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Selbstbewusst an die Zukunft glauben - Drei Fragen an René Schärer, Gründer des Instituto Terramar, Brasilien


Mitte Mai 2008 trafen sich in Fortaleza, im Bundesstaat Ceará im Nordosten Brasiliens, Mitglieder lokaler Gemeinschaften, Nichtregierungsorganisationen, Reiseveranstalter, Naturschutzorganisationen und Regierungen aus verschiedenen Teilen Brasiliens und aus Lateinamerika und Europa zur II. Internationalen Konferenz zu Nachhaltigem Tourismus (ICST). Im Mittelpunkt stand das Konzept des 'turismo comunitario' – eines Tourismus, der von Dorfgemeinschaften selbstbestimmt organisiert wird und bei dem sie auch die Nutznießer sind. Die Teilnehmenden verabschiedeten die Abschluss­erklärung von Fortaleza, die wir im Anhang dokumentieren.

Zu den Ergebnissen der Konferenz befragten wir den ehemaligen Swissair-Manager René Schärer, der heute als Entwicklungshelfer und Gründer des 'Instituto Terramar' in Ceará/Brasilien lebt. In der Schweiz hat er im Jahr 2000 den Unterstützungsverein 'Amigos da Prainha do Canto Verde' ins Leben gerufen.

TW: Vor fünf Jahren, im Mai 2003, fand in Fortaleza die erste Internationale Konferenz zu Nachhaltigem Tourismus statt. Was hat sich seitdem verändert?

René Schärer: Vor fünf Jahren war das Konzept des 'turismo comunitario' in Brasilien ein Fremdwort. Die Regierung konzentrierte ihre Anstrengungen auf die Förderung von Massen- und Resort-Tourismus. Anwohner und Kommunalverwaltungen waren von der Planung und Umsetzung ausgeschlossen. Das Projekt PRODETUR zur Tourismus­entwicklung des Nordostens mit Investitionen in Milliardenhöhe wird durch die Inter­amerikanische Entwicklungsbank mitunterstützt. Auch hier ist die Zivilgesellschaft nur Zuschauer. 'Turismo comunitario' gehörte nicht zur Tourismusentwicklungspolitik. Die ersten Bemühungen, Tourismus als Instrument zur lokalen Entwicklung zu fördern, stammten von Nichtregierungsorganisationen wie dem 'Instituto Terramar' im Staat Ceará und dem WWF (World Wide Fund for Nature) im Amazonas. Das erste Seminar hat die nötigen Impulse zur Anerkennung dieser Entwicklung geliefert. Heute gibt es in Brasilien schon fast 20 Initiativen, die einen 'turismo comunitario' umsetzen. Wir haben die Zeit genutzt, unsere Netze zu spinnen und zusammen mit Organisationen wie EED-Tourism Watch, dem 'Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung' in der Schweiz, 'Equations' in Indien und 'Redturs' in Südamerika zu wichtigen Anlässen – den Weltsozialforen 2004 in Mumbai und 2005 in Porto Alegre – diese Art von Tourismus zu fördern. Das Ergebnis ist, dass verschiedene Ministerien in Brasilien heute anerkennen, dass 'turismo comunitario' zur lokalen Entwicklung und zur Minderung der Armut beiträgt.

TW: Was sind die wichtigsten Ergebnisse der diesjährigen Konferenz?

René Schärer: Ganz an erster Stelle sicher die Tatsache, dass von den über 500 Teil­nehmern ein großer Teil aus Dorfgemeinschaften in Brasilien und Lateinamerika stammte und eine große ethnische Vielfalt repräsentierte. Der Erfahrungsaustausch unter Gleichgesinnten fördert die Zusammengehörigkeit und das Selbstbewusstsein unter den Menschen aus doch meist armen Gegenden, wo sie häufig nur die Opfer des Tourismus sind. Eines der Highlights war die Gründung des „Turismo comunitario'-Netzwerks TUCUM mit 12 Destinationen im Staat Ceará und die Vernetzung mit anderen Destinationen in Brasilien und Lateinamerika. Ein Schritt in die Zukunft war das Treffen der Vertreter aus den Zielgebieten mit Anbietern aus Europa und Amerika. Wichtig für alle Teilnehmer war auch das Zusammentreffen verschiedener Kulturen und der Austausch zwischen Bevölkerung, Nichtregierungsorganisationen, Regierung und Studierenden. Eine wichtige Erkenntnis war, dass 'turismo comunitario' und Tourismus in Naturschutzgebieten für Naturschutz und nachhaltige Entwicklung sowie Tourismus als Strategie für Artenschutz (wie z.B. die Beobachtung von Seeschildkröten und Walen) den Begriff Ökotourismus ganz speziell verdienen, da der Mensch ja schließlich auch zum Ökosystem gehört. Ein ganz wichtiges Resultat des Seminars ist die Tatsache, dass die brasilianische Bundesregierung, d.h. Tourismus- und Umweltministerium, den Anlass nutzte, um sich zum 'turismo comunitario' als Entwicklungsinstrument zu bekennen und den Dorfgemeinschaften Zugang zu sub­ventionierten Projektfinanzierungen zu eröffnen.

TW: Inwiefern stellt eine solche internationale Konferenz für Gemeinschaften in Brasilien eine ganz konkrete Unterstützung dar?

René Schärer: Weil 'turismo comunitario' immer noch ein stiefmütterliches Dasein fristet, ist es wichtig, dass die Vertreter der Dorfgemeinschaften sehen, dass diese Art von Tourismus in anderen Ländern einen hohen Stellenwert hat. Dazu hat die Eröffnungspräsentation des Tourismusministers aus Bolivien, aber auch die Vorträge der Vertreter von 'turismo comunitario'-Verbänden aus Ecuador, Costa Rica, Bolivien und Brasilien beigetragen. Gleichzeitig war es für die zahlreichen Vertreter staatlicher Tourismusinstitutionen wichtig zu sehen, dass die lokale Tourismusentwicklung in anderen Ländern erste Priorität ist. Mit diesem zweiten Seminar sind wir sicher, dass 'turismo comunitario' in Brasilien nun eine Tatsache ist, die Akteure sich näher gekommen sind und fest an ihre Zukunft für einen anderen Tourismus glauben.

Weitere Informationen: www.sits2008.org.br, www.terramar.org.br

(5.359 Anschläge,70 Zeilen, Juni 2008)