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Überleben - Leid und Luxus


In der letzten Ausgabe besprachen wir ein Buch über den "Mythos Wildnis". Dabei blieb die Frage unbeantwortet, warum die Menschen "scharenweise Wildnis-Angebote" und Überlebenskurse buchen. Susanne Jäggi gibt darauf in ihremArtikel "Survival" in der "Wildnis"? eine Antwort.

Selbst die "Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT)", die weltweit für den Tourismus in unserem Land wirbt, promotete im ablaufenden Jahr des Öko-Tourismus "Touren mit Wildnis-Touch". Darunter verstand sie beispielsweise Wattwanderungen, Schafe hüten und in Bayern einen "Alm-Abtrieb inklusive Heimat- und Stimmungsabend im großen Festzelt". Passend zum Thema lief gerade in der ARD der Quotenschlager "Schwarzwaldhaus 1902", in dem die deutsch-türkische Berliner Familie Boro zehn Wochen lang wie vor 100 Jahren lebte, als Selbstversorger in einem Bauernhaus ohne Strom, Heizung, Wasserklosett, Schuhe, Telefon und Internet.

Die Autorin verfolgte den Vierteiler allerdings unter einem anderen Aspekt, denn sooo ungewöhnlich ist dieses Leben heute ganz und gar nicht. Immerhin lebt fast die Hälfte der Menschheit unter ähnlichen Umständen und muss ihren Lebensunterhalt von weniger als zwei Euro pro Tag bestreiten. Knapp ein Viertel (1,2 Milliarden) davon hat als Selbstversorger mit weniger als einem Euro kaum genug zum Überleben, zum echten Überleben, nicht als Spass-Event irgendwo in der Wildnis eines Urlaubsziels. Das Einkommen der reichsten fünf Prozent der Weltbevölkerung entspricht dem 114fachen des Einkommens der ärmsten fünf Prozent. Vielleicht können diese Zahlen die Weltuntergangsstimmung in Deutschland etwas relativieren!

Die "Zeitreise in die Vergangenheit" der sympathischen Boro-Familie als Bauern wird übrigens im Weihnachtsprogramm der ARD wiederholt.

Wer genauere Informationen möchte, sollte sich den UN-"Bericht über die menschliche Entwicklung 2002 - Stärkung der Demokratie in einer fragmentierten Welt" besorgen. Die Schwerpunkte zurückliegender Ausgaben: "Neue Technologien im Dienste der menschlichen Entwicklung" (2001), "Menschenrechte und menschliche Entwicklung" (2002), "Globalisierung mit menschlichem Antlitz" (1999), "Konsum und menschliche Entwicklung" (1998). Die rund 300seitigen Bände mit ausführlichen Statistiken von UNDP, dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, sind in deutscher Sprache erhältlich: UNO-Verlag, Am Hofgarten 10, 53113 Bonn, Tel. 0228/94902-0, Fax -22, www.uno-verlag.de

Geradezu obszön klingen da Berichte über Quotenrenner im japanischen Fernsehen: Wettessen. Der Rekord stand zuletzt, nach "hartem Training", bei 50 Hamburgern in zwölf Minuten oder 40 Sushis in 36 Sekunden. Aus dem Zoo wurde gar ein Bananen-Wettfressen gegen einen Schimpansen übertragen. Die "Speed Master" des "Food Battle Clubs" können dabei umgerechnet bis zu 50.000 Euro gewinnen. Kommentar des Japan-Korrespondenten Gert Anhalt: "Es zählt das Durchhalten des Schnellsten und Gierigsten. Und wieder hat ein Land, das nach nichts mehr hungert außer nach Sensationen, neue Helden". Restaurants locken mittlerweile mit Sonderangeboten zum Nachahmen, beispielsweise "zwei Kilogramm Curry" (Gulasch). Die "Jumbo-Portion" ist gratis, wenn sie in 20 Minuten heruntergeschlungen werden kann.

In Berlin bietet das Restaurant Mövenpick bis Februar 2003 Hummer satt an. Einmal im Monat kann man für 50 Euro so viele Schalentiere essen wie man schafft. Der Rekord eines Gastes liegt bei 17 halben Hummern.

Und im ORB-Fernsehen (Brandenburg) durfte Moderator Cherno Jobatey den bundesdeutschen Finanzminister Eichel ungläubig fragen: "Sie essen Ihren Teller immer ratzekahl leer. Stimmt das?" - "Erziehen Sie Ihre Kinder auch so?" - "Können Sie sich da durchsetzen?" Eichel - als Nachkriegskind - bejahte leicht verwirrt.