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Schroeder-Lexikon der Tourismus-Wirtschaft


"Zu den wichtigsten Instrumenten der deutschen Entwicklungspolitik gehört auch die Tourismusförderung." Hoppla, dachten wir, als uns auf der vergangenen Internationalen Tourismus-Börse Berlin (ITB) dieses Zitat in die Hände fiel - und das nicht etwa in irgendeinem unmaßgeblichen Blättchen, sondern in der druckfrischen 4. überarbeiteten und erweiterten Auflage des "Schroeder-Lexikons der Tourismus-Wirtschaft", im Eintrag zur GTZ, der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit. Sollte uns da womöglich etwas entgangen sein? In einer kleinen Gruppe von Journalistinnen und MitarbeiterInnen von Nichtregierungsorganisationen im Bereich Umwelt und Entwicklung verbrachten wir einen Abend in einer Berliner Kneipe damit, uns das Werk genauer anzuschauen.

"Trotz sorgfältiger Bearbeitung..."

Das Schroeder-Lexikon kann ganz sicher als Standardwerk der Branche gelten, veröffentlicht im TourCon-Verlag "mit der Kompetenz der fvw", der Fremdenverkehrswirtschaft International, Marktführerin der touristischen Fachzeitschriften in Deutschland. Die vierte Auflage beeindruckt durch eine Fülle von "über 5.000 Begriffen und Kürzeln" rund um den Tourismus. Laut Vorwort wurde sie "vollkommen überarbeitet und modernisiert", geprägt durch eine "durchgehende Aktualisierung" . wie wir es in der Tat von einem neu erschienenen Lexikon erwarten oder zumindest erhoffen. Einem Lexikon, dem wir gerne vertrauen möchten.

Doch können wir das, wenn gerade die Einträge, mit denen wir doch meinen uns auszukennen, sich wie ein "Es war einmal..." lesen? Wahrlich nostalgische Gefühle kamen auf, als wir uns in die alten Zeiten der "Arbeitsgemeinschaft Tourismus mit Einsicht" (TmE) zurückversetzt fühlten: Die "Ehemalige Arbeitsgemeinschaft von Initiativgruppen und Organisationen aus entwicklungspolitischen, touristischen, kirchlichen, wissenschaftlichen, umwelt- und jugendpolitischen Bereichen, die für Veränderungen im Tourismus eintrat, ... hatte sich anlässlich der ITB 1986 zusammengeschlossen ... hat sich inzwischen aufgelöst..." In der Tat, "inzwischen", das war 1992 . vor zehn Jahren! Dass sich seitdem einiges getan hat, dass es einige der damals beteiligten Organisationen gar nicht mehr gibt, andere ihren Namen, ihren Sitz, ihre Arbeitsschwerpunkte geändert haben, darauf findet sich im neuen Schroeder-Lexikon kaum ein Hinweis. Auch TOURISM WATCH fehlt (s. Glossar).

Lediglich die Neugründung des "Studienkreises für Tourismus und Entwicklung" in Ammerland ist an den Autoren nicht vorbei gegangen. Sie bemerkten allerdings nicht, dass die angeblich "inzwischen entfallenen" Reiseleiterseminare der DSE (unter diesem Stichwort) und des Starnberger "Studienkreises für Tourismus (StfT)" weiterbestehen. Nach wiederholten konzeptionellen Anpassungen werden sie als "Entwicklungsbezogene und interkulturelle Motivationsseminare" für ReiseleiterInnen gemeinsam vom Ammerlander "Studienkreis für Tourismus und Entwicklung" und der Fachstelle TOURISM WATCH des Evangelischen Entwicklungsdienstes durchgeführt. Ebenfalls entgangen ist den Lexikon-Machern, dass es seit 1995 den "To Do!"-Preis gibt, einen Wettbewerb des Studienkreises "für sozialverantwortlichen Tourismus". Er ist sicher eine Erwähnung wert, denn der "Toura d'Or: Wettbewerb Internationaler Tourismusfilm des Studienkreises für Tourismus und Entwicklung" ist es ja auch. Nähere Informationen zu den Wettbewerben: www.studienkreis.org

Was wir suchten, was wir fanden (oder auch nicht)

Auch anhand internationaler politischer Entwicklungen zum Tourismus haben wir das neue Schroeder-Lexikon auf den Prüfstand gestellt. Mit der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) 1994 beschlossen die Mitgliedsstaaten das "General Agreement on Trade in Services (GATS)", ein umstrittenes internationales Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, nach dem auch der Tourismus dem freien Handel unterworfen werden soll (s. S. 11 in dieser TourismWatch-Ausgabe) Die GATS-Verhandlungen gehören zur sogenannten "eingebauten Agenda" der WTO. Dem neuen Schroeder-Lexikon ist GATS jedoch kein Begriff. Zwar ist vermerkt, die Welthandelsorganisation sei "ebenso zuständig für den Handel mit Dienstleistungen", verwiesen wird dann aber auf das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) von 1947.

Unter dem Stichwort "Agenda 21" wird zu unserer großen Erleichterung der "Umweltgipfel" von Rio erwähnt. Würde er unter der offiziellen Abkürzung "UNCED" (United Nations Conference on Environment and Development) auftauchen, würde vielleicht deutlicher werden, dass es bei diesem Weltgipfel explizit nicht nur um Umwelt, sondern auch um Entwicklung ging. Irritiert hat uns die Aussage "Auch in den Nachfolgekonferenzen spielt Tourismus und dessen Entwicklung eine zentrale Rolle". Wir können uns nicht erinnern, dass der Tourismus 1992 in Rio eine Rolle spielte. Unklar bleibt, welche Nachfolgekonferenzen hier gemeint sind. Unter den Verweisen auf "Nachhaltige Regionalentwicklung", "Umweltpreis" und "Viabono" kommen wir jedenfalls keinen Schritt weiter. Mangels Verweis vermuten wir, das hier die CSD gemeint sein wird. Sie wäre ein relevantes Stichwort, denn die "Commission on Sustainable Development" (Kommission für nachhaltige Entwicklung) hat 1999 auf ihrer 7. Sitzung ein umfangreiches internationales Arbeitsprogramm zu "Tourismus und nachhaltiger Entwicklung. verabschiedet und damit die Tourismus-Lücke in der Agenda 21 von 1992 gefüllt. Doch zur CSD finden wir nichts. Dafür aber "CST: Child Seat, Kindersitz als Zusatzausstattung bei Mietwagenreservierungen"! Ein schwacher Trost.

Doch wir geben die Hoffnung nicht auf. Es könnte ja auch die CBD gemeint sein, die Konvention/das "Übereinkommen über biologische Vielfalt" (Convention on Biological Diversity). Die Vertragsstaatenkonferenzen der CBD, die alle zwei Jahre stattfinden, beschäftigen sich immerhin seit 1998 auch mit Tourismus, und dies sogar auf Initiative der Bundesrepublik Deutschland. Stichwort: "Berliner Erklärung", siehe z.B. TourismWatch Nr. 11 vom August 1997, oder (hoffentlich) dann die nächste (fünfte) Auflage des Schroeder-Lexikons.

Unser weiteres Augenmerk galt der Frage, inwieweit die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern im Tourismus für die Schroeder-Lexikon-Macher ein Thema ist. Als "gut gemeint" konnten wir feststellen, dass die Stichworte "Sextourismus" und "Ecpat" immerhin knapp auftauchen. Nur leider hapert es dabei ein wenig mit der Geographie. Denn nicht nur Südostasien, Afrika und Lateinamerika sondern auch südasiatische Länder, z.B. Sri Lanka, sind bekannte Ziele von Sextouristen, und in zunehmendem Maße osteuropäische Länder. Dass in vielen Ländern gerade auch Kinder kommerziell sexuell ausgebeutet werden, fehlt und auch, dass dagegen etwas getan werden kann und getan wird. ECPAT (End Child Prostitution, Child Pornography and Trafficking of Children for Sexual Purposes) mit Sitz in Bangkok (nicht in Paris!) ist eines der Netzwerke, dass sich für den Schutz von Kindern vor kommerzieller sexueller Ausbeutung einsetzt. In Deutschland gibt es ebenfalls eine ECPAT-Arbeitsgemeinschaft. Ihre Arbeit wird von dem Grundsatz geleitet, dass jedes Kind Anspruch auf umfassenden Schutz vor allen Formen der kommerziellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs hat. Die sexuelle Ausbeutung von Kindern durch deutsche Touristen im Ausland steht in Deutschland gesetzlich unter Strafe. Der Deutsche Reisebüro und Reiseveranstalter Verband (DRV) hat mit ECPAT Deutschland einen "Code of Conduct", einen Verhaltenskodex zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung vereinbart, was sicher für die Nutzer des Schroeder-Lexikons nicht uninteressant wäre. Nach der UN-Kinderrechtskonvention ist ein Kind "jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt" (eine Einschränkung, die durchaus problematisch und in der Strafverfolgung relevant ist). Im Schroeder-Lexikon hätten wir diesbezüglich einen Eintrag erwartet. Hier aber gibt es das Kind nur auf Englisch: "Child (CH): Internationaler IATA-Code für Kinderpassagiere. ... Sie haben Anspruch auf einen eigenen Sitzplatz."

Der unsägliche "Ballermann"-Tourismus mit seinen Saufgelagen auf Mallorca wird dafür als .unkompliziert"bezeichnet. Und unter "integrieren" der australischen Ureinwohner versteht man lediglich, dass man ihnen "beim Fischen, Jagen oder Kochen über die Schulter schauen kann" (s. .Aboriginal/Aborigines.).

In eigener Sache

Können wir davon ausgehen, dass viele Einträge, die wir nicht überprüft haben, und zu denen wir im "Schroeder-Lexikon" gerne besseres Wissen suchen - auch wenn dessen Autoren "nicht als Besserwisser gelten möchten" . tatsächlich aktualisiert und besser recherchiert sind? Als Journalistinnen sind wir auf akkurate Informationen und Definitionen angewiesen. Für die nächste Auflage wünschen wir sie uns, denn wir würden das Lexikon auch unseren LeserInnen gerne empfehlen. Zur aktuellen Information in eigener Sache haben wir ein kleines Glossar zusammengestellt.

Glossar

DANTE: "Die Arbeitsgemeinschaft für Nachhaltige TourismusEntwicklung", hervorgegangen aus dem "Ad-hoc Arbeitskreis Tourismus im Forum Umwelt & Entwicklung", gegründet 2000 von über 15 deutschen, österreichischen und Schweizer Umweltgruppen und entwicklungspolitischen Organisationen, die sich schwerpunktmäßig mit Tourismus und nachhaltiger Entwicklung beschäftigen und in der tourismuspolitischen Lobbyarbeit sowie der Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit aktiv sind.

ECOT: "Ecumenical Coalition on Tourism", bis 2002 "Ecumenical Coalition on Third World Tourism" (ECTWT), gegründet 1982 mit Sitz in Bangkok, seit 1999 Sekretariat in Hongkong. Träger sind die regionalen Kirchenzusammenschlüsse der "Dritten Welt". Die ECOT befasst sich mit den Auswirkungen des Tourismus auf das Leben der Einheimischen in Entwicklungsländern und vertritt ihre Interessen. Dabei arbeitet sie mit anderen Nichtregierungsorganisationen und Netzwerken zusammen. Herausgeberin der Zeitschrift "Contours".

ECPAT: "End Child Prostitution, Child Pornography and Trafficking of Children for Sexual Purposes", gegründet 1990 in Bangkok als internationale Kampagne "End Child Prostitution in Asian Tourism" zur Bekämpfung der Prostitution mit Kindern im Tourismus. Seit 1997 internationale Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Bangkok. Weltweit aktives Netzwerk aus zahlreichen nationalen Kampagnen, Initiativen und Organisationen.

ECPAT Deutschland: Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung, bundesweiter Zusammenschluss von 28 Institutionen und Gruppen. Die Arbeit des Vereines und seiner Mitgliedsorganisationen wird vom Grundsatz geleitet, dass jedes Kind Anspruch auf umfassenden Schutz vor allen Formen der kommerziellen Ausbeutung und des sexuellen Missbrauchs hat. ECPAT Deutschland engagiert sich in verschiedenen Arbeitsbereichen (Politik, Justiz, Wirtschaft und Bildung) und führt in Zusammenarbeit mit staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen Kampagnen und Projekte zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit, zur Entwicklung von Präventivmaßnahmen und zur Schaffung von rechtlichen Grundlagen zum Schutz der Kinder durch.

TEN: "Tourism European/Ecumenical Network", gegründet 1982, loser Zusammenschluss tourismuskritischer Nichtregierungsorganisationen aus verschiedenen europäischen Ländern. Derzeit 10 Mitgliedsorganisationen.

TOURISM WATCH: Gegründet 1975 als ZEB (Zentrum für Entwicklungsbezogene Bildung) in Stuttgart mit dem Auftrag der Bildungs- und Informationsarbeit zum "Dritte Welt"-Tourismus. 1990 bis 2001 als ZEB/Fachstelle Ferntourismus des kirchlichen Entwicklungsdienstes der Evangelischen Kirche in Deutschland bei "Dienste in Übersee" in Leinfelden-Echterdingen, 1996 umbenannt in TOURISM WATCH. Seit 2001 Teil der Inlandsarbeit des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) in Bonn. TOURISM WATCH engagiert sich in der Bildungs- und Solidaritätsarbeit im Bereich "Dritte Welt"-Tourismus und setzt sich für eine nachhaltige, umweltverträgliche und sozialverantwortliche Tourismusentwicklung ein. TOURISM WATCH ist Mitglied bei DANTE, ECPAT-Deutschland und TEN, Herausgeber des "TourismWatch - Informationsdienst Dritte Welt-Tourismus", der seit 1993 erscheint.

"Schroeder-Lexikon der Tourismuswirtschaft., TourCon Hannelore Niedecken Verlag, Hamburg 2002, 4. überarbeitete und erweiterte Auflage, 384 Seiten, ISBN 3-9803236-9-2. www.tourcon.de

(12.409 Anschläge, 161 Zeilen, Dezember 2002)