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Urlaubs-Mail


"Ihr Lieben! Viele Urlaubsgrüße aus dem sonnigen Jesolo von Kerstin und Oliver. Spaghetti 1a, Grappa süffig, Strand o.k. Alles paletti, bis auf Kerstins Sonnenbrand. Ciao." Die Post kam - per Email! Urlaubsbotschaften warten heute poste restante in der elektronischen Mailbox. Und Holger, dieser Schnösel, hat sich sogar getraut, eine virtuelle Urlaubskarte "Windmühlen in Griechenland" zu mailen!

Die "Lieben" sind unterwegs zu bequem geworden, eine Urlaubskarte auszusuchen, die Rückseite wie gehabt per Hand zu beschriften und sie im Briefkasten zu versenken. Stattdessen hocken sie beim Cappuccino in einem postmodernen Internet-Cafe von Kathmandu oder wer weiß wo und mailen greetings! Wie abgefahren. Ach, waren das noch Zeiten, als wir uns an bunten Kartengrüßen erfreuen konnten. Onkel Karl sandte "Borkum ist eine Reise wert" mit 13 klitzekleinen Inselimpressionen, unter anderem Badefreuden, Am Leuchtturm, Kurpromenade, Abendstimmung. Die Nachbarin, Frau Jaschke, übermittelte Grüße nach Germania vom "Camping Europa" am Cavallino Lido: "Vor allem haben wir bei so vielen Leuten alles andere als Langeweile." Und die Eltern schickten von der Costa Brava eine Ansichtskarte vom Hotel ("Unser Zimmer geht zum Glück nach vorne raus"), damit sie ihr Fenster mit einem Kreuzchen versehen konnten. Wegen der zeitgeistigen Mailerei ist heute die Ansichtskartenkultur - die sinnliche Erfahrung zauberhafter Motive und ansprechender Urlaubsprosa - vom Aussterben bedroht. Nur unsere hochintellektuelle französische Freundin Sophie versendet noch standhaft in Rosarot getauchte Kirchen, Burgen und Schlösser ("Chere Astrid, encore une carte kitsch pour ta collection"). Aber sonst? Immer seltener bringt der Briefträger die allseits beliebten Motive ins Haus: Sonnenuntergänge von Bali bis Mexiko, Strandschönheiten und nackte Hinterteile, Kurmuscheln und Gipfelkreuze, Seehunde und Flamingos. Selbst das Motiv "Dumme Ziege auf der Alp" wußte uns noch mit dem Spruch "Sie lässt Dich grüssen!" zu erheitern. Bald können wir mit dem Küchenschwamm keine Briefmarken mehr ablösen fürs Album des Informatik-Schwagers. Bald können wir an langen Winterabenden keine exotischen Karten mehr nach Urlaubsregionen (Alpen, Mittelmeer, Ostfriesische Inseln, Sonstiges) im Schuhkarton archivieren. Und in Lehrerzimmern, Architektenkammern und Redaktionsstuben wird der Alltag ohne die Urlaubsgrüße der lieben Kollegen noch trister. "Guck mal, der Bertram hat vom Nordkap geschrieben." Man las, gackerte - und befestigte die Karte mit einem Magneten am grauen Büroschrank. Neben all den anderen. Die Moral von der Geschicht'? Wir halten es da lieber mit den Müllers von Christian Morgenstern: "Was ist das erste, wenn Herr und Frau Müller in den Himmel kommen? Sie bitten um Ansichtspostkarten."

(2.806 Anschläge / 39 Zeilen, Juli 2000)