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Spannungen und Synergien im Städtetourismus

"Tourism in the City"


Akademische Diskurse zum Städtetourismus führten bislang ein Schattendasein, in der Stadtforschung ebenso wie in der Tourismusforschung. Dabei macht der Städtetourismus etwa 20 Prozent des internationalen Tourismus aus und verzeichnet deutliche höhere Wachstumsraten als andere Tourismussegmente. Die Städte sind dabei sowohl Destinationen als auch Durchgangsstationen.

Der druckfrische Sammelband „Tourism in the City“ vereinigt Beiträge aus einem Workshop, der sich im Juni 2015 in L’Aquila in Italien mit verschiedenen Facetten des Städtetourismus auseinandersetzte. Der Schwerpunkt der Fallstudien liegt auf Europa und dem Mittelmeerraum, obwohl sich nach dem Mastercard Global Destination Cities Index Reportmit London und Paris nur zwei europäische Städteunter den Top-Städtedestinationen der Welt befinden. Alle anderen liegen in Asien. Angeführt von Bangkok ziehen auch Singapur, Kuala Lumpur, Hongkong, Seoul Jahr für Jahr große Zahlen an Touristen an. Dass das nicht ohne Folgen bleibt, ist mittlerweile unumstritten. Allzu deutlich zeigen die Untersuchungen Spannungen, Risiken und potenzielle Zielkonflikte zwischen dem Tourismus und dem Wohlergehen der betroffenen Stadtbevölkerung. In den verschiedensten Städten haben sich Anti-Tourismus-Bewegungen entwickelt, die seit einigen Jahren unüberhörbar ihre Stimmen erheben.

Auch die Welttourismusorganisation (UNWTO)hat mittlerweile anerkannt, dass es nicht ausreicht, den Tourismus nur anhand von Touristenankünften oder seinem wirtschaftlichen Beitrag zu messen. Ihre in dem Buch vorgestellten Indikatoren für das Monitoring der Wirkungen des Tourismus sollen eine Richtschnur bieten und Vergleichbarkeit gewährleisten. Sie erfassen auch Auswirkungen des Tourismus auf die Zielgebiete und die bereiste Bevölkerung. Zum Beispiel werden die ökologischen Folgen des Tourismus in den Blick genommen. Der durch Tourismus entstehende Druck auf ein Zielgebiet wird anhand der Anzahl der täglichen Besucher pro 100 Einwohner gemessen. Hinzu kommen Fragen nach der Zufriedenheit der Anwohner, die touristische (Mit-)Nutzung grundlegender Versorgungsleistungen, Überlastungserscheinungen und das Eindringen von Touristen in en Lebensraum der Einheimischen.

Im Kapitel zu den kritischen Analysen des Städtetourismusstehen Nachhaltigkeitsgedanken im Vordergrund. Die Frage nach dem direkten wirtschaftlichen Nutzen des Tourismus für die Einheimischen ist in der Diskussion zweitrangig. Häufiger geht es um das Verhältnis zwischen Besuchern und Einheimischen und um Fragen von Inklusivität und Zugang. Aber auch um Synergien, durch die der Tourismus dazu betragen kann, das Leben in einer Stadt lebenswerter zu machen. So lohnt sich der Bau und Betrieb bestimmter Infrastruktur unter Umständen nur, wenn sie sowohl von Touristen als auch von Einheimischen genutzt wird. Das können z. B. Angebote sein, die den Freizeitwert einer Stadt merklich erhöhen.

„Tourism in the City“ soll nicht nur zur wissenschaftlichen Debatte beitragen, sondern vor allem auch politische Handlungskonzepte befördern helfen, mit denen sich Spannungen und Konflikte um Raum, Dienstleistungen und Ressourcen entschärfen lassen. In ihrem Fazit weisen die Herausgeberinnendarauf hin, dass sich sowohl die Befürworter als auch die Gegner touristischer Entwicklung unter Umständen auf Vorstellungen beziehen, die nicht mehr aktuell sind. Sie beruhen womöglich nicht auf gründlichen Analysen der Verflechtungen des Tourismus mit anderen Wirtschaftsbereichen oder der tatsächlichen Auswirkungen touristischer Aktivitäten.

Daher ist es wichtig, die Phänomene und Auswirkungen im Tourismus-Kontext genau zu erfassen und zu beobachten. So lässt sich vermeiden, in die Falle einer simplifizierten (positiven oder negativen) Darstellung zu tappen, die sich im politischen Diskurs nur allzu leicht herauskristallisiert.

Tourism in the City: Towards an Integrative Agenda On Urban Tourism. Hg. von Nicola Bellini und Cecilia Pasquinelli, Springer Verlag, 2017. 339 Seiten. ISBN 978-3-319-26876-7

-ck-

(3.915 Zeichen, September 2016, TW 84)