Blog

Von Menschen und Fischen


Im Arabischen Meer, an der üppiggrünen Küste von Kerala, verbergen sich die Ruinen der portugiesischen und holländischen Festungen aus der Kolonialzeit. In dem kleinen Fischerdorf sieht das Haus Nr. 21 genau so aus, wie jedes andere der palmgedeckten Lehm- und Ziegelkonstruktionen des Vadi-Dorfes im Kollam Distrikt. Und das schlichte, weiß getünchte Häuschen mit den vielen Heiligenbildern im Säulengang, kommt ebenfalls traditionell daher. Aber der Vorstand dieses Haushalts, Andrews, 66, ist ein Bilderstürmer.

In fein gebügeltem weißem Hemd und Mundu – einem offiziellen, weißen Sarong –könnte dieser bebrillte und besonnene Mann als Lehrer einer weiterführenden Schule durchgehen. Er hat die Oberschule nicht abgeschlossen. Aber seine lange Erfahrung als Fischer hat ihn zu einem Guru gemacht. Im Gewerkschaftsbüro der Fischerei­betriebe in Kollam erzählt er den jungen Fischern Geschichten von den Ozeanen, seinen Begegnungen mit dem Tod und über große Fische dort draußen und an Land. "Fünf, sechs Mal ist mein Boot gekentert." Einmal hatte ihn ein Stachelrochen bewusstlos gebissen und tief mit in die See gerissen. Er wurde von anderen Fischern gerettet, die ihn in ihrem Netz verfangen fanden.

Andrews war der erste, der seine Kollegen darauf hinwies, dass die Fischerei mit Schleppnetzen an der Küste keine gute Sache ist. „Sie reißen den Meeresgrund auf“, sagt er mit Augen, die vor Wut funkeln. „Sie vernichten die ganzen Fische, deren Gelege und alle Saiblinge." Nach ungefähr 25 Jahren Gewerkschaftsbestrebungen der Fischer und vieler Protestkampagnen – wozu auch das Verbrennen einiger Boote auf offener See gehörte – ist die Schleppnetzfischerei vor den Küsten Keralas einge­schränkt worden.

Während der industriellen Überfischung der Küsten sind ganze Fischarten verschwun­den. „Ich konnte mein Ruder in die felsigen Abgründe am Meeresboden tauchen und die Musik der Fische hören. Was ich aber in letzter Zeit höre, ist nichts als eine herz­zerreißende Stille." Was das Fischereihandwerk betrifft, ist Andrews ein Purist, der dreißig seiner vierzig Jahre im Fischerei-Geschäft in Einsitzerbooten bestritten hat.

Andrews erinnert sich daran, wie die Mangroven die Ufer der ausgedehnten Back­waters säumten und die Wucht der Wellen, Stürme und Gezeiten auffingen. Sie sind nun alle fort, genau wie die Küstendünen, da der Sand für die Bauwirtschaft und wegen seiner Mineralien abgetragen wurde. „An diesen nackten, schmalen Küstenstreifen sind unsere kleinen Fischerdörfer dem Zorn des Meeres nun viel hilfloser ausgeliefert."

Andrews glaubt, dass das Leben und die Lebensgrundlagen der Fischer mit dem öko­logischen Zustand der Küste untrennbar verbunden sind. Er kann sagen, warum es eine schlechte Nachricht ist, dass überall auf der Welt zu viele fossile Brennstoffe ver­brannt werden. Die globale Erwärmung ist für ihn eine klare, gegenwärtige Gefahr. Oft trägt das Meer zu den stärksten Zeiten des Monsuns große Teile der Landmasse entlang der Ufer ab. Viele Familien werden dadurch obdachlos. „Es wird mehr Katastrophen geben, und schlimmere, und der Meeresspiegel wird ansteigen. Unsere kleinen Fischerdörfer werden als erste weichen müssen."

Andrews kennt den Pulsschlag des Meeres und der Winde, die darüber wehen. Er kann einen gewissen Wandel bei den Windverhältnissen und Strömungsmustern aus­machen, durch den sich die Unsicherheiten des gesamten Gewerbes weiter verschärfen. „Fische bewegen sich immer in Schwärmen entlang bestimmter See­routen. Aber diese Form der Wanderung ist heute nur noch Erinnerung.” Es könnte an den Temperaturveränderungen liegen, an der Umweltverschmutzung oder der Über­fischung... Nach dem Tsunami empfindet Andrews das Meer als noch unberechenbarer und fordert von der Regierung eine Untersuchung des Meeresbodens.

Wie in Bezug auf die Umweltveränderungen hegt Andrews auch Befürchtungen ange­sichts der Entwicklung des globalisierten Handels, insbesondere im Zusammenhang mit den Richtlinien zum Küstenschutz, die zu Gunsten des liberalisierten Handels und Tourismus gelockert werden. Aus dem Boden der Küste sollen Sonderwirtschaftszonen für den Tourismus gestampft werden. "Die kleinen Fischerleute werden immer übervorteilt. Wir werden es sein, die alles aufgeben müssen."

Der Autor, Ajith Lawrence, schreibt regelmäßig für “indiadisasters.org”, ein Experten-Forum für die Bereiche Medien, Informationstechnologie und humanitäre Hilfe, das sich mit Menschen in Katastrophensituationen beschäftigt.

Dieser Text ist eine gekürzte Fassung des Beitrags „Fisher of Men“ von L. Ajith in “tsunamiresponsewatch.org”. Übersetzung aus dem indischen Englisch: Asok Punnamparambil

(4.628 Anschläge, 61 Zeilen, März 2007)