekte und Policy des EED im Zusammenhang mit HIV/Aids.

( 7.831 Anschläge, 109 Zeilen, Juni 2006)