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Stimmen von der Basis

Indische Konsultation zur Klimakrise


Dass der Klimawandel die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern, Politikern und Nichtregierungsorganisationen auf sich zieht, ist mittlerweile gang und gäbe - weniger aber, dass auch die bereits betroffene Bevölkerung sich zu Wort meldet und die Folgen der Klimaveränderungen auf ihr Leben und ihre Lebensgrundlagen diskutiert. Am 20. und 21. Juni 2009 trafen sich rund 100 indische Vertreter sozialer Bewegungen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlicher Organisation in Ranchi im indischen Bundesstaat Jharkhand zu einer nationalen Konsultation, um die Klimakrise besser zu verstehen.

Auf dem Treffen, ausgerichtet von der "Jharkhand Jungle Bachao Andolan" (Bewegung zur Rettung der Wälder von Jharkhand), diskutierten sie die Notwendigkeit, Strategien für eine gerechte Entwicklung zu entwerfen, die auf einer kohlenstoffarmen Wirtschaftsweise basiert. Eine solche Entwicklung müsse Verbesserungen des Bildungs- und Gesundheitswesens und der Umweltsituation beinhalten. Das Treffen bot Gelegenheit zum vielfältigen Austausch der Gruppen über ihre Anliegen und zur Formulierung einer gemeinsamen Agenda.

Klimawandel in verschiedenen Teilen Indiens

Vertreterinnen und Vertreter der indigenen Bevölkerung (Adivasis) wiesen darauf hin, dass sie nicht zur Klimakrise beigetragen hätten, aber massiv davon betroffen seien. Die Industrialisierung in ihren Gebieten verursache immer mehr Kohlendioxid­emissionen. Einer der Hauptgründe, warum Wälder abgeholzt werden, ist der Bergbau. Um die Wälder zu schützen und damit zu einer Stabilisierung des Klimas beizutragen, brauchen die Adivasis nationale und internationale Solidarität.

Anpassungsbemühungen müssen länderübergreifend koordiniert werden, so eine weitere Schlussfolgerung. Zum Beispiel wird der Nordosten Indiens auch durch die Politik der benachbarten Länder beeinflusst. Wenn es in China zu starkem Regen oder starker Schneeschmelze kommt und die chinesischen Staudämme überlaufen, werden Dörfer im indischen Assam weggewaschen. Flutartige Überschwemmungen in Bhutan haben in Indien ähnliche Wirkungen. Im Nordosten Indiens verändern sich bereits die Wettermuster. So sind in allen sieben nordöstlichen Bundesstaaten die Niederschlags­mengen kontinuierlich zurückgegangen, während die Temperaturen deutlich gestiegen sind.

Im indischen Bundesstaat Himachal Pradesh haben höhere Temperaturen mehrere Gletscher zum schmelzen gebracht. Der Gartenbau und insbesondere der Apfelanbau leidet darunter. Die Bauern sind gezwungen, ihre Anbauflächen in höhere Lagen zu verlegen. Die indische Landwirtschaft befindet sich bereits seit Jahren in einer tiefen Krise und der Klimawandel könnte ihr letzter Sargnagel sein. Die anhaltende Dürre in Regionen wie Bundelkhand in Zentralindien hat der Landwirtschaft verheerenden Schaden zugefügt. Frauen, Dalits und Landarbeiter sind am schlimmsten betroffen.

Tourismus als "Klimakiller"

Der Tourismus, insbesondere der Verkehrsbereich, trägt mit zur Klimakrise bei. Die Tourismuswirtschaft verbraucht viel Wasser und Energie und zerstört Natur, wie z.B. Wälder und Mangroven. Was heute an "Lösungen" angeboten wird, führt in Indien oft dazu, dass ohnehin schon benachteiligte Bevölkerungsgruppen ihr Land und ihre Existenzgrundlage verlieren. So soll zum Beispiel im südindischen Bundesstaat Kerala vor der Küste von Kovalam Beach ein künstliches Riff Küstenerosion verhindern. Die Folge wäre, dass 500 Fischer ihre Lebensgrundlage verlören. Ob es klimabedingte Katastrophen sind oder falsche bzw. gar keine Lösungen - die Hauptopfer sind die Küstenbewohner und die Adivasis.

Umstrittene CDM-Projekte

Zu den Maßnahmen, die aus indischer Sicht keine Lösung für die globale Klimakrise darstellen, gehört auch der "Clean Development Mechanism" (CDM, "Mechanismus umweltverträgliche Entwicklung"). CDM-Projekte werden vom globalen Norden finanziert, doch in der Regel sind die Nutznießer nicht etwa kleine, umweltfreundliche Projekte, sondern Großunternehmen. Die Projekte sollen letztlich die zunehmenden Emissionen im Norden rechtfertigen. 30 bis 50 Prozent der Emissionsrechte, die die CDM-Projekte an Unternehmen im Norden verkaufen, stellen jedoch keine wirkliche Emissionsminderung dar. Doch es ist schwierig, dagegen anzugehen, denn diese Projekte werden als "saubere" Alternative präsentiert, die dem Süden wie auch dem Norden nützen soll. Der Emissionshandel ist jedoch nur eine Methode, um die Verantwortung abzuwälzen. Zudem haben die Projekte oft gravierende Auswirkungen auf die Umwelt und auf die Menschen im Süden.

So wurde zum Beispiel für ein CDM-Projekt - eine Windkraftanlage in Maharashtra -mit Hilfe politischen Einflusses Land akquiriert. Dabei mussten mehr Menschen ihr Land verlassen, als eigentlich nötig gewesen wäre. Zudem wurde das Land dann nicht nur für die Windkraftanlage, sondern auch für andere Zwecke genutzt. Für das Projekt wurden Bäume in der Gebirgskette der Western Ghats gefällt. Das könnte Auswirkungen auf den Monsun haben.

In einem anderen Projekt zu Biokraftstoffen wird Heu zur Energieproduktion eingesetzt. Dadurch entsteht nicht nur gesundheitsgefährdende Flugasche. Auch die Rinderzucht in der Region wurde beeinträchtigt, denn Heu ist kein biologischer Abfall, sondern Vieh­futter. Die "National Adivasi Alliance" machte deutlich, dass die vielen in Jharkhand entstandenen CDM-Projekte nicht nur in den dubiosen Emissionshandel involviert sind, sondern zugleich einen Vorwand darstellen, um natürliche Ressourcen auszubeuten, die Umwelt zu verschmutzen und die rechtmäßigen Bewohner dieser Regionen zu vertreiben.

Strategien, Forderungen, Kampagnen

All diese Informationen müssen auf koordinierte Weise verbreitet werden - nur Informationen über einzelne Projekte reichen nicht aus. Es müssen auch die globalen Folgen solcher Projekte angeprangert werden. In Ranchi wurden mehrere Strategien für mehr Klimagerechtigkeit vorgeschlagen, darunter die Stärkung von Kampagnen vor Ort und Interventionen in nationalen und internationalen Prozessen. Damit soll Einfluss auf politische Handlungskonzepte genommen werden, insbesondere im Energiesektor, im Bergbau, im Verkehrsbereich und im Tourismus. Weiterhin müssen die inter­nationalen Verhandlungen zum Klimawandel kritisch beobachtet werden. Alternativen zu konventionellen Energiequellen sollen entwickelt und Lösungsvorschläge zur Verringerung des hohen Konsums und Energieverbrauchs in den Städten gefunden werden.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen zu der Schlussfolgerung, dass die Krise ihre Wurzeln im Kapitalismus und einer nicht am Gemeinwohl orientieren Wirtschafts­weise hat. Im Kern untergräbt der Klimawandel die Rechte marginalisierter Bevölke­rungsgruppen. Ihr Zugang zu öffentlichen Gütern und Ressourcen wie Wasser, Land, Luft und Wäldern wird eingeschränkt. Die benachteiligten Gruppen machen in Indien und in vielen anderen Teilen der Welt die Mehrheit der Bevölkerung aus und werden vom Klimawandel und der Erderwärmung stark betroffen sein. Deshalb müssen sich diejenigen, die sich weltweit für ein besseres Leben und gegen jede Art von Ungleich­heit, Ungerechtigkeit und Ausbeutung einsetzen, auch für Klimagerechtigkeit stark machen.

Sumesh Mangalassery ist Gründungsmitglied von "KABANI - the other direction", einer Initiative, die sich mit Tourismusthemen in Indien auseinandersetzt.

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp

(7.214 Anschläge, 100 Zeilen, September 2009)