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Wer die Qual hat, hat die Wahl

Frauen und Tourismus in Kambodscha


Sie leben und arbeiten im Schatten der Jahrhunderte alten Tempel von Angkor: Frauen aus verschiedenen Teilen Kambodschas, die auf der Suche nach einer Lebensgrundlage in der boomenden Tourismusindustrie des Landes nach Siem Riep gekommen sind. Die Armutsbekämpfungstrategie der kambodschanischen Regierung sieht vor, dass die Gleichstellung der Geschlechter als vorrangiger Bereich gefördert werden soll. Zugleich sollen Beschäftigungsmöglichkeiten durch den Ausbau des Tourismus verbessert werden. Geschlechtsspezifische Denkmuster verändern sich jedoch nur langsam, während die Arbeitsfelder von Frauen sich rasch ausweiten.

Tourismus und Armut in Kambodscha

Nachdem Angkor 1992 von der UNESCO als Weltkulturerbe ausgewiesen wurde, hat sich die Tempelanlage nach und nach in eine Welterbestätte verwandelt, und der Ort Siem Riep von einem kleinen verschlafen Backwater-Nest in eine Durchgangsstation für Touristen. Die Welttourismusorganisation schätzt, dass die Zahl der internationalen Touristenankünfte in Kambodscha bis 2010 auf 3,2 Millionen steigen wird. Dieses Wachstum im Tourismus vollzieht sich nach über 40 Jahren immer wiederkehrender Gewalt und Zerstörung, von der sich Kambodscha jetzt langsam erholt. Das maoistische Regime der Roten Khmer zwischen 1975 und 1979 hatte das Land in Aufruhr versetzt. Rund 1,7 Millionen Kambodschaner starben an Hunger, Erschöpfung, Krankheiten oder durch Hinrichtungen.

Heute leben fast 78 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze von zwei US-Dollar pro Tag. Die Kluft zwischen Stadt und Land wächst. Die traditionellen Arbeitsbereiche der Männer in der Landwirtschaft sind im Niedergang begriffen. Außerhalb der Landwirtschaft gibt es kaum neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Regierung bemüht sich, ausländische Investitionen und Entwicklungshilfe ins Land zu holen. Ausländer investieren in großem Umfang in den Bau von Hotels, den Dienstleistungssektor und die Textilindustrie.

Der Tourismus hat jedoch nicht zu breiterem Wachstum geführt. Die Öffnung Kambodschas gegenüber der Welt hat das Land auch den Kräften der Globalisierung ausgesetzt und zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen geführt. So spielen die Frauen im Erwerbsleben eine immer wichtigere und immer deutlicher sichtbare Rolle. Immer mehr Frauen verdienen den Lebensunterhalt für ihre Familien. Damit verändert sich auch die häusliche Arbeitsteilung. Frauen gehen einem breiteren Spektrum an Tätigkeiten nach, oft zusätzlich zu ihren traditionellen Aufgaben im Haushalt. Gerade der Tourismus hat dazu beigetragen, die Rolle der Frauen über den Haushalt hinaus zu erweitern.

Als Kellnerin in Siem Riep: Teap aus Kandal

Die 30-jährige Teap arbeitet als Kellnerin. Sie lebt allein in einem gemieteten Zimmer im städtischen Siem Riep. Vor einem Jahr ist sie aus der Provinz Kandal hierher gezogen. „Ich arbeite von fünf Uhr nachmittags bis Mitternacht, manchmal, wenn viel los ist, bis ein Uhr nachts“, erzählt Teap. „Ich suche einen anderen Job, den ich tagsüber machen kann. Bis jetzt aber vergeblich. Diese Arbeit hier gefällt mir nicht, denn ich arbeite unter Menschen, die getrunken haben, und manchmal verachten die Gäste mich und zeigen keinen Respekt.“

Den Job als Kellnerin hat Teap nur angenommen, weil sie in wirtschaftlichen Schwierigkeiten war, nachdem ihr Mann sich entschieden hatte, eine andere Frau zu heiraten. Sie hat einen 14jährigen Sohn, der jetzt bei ihrer Mutter lebt. Die schlechte Behandlung, wie Teap sie erfährt, teilt sie mit vielen kambodschanischen Frauen.

Steine schleppen auf dem Bau: Leakthina aus Kampong Thom

Leakthina ist 43, verheiratet und hat fünf Kinder. Sie lebt und arbeitet auf einer der vielen Hotel-Baustellen von Siem Riep. Bevor sie hierher kam, war sie Bäuerin in der Provinz Kampong Thom. Während ihrer Abwesenheit von zu Hause hat die älteste Tochter die Hausarbeit übernommen. Obwohl ihr Mann nicht einverstanden war und die Meinung vertritt, Frauen sollten zu Hause bleiben und die Hausarbeit verrichten, sah sie sich gezwungen, alleine nach Siem Riep zu kommen. Sie wollte ihre Familie finanziell unterstützen und auch den Angkor Wat sehen, so sagt sie. Ihrem Mann gelang es immer seltener, selbst angebautes Gemüse mit Gewinn zu verkaufen, und die Familie wurde ärmer und ärmer. „Mein Mann hat keine kreativen Ideen, wie er Geld für die Familie verdienen kann“, meint Leakthina. „Obwohl er nicht einverstanden war, bin ich trotzdem hierher gekommen. Er hatte nicht genug männliche Charakterstärke“.

Leakthina findet sich mit ihrem neuen Job ab. Wie auch die meisten anderen Frauen auf dem Bau sieht sie nicht das Problem, dass sie hier eigentlich traditionelle Männerarbeit verrichten würden. Sie würden ja immer nur zwei Ziegelsteine auf einmal schleppen und Zement mischen, sagt sie. Schwere körperliche Arbeit, die männliche Kraft erfordert, würden sie ja gar nicht ausüben.

Die Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben unterliegt zahlreichen Beschränkungen, insbesondere in den ländlichen Gegenden von Siem Riep, wo die von Frauen erwartete Tugendhaftigkeit mit verschiedenen Beschäftigungsformen nicht vereinbar ist. Es entsteht eine Hierarchie, nach der die Arbeit von Frauen in und um das Haus als tugendhaft gilt, die Arbeit außerhalb des Hauses jedoch deutlich weniger Ansehen genießt. Jobs, bei denen die Arbeiterinnen der Sonne ausgesetzt sind, wie zum Beispiel auf dem Bau, sind in dieser Hierarchie ganz unten angesiedelt. Denn sie führen dazu, dass die Haut dunkler wird, was mit einem niedrigeren gesellschaftlichen Status in Verbindung gebracht wird. Auch die Arbeitszeiten spielen eine Rolle. So gilt die Arbeit in Restaurants und Bars nach Sonnenuntergang als unmoralisch und wird als Schande gesehen, selbst von denjenigen, die selbst in der Gastronomie beschäftigt sind.

So sind Teap und Leakthina einem doppelten Druck ausgesetzt. Zum einen haben sie sich den gesellschaftlichen Normen der Khmer entsprechend zu verhalten. Zum anderen müssen sie helfen, die Armut ihrer Familien zu lindern, indem sie nach Siem Riep gehen und dort arbeiten. Immer mehr Frauen im Kambodscha von heute versuchen einen solchen Spagat zwischen tief verwurzelten gesellschaftlichen Denkmustern und der wirtschaftlichen Realität.

Katherine Brickell studiert Geographie an der London School of Economics und hat 2004/2005 mehrere Monate lang in Kambodscha geforscht.

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp

(6.402 Anschläge, 84 Zeilen, September 2006)