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"Wer profitiert tatsächlich vom Tourismus?"


Es war ein Mega-Mela, ein buntes Riesenspektakel, das Mitte Januar 2004 Tausende von Globalisierungskritikern und Menschenrechtsaktivisten in die indische Metropole Mumbai (Bombay) zog. Zum ersten Mal fand das Weltsozialforum (WSF) nicht an seinem Geburtsort im brasilianischen Porto Alegre statt. Und zum ersten Mal nutzten tourismuskritische Gruppen aus verschiedenen Teilen der Welt dieses Forum, um ihre Anliegen vorzutragen und sich mit Basisgruppen und anderen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) auszutauschen und zu vernetzen.

Mit einer großen Plenumsveranstaltung, drei Seminaren auf dem WSF-Gelände, einem weiteren Workshop im außerhalb gelegenen "Youth Forum" sowie durch einen großen gemeinsamen Stand im Ausstellungsbereich gelang es, den Tourismus als entwicklungspolitisches Problemfeld in der globalisierungskritischen Bewegung zu verankern.

Die Tourismusveranstaltungen auf dem vierten Weltsozialforum zeichneten sich nicht so sehr durch inhaltlich Neues aus. Die positiven wie negativen Erfahrungen mit dem Tourismus waren bei anderen Gelegenheiten präsentiert worden oder sind schriftlich umfassend dokumentiert. Neu war jedoch das Umfeld, welches das WSF als wirkliches Basisforum bot. Es war eine Chance, diesmal nicht in erster Linie politische Lobbyarbeit zu betreiben oder die Tourismusindustrie mit den von ihr verursachten Problemen zu konfrontieren. Hier gab es die Gelegenheit, Gruppen, die an ähnlichen Problemen arbeiten, in die Bemühungen um einen verantwortlicheren Tourismus einzubeziehen. Werden die neuen Impulse und Kontakte in konkrete Kooperationen umgesetzt, so könnte die tourismuskritische Bewegung in den kommenden Jahren erheblich an Stoßkraft gewinnen.

Durch eine neue Qualität zeichnete sich auf dem WSF auch die intensive Zusammenarbeit von tourismuskritischen Gruppen aus dem Norden und Süden an einer gemeinsamen Sache aus. Es war endlich einmal nicht notwendig, einer Meinung sein zu müssen und sich auf eine gemeinsam zu vertretende Position zu einigen. Dabei kam die Vielfalt der Ansätze und Ansichten – von der Verurteilung neo-liberaler Handelsliberalisierung bis hin zur Förderung kleiner, sozialverantwortlicher Tourismusinitiativen – deutlicher zum Ausdruck als früher. In der Tat waren die Tourismusveranstaltungen auf dem Mega-Mela (Mega-Fest) von Mumbai mehr als je zuvor ein Ausdruck von Pluralismus und Diversität im Rahmen eines gemeinsamen Anliegens. Das war ganz im Sinne des Selbstverständnisses des WSF, wie es die Organisatoren des ersten "Gipfels" im Jahr 2001 in Porto Alegre formuliert hatten. Die Tourismusveranstaltungen auf dem WSF boten – mehr als andere Foren – Raum für Basisgruppen und sogar Vertreterinnen und Vertreter indischer Lokalverwaltungen (Panchayats) konnten ihre Anliegen vortragen.

Eindrucksvoll waren auch die ersten Resultate einer Umfrage, die College-StudentInnen aus Mumbai unter Anleitung von "EQUATIONS" auf dem WSF durchführten. Sie befragten etwa 2000 Teilnehmende im "Nesco Ground", einem der Veranstaltungsorte. Viele der Befragten verbanden Tourismus mit westlichen Bedürfnissen und Luxus, was sie zunächst kaum mit globalisierungskritischen Anliegen in Verbindung bringen konnten. Im Lauf der Gespräche wuchs jedoch bei vielen das Interesse, sich am Stand und bei den Veranstaltungen weitergehend zu informieren.

Interkontinentaler Tourismus-Dialog

Die zentrale Veranstaltung zum Tourismus war eine große Podiumsdiskussion mit dem Thema "Interkontinentaler Dialog zum Tourismus". Diese Podiumsdiskussion war eine der 31 großen sogenannten Panel-Veranstaltungen auf dem WSF. Das Thema Tourismus gewann hierdurch an Bedeutung – neben den Top-Themen der anderen Panel-Veranstaltungen wie neoliberale Globalisierung, Fundamentalismus, soziale Ausgrenzung, Militarisierung der Politik und der Nicht-Zugang zu Grundversorgung.

Für die vier Organisatoren der "Tourism Interventions Group” - "Equations” aus Bangalore, Indien, "Ecumencial Coalition on Tourism” (ECOT) aus Hongkong/China, EED-Tourism Watch aus Deutschland und "Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung" (akte) aus der Schweiz – war dieses Panel der größte Erfolg. Vom WSF eine derart gigantische Darstellungsfläche mit über 4.000 Zuhörerplätzen zur Verfügung gestellt zu bekommen, hatte erhebliche Überzeugungsarbeit erfordert. Dass die Halle nicht voll wurde, tat dem Erfolg keinen Abbruch. Viele Seminare, Workshops und andere Podiumsdiskussionen (Panels) fanden parallel dazu statt. Die Zuschauer-Fluktuation war jedoch deutlich niedriger als in vielen anderen Veranstaltungen.

Vom Tourismus bedroht

So fanden die Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmer mit ihren Berichten aus Asien, Afrika und Latein Amerika eine interessierte Zuhörerschaft. David Ugarte, vom Nationalen Kulturinstitut in Cusco, Peru, berichtete über den andauernden Widerstand gegen eine geplante Seilbahn in Machu Picchu. Er zeigte auf, wie hochgradig zentralisiert der Tourismus in dieser Region ist, mit Fluggesellschaft, privater Eisenbahn und Hotels in einer Hand. Die geplante Seilbahn werde die Umweltprobleme rund um die heilige Inka-Stätte verschärfen und die Touristen am Dorf Aguas Calientes vorbeischleusen, das am Fuß des Berges liegt. Dadurch würden die Einheimischen einen erheblichen Teil ihres Einkommens aus dem Tourismus verlieren.

Charm Tong vom burmesischen "Shan Women’s Action Network” (SWAN) beschrieb die Menschenrechtsverletzungen durch das Militärregime in Burma und betonte, dass sowohl internationale Entwicklungshilfe als auch die durch den Tourismus ins Land fließenden Devisen dazu beitrügen, das Regime an der Macht zu halten. Sie rief die Zuhörer auf, nicht als Pauschaltouristen nach Burma zu reisen: "Mit eurem Geld, das dem Militär zufließt, unterstützt ihr die Menschenrechtsverletzungen im Land. Eine solche Unterstützung gibt dem Militär nur weiterhin die Möglichkeit, Menschen zu unterdrücken und an der Macht zu bleiben.”

Adama Bah, Koordinator von "The Gambia Tourism Concern”, berichtete über die Erfolge seiner Organisation im Kampf gegen die "All Inclusives” in dem kleinen westafrikanischen Land. Er wies darauf hin, dass die Einheimischen stark in den Tourismus investiert hätten, und dass sich diese Investition auch rechnen müsse. Wenn NGOs Kampagnen durchführten, so betonten sie in der Regel nur die moralischen oder ethischen Aspekte. "The Gambia Tourism Concern” hatte jedoch sowohl einheimische Unternehmer als auch die Regierung überzeugt, dass "All Inclusive”-Angebote für sie wirtschaftlich nicht von Vorteil seien.

Pankaj Seksharia von der indischen Umweltorganisation "Kalpavrish” aus Puna stellte die Auswirkungen des Tourismus auf die Ureinwohner der indischen Inselgruppen der Andamanen und Nikobaren dar. Rodrigo Ruiz Rubio von der "Gesellschaft zur Verteidigung und Entwicklung Kuelaps" in Peru berichtete über die Kampagne zur Verhinderung der Privatisierung der historischen Festung von Kuelap und der Vertreibung von 250 Familien. Luc Ferran vom internationalen ECPAT-Sekretariat (‘End Child Prostitution, Child Pornography and the Trafficking of Children for Sexual Purposes”) in Bangkok beleuchtete die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der kommerziellen sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern im Tourismus.

Eine zweite Gruppe von Podiumsteilnehmern reagierte auf diese eindrucksvollen Beiträge, hauptsächlich aus indischer Perspektive. Paul Divakar, eine der Führungspersonen der "Nationalen Kampagne für die Menschenrechte der Dalits", und Ashok Bharati vom "World Dignity Forum" meinten, der Tourismus würde die Dalits (Unterdrückte und sog. "Unberührbare") noch weiter an den Rand drängen. Sheelu Francis von der "Tamil Nadu Womens Collective" in Indien und Marina Durano vom asiatischen "International Gender and Trade Network" riefen Frauenorganisationen dazu auf, sich kritisch mit dem Tourismus als Entwicklungsthema auseinanderzusetzen. L. Antonysamy, Koordinator der "Social Action Movement" und Gründer des "Tamil Nadu Environment Council" zeigte auf, wie wenig Beachtung nationale Regierungen den internationalen Umweltkonventionen schenkten. Der Gewerkschafter Ashok Rao stellte den Zusammenhang zwischen den andauernden Privatisierungsprogrammen in Entwicklungsländern, der Aufweichung von Arbeiterrechten und dem Wachstum der Tourismusindustrie her.

Ein junges Forschungsteam aus Kalkutta stellte eine Untersuchung über Vertreibungen unter den indigenen Garos in Bangladesh und unter den Adivasi in Orissa aus ihren angestammten Lebensräumen vor – um "Ökotourismus" auf- bzw. auszubauen.

Nachhaltiger Tourismus im Kontext von Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung

Privatisierung und die fortschreitende Liberalisierung des Tourismussektors unter dem "Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS)" wurden in einem der drei Tourismus-Seminare ausführlich anhand von Fallbeispielen thematisiert. Im Mittelpunkt standen die Sunderbans, ein sensibles Ökosystem im Grenzgebiet zwischen Indien und Bangladesch, das Amby Valley im indischen Bundesstaat Maharashtra sowie Goa, wo Enteignungen im angeblich "öffentlichen Interesse" stattfinden, um den Tourismus zu fördern.

Entscheidungsprozesse im Tourismus auf lokaler Ebene

Dass ein "anderer Tourismus" möglich ist, verdeutlichte das zweite Seminar, bei dem Entscheidungsprozesse auf lokaler Ebene beleuchtet wurden. A.G. Ushakumari, Präsidentin der Lokalverwaltung (Grama Panchayat) von Kumarakom im südindischen Kerala, und Panchayatsmitglied P.G. Padmanabhan äußerten ihre Besorgnis über die zunehmende Umweltzerstörung in der beliebten Tourismusregion. Sie forderten mehr Beteiligung der örtlichen Bevölkerung an den Entscheidungen. Durch eine Gesellschaft zur Förderung eines "People to People Tourism", also eines Tourismus "von Mensch zu Mensch", will die Lokalverwaltung vor allem kleine und Kleinstunternehmer stärken. Drei brasilianische Podiumsteilnehmerinnen berichteten über erfolgreiche Ansätze für einen sozialverantwortlichen Tourismus in ihrem Land. In Prainha do Canto Verde konnte sich ein Fischerdorf erfolgreich gegen die Grundstücksspekulation zur Wehr setzen und den Tourismus in eigener Regie als zusätzliches Standbein zum Fischfang entwickeln.

Akut bedroht scheint der weltweit größte noch existierende Mangrovenwald der Sunderbans, der 1997 von der UNESCO zum Welterbe erklärt wurde und sich im Ganges-Delta über ein Gebiet von 10.000 Quadratkilometern erstreckt: In dem zum indischen West Bengal gehörenden Teil der Sunderbans soll nun ein 200 Millionen US-Dollar umfassendes "Mega-Ökotourismusprojekt" realisiert werden, während im Staatsgebiet von Bangladesh unter Beteiligung der Asian Development Bank (ADB) im Rahmen eines Projektes zur "Erhaltung der Biodiversität" Ökotourismus neben Öl- und Gasförderung im großen Stil geplant werden.

Die Auswirkungen des Tourismus auf gefährdete und marginalisierte Gruppen

Im dritten Seminar wurden die Auswirkungen des Tourismus auf besonders gefährdete und marginalisierte Bevölkerungsgruppen deutlich. Besonders Frauen und Kinder würden im Tourismus in verschiedener Weise ausgebeutet. Luc Ferran von ECPAT International betonte, dass die Tourismuswirtschaft in Hinblick auf die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern nicht nur rechenschaftspflichtiger gemacht werden, sondern Maßnahmen zum Schutz der Kinder auch aktiv unterstützen müsse. Albertina Almeida von "Bailancho Saad" aus Goa wehrte sich gegen die Vermarktung von Frauen zur Förderung des Tourismus. Die Werbung stelle Frauen in Goa so dar, als ob sie "leicht verfügbar" seien. M.A. Sekar vom tamilischen "East Coast Forum for Development Action" zeigte die politische Marginalisierung der Fischer in Südindien auf.

Von Mumbai nach Porto Alegre - Strategietreffen der Tourismus-NGOs

Um die Impulse der Tourismusveranstaltungen auf dem Weltsozialforum aufzunehmen und weiter zu entwickeln, hatte die Ecumenical Coalition on Tourism (ECOT - Hongkong) im Anschluss an das WSF zu einem Strategietreffen in Mumbai eingeladen. Es bot Gelegenheit, die WSF-Erfahrungen auszuwerten, Perspektiven zu diskutieren und neue internationale Aktionen und Kampagnen vorzubereiten. Da das Weltsozialforum im kommenden Jahr wieder in Brasilien stattfinden wird, wurde die in Mumbai anwesende brasilianische Delegation gebeten, die Verantwortung für die Vorbereitung von Tourismusveranstaltungen auf dem fünften WSF Anfang 2005 in Porto Alegre zu übernehmen. Der "Interkontinentale Tourismus-Dialog” soll dort fortgesetzt werden. Mögliche Schwerpunkte könnten Beiträge und Studien zur Einnahmerealität im Tourismus und damit zur Beantwortung der in Mumbai immer wieder gestellten Frage sein: "Wer profitiert tatsächlich vom Tourismus?”. In einer gemeinsamen Erklärung betonten die beteiligten Organisationen ihre Absicht, sich weiterhin für einen gerechteren Tourismus einzusetzen. Sie beschlossen, die Welttourismusorganisation (WTO), die kürzlich zu einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen aufgewertet wurde, nach ihrem neuen Mandat und Möglichkeiten einer verbesserten Beteiligung von NGOs zu befragen.

Außerdem betonten sie die Notwendigkeit, Regierungen, die das "Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS)" verhandeln, über die konkreten Erfahrungen mit dem Tourismus vor Ort und seine sozialen und Umweltkosten in den touristischen Zielgebieten zu informieren. Die Internetseite, die unter www.wsf-tourism.org für die Tourismusveranstaltungen auf dem WSF in Mumbai eingerichtet wurde, soll als Plattform bestehen bleiben, um Informationen über die Ergebnisse und weitere geplante Aktivitäten der Netzwerkpartner zugänglich zu machen.

(181 Zeilen, 13.670 Anschläge, März 2004)