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Schatten im Paradies

Unruhe auf den Malediven


Die offiziell als Republik bezeichneten Malediven, Traumurlaubsziel für viele, machen seit 2003 negative Schlagzeilen. Neueste Ereignisse und Enthüllungen werfen dunkle Schatten auf das Inselparadies – der Schein von exotischen, palmengesäumten Stränden und Luxusressorts trügt. In diesem Sommer gärte es erneut.

Am 12. August 2004 versammelten sich mehr als 5.000 Demonstranten vor dem Polizeihauptquartier in der maledivischen Hauptstadt Male, um die Freilassung von Hunderten von politischen Gefangenen zu fordern. Sie waren verhaftet worden, weil sie eines nicht konnten oder wollten: schweigen. Auf den Malediven gilt das Recht der freien Meinungsäußerung nicht. Wie ist das möglich?

Seit mehr als 25 Jahren hält Präsident Maumoon Abdul Gayoomeisern die Fäden der Macht in der Hand und ist damit der am längsten regierende Staatschef Asiens. Im Oktober 2003 trat er nach einer Wahl, in der er der einzige Kandidat war, seine sechste Amtsperiode an. Die Republik ist ein Einparteienstaat, der keine anderen Parteien, geschweige denn das Recht auf Versammlungsfreiheit zulässt. Pressezensur und staatliche Überwachung von Polizei, Militär und Gericht sind an der Tagesordnung.

Die Opposition, die Maledivische Demokratische Partei (MDP), befindet sich im Exil und kann auf den Malediven nur heimlich tätig sein. Sie hat ihre Basisstation in Sri Lanka und wird von der Menschenrechtsorganisation "Friends of Maldives" unterstützt, die von England aus auf die Situation in ihrem Heimatland aufmerksam macht. Gemeinsam werfen sie Gayoom und seiner Regierung willkürliche Verhaftungen, Verurteilungen ohne Prozess und Folter in Gefängnissen vor. Sie fordern den Rücktritt des Präsidenten und seiner Gefolgschaft (Vetternwirtschaft) und glauben nicht an die Reformpläne für eine demokratische Verfassung, die im Juni verabschiedet wurden.

Die vorwiegend friedliche Demonstration für Demokratie im August wurde am zweiten Tag durch mit Knüppeln und Tränengas bewaffnete Polizisten zerschlagen. Präsident Gayoom rief bis Oktober den Ausnahmezustand auf den Malediven aus und ließ sämtliche Internetverbindungen zum Inselstaat kappen. Die Regierung gab an, sie hätte 185 Personen, darunter auch Parlamentsmitglieder, unter Arrest gestellt. Unter den Inhaftierten war auch Ibrahim Zaki, der 30 Jahre lang als Tourismus- und Planungsminister Gayoomhalf, die Tourismusinfrastruktur auf den Malediven auszubauen und sich seit Jahren für freie Wahlen und Gewaltenteilung einsetzt. Im letzten Jahrzehnt sind bereits Dutzende von Politikern, Journalisten und andere, die gegen die Politikder Regierung protestierten, willkürlich verhaftet worden. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International berichten von schwerer Folter der Gefangenen, die oft auf abgelegene Atolle verbannt würden.

Die Opposition im Exil fordert Tourismusboykott

Die MDP, allen voran ihr Sprecher Mohammed Latheef, fordert aufgrund der neuesten Ereignisse Touristen auf, seinem Heimatland fern zubleiben: "While you enjoy the beaches of the Maldives, don’t forget that Gayoom is torturing his people" (1). Ein derartiger Boykott würde die Wirtschaft der Malediven hart treffen. Der Tourismus ist mit Abstand der wichtigste ökonomische Sektor der Inselkette. Rund 90 % aller Steuern bestehen aus Zöllen und Tourismussteuern. Die Regierung streicht pro Übernachtung und Gast sechs Dollar ein, ab November 2004 sollte die "Bettensteuer" auf acht Dollar erhöht werden.

Die MDP findet auch im Europäischen Parlament Unterstützung für ihre Forderungen. Nirj Deva, ein britisches Mitglied des Parlaments, sieht den einzigen Weg, das derzeitige Regime zu Fall zu bringen darin, enormen Druck auf und durch die Tourismuswirtschaft auszuüben. Vor allem Agenturen aus Deutschland, Italien und Großbritannien, die fast die Hälfte aller Touristen auf die Malediven vermitteln, müssten handeln. "They are supporting a tyrannical regime where 329.000 people are scrounging out an existence on less than sixty cents a day" (2), so Nirj Deva.

Nach intensiven Nachforschungen rief die britische Organisation Tourism Concern, unterstützt von den Friends of Maldives, die Menschenrechtskampagne "The Maldives: Lost in Paradise" ins Leben. Anlass waren Erkenntnisse über die erschreckenden Lebensbedingungen der lokalen Bevölkerung.

Gute Propaganda, schlechte Lebensbedingungen

Offiziell gilt der kleine Staat zwar als erfolgreich; so hat er auf dem Papier das höchste Pro-Kopf-Einkommen in ganz Südasien. Nach einem aktuellen UN-Report jedoch leben 42 % der Malediver von weniger als 1,17US-Dollar pro Tag und gute 20 % sogar unter einem US-Dollar, d.h. unter der von der UN definierten und international anerkannten Armutsgrenze. Auf den meisten Inseln gibt es keine ausreichende Gesundheitsinfrastruktur, 40 % der Bevölkerung haben keinen Zugang zu einem Krankenhaus.

Wenige privilegierte Einheimische und allen voran die Regierung selbst profitieren von den Einnahmen aus dem Fremdenverkehr. Während die Elite um die 5000 US-Dollar pro Jahr verdient, müssen die meisten Menschen ihren Lebensunterhalt von etwa 365 US-Dollar bestreiten. Die "gelobte" Sozialverträglichkeit des touristischen Systems auf den Malediven, das Tourismus-Inseln von Bewohner-Inseln strikt trennt und so einen westlichen Einfluss auf die muslimische Kultur der Malediver möglichst gering hält, verhindert gleichzeitig, dass die Einnahmen aus der Branche einer breiten Bevölkerung zu Gute kommen können.

Tourism Concern spricht sich trotzdem gegen einen absoluten Tourismusboykott der Malediven aus, da die NGO befürchtet, dass sich die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort nur weiter verschlechtern würden. "Wir konzentrieren uns vor allem auf die Änderung der Strukturen im Tourismus und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen", so Kelly Haynes, die Kampagnenleiterin bei Tourism Concern. Die Kampagne soll aber auch auf den großen Gegensatz zwischen Reich und Arm auf den Inseln aufmerksam machen, der durch die Tourismusindustrie in ihrer heutigen Form maßgeblich gefördert wird.

Die Tourismusindustrie auf den Malediven

Der Großteil der Gelder aus dem Tourismus stammt von 87 Ressort-Inseln, die von der Regierung an den jeweils Meistbietenden für bis zu 40 Millionen US-Dollar pro Jahr verpachtet werden. Diese Steuereinnahmen hätten, würden sie richtig genutzt und nicht nur in einige private Taschenfließen, eine große Bedeutung für die Verbesserung der Lebensqualität der Malediver. Lediglich eine kleine Minderheit von Unternehmen und Familien besitzt das größte Stück vom "Tourismuskuchen". So zählen Universal Enterprises acht Inseln und die Village Group fünf Luxuseilande zu ihrem Besitz. Seit Juli 2004 stehen elf weitere Inseln im Angebot, wobei zu erwarten ist, dass sie von anderen Ressorteigentümern ersteigert werden.

Fisch wird importiert, obwohl es den Malediven weder an Fischern noch an Meerestieren selbst mangelt. Aber die einheimischen Fischer haben nur wenige Kühlhäuser und eine beschränkte Elektrizitätsversorgung zur Verfügung, so dass es für sie unmöglich ist, ihre Ware frisch zu halten und an die Ressorts zu verkaufen. Die Arbeit als Fischer ist jedoch die einzige Alternative in einem Staat, der aufgrund schlechter Böden nur sehr eingeschränkt für die Landwirtschaft geeignet ist. Grosse Mengen an Gemüse und Früchten müssen importiert werden, sie gelangen fast ausschließlich auf die Touristeninseln. 30 % aller Kinder unter fünf Jahren sind laut der UN auf den Malediven unterernährt: "The Maldivian people face a nutritional situation more acute than sub-Saharan Africa" (Afrika südlich der Sahara) (3).

Auch die etwa 20.000 Menschen, die direkt in der Tourismuswirtschaft tätig sind, stehen teilweise katastrophalen Bedingungen gegenüber. Es gibt weder einen festgelegten Mindestlohn innerhalb des privaten Sektors, noch Gesetze, die Gesundheits- oder Sicherheitskonditionen festlegen. Etwa die Hälfte aller Beschäftigten kommt aus Sri Lanka, Indien, Pakistan und Bangladesch. Sie zahlen oft hohe Vermittlungsgebühren an Agenturen in ihrem Heimatland, um eine Anstellung auf den Malediven zu bekommen. Das durchschnittliche Gehalt in der Tourismusbranche beträgt 75 US-Dollar im Monat, wobei Kellner und Barangestellte oft weniger erhalten, da vorausgesetzt wird, dass sie in den Genuss zusätzlicher Trinkgelder kommen. Allerdings werden diese sehr unregelmäßig gezahlt, da die meisten Touristen das Gefühl haben, bereits genug für den teuren Pauschaltrip ausgegeben zu haben. Viele Angestellte bekommen bis zu drei Monate lang kein Gehalt, obwohl sie an sieben Tage der Woche jeweils zwölf Stunden arbeiten. Oft können sie nur einmal im Jahr ihre Familien besuchen, da ein Tag Urlaub pro Monat keine häufigeren Heimreisen zulässt. Nicht selten sind acht bis 15 Arbeiter zusammen in einem Raum eingepfercht. Viele im Tourismus Beschäftigte haben Angst, über die ungerechten Zustände zu sprechen, da sie auf ihr mageres Einkommen angewiesen sind und ihnen in diesem Fall die Entlassung drohen würde.

Die Regierung hat die Lenkung des Tourismus völlig in der Hand und schützt das existierende System, um selbst durch horrende Steuer- und Pachteinnahmen der mit Abstand größte Nutznießer zu sein, während der Bevölkerung der Zugang zu Einnahmen aus dem Tourismus verwehrt wird. Gayoom genoss bisher sogar den Ruf eines "Ökomoralisten" (4), da er den Bauder Luxusressorts nur unter bestimmten Auflagen zulässt und vehement vor den Folgen des Treibhauseffektes warnt.

Demokratie in Sicht ?

Der Präsident deutet mittlerweile durch den wachsenden internationalen Druck ein Einlenken an, indem er Madeleine Albright, die frühere US-Außenministerin, und somit das National Democratic Institute beauftragt hat, Reformpläne für die Verwaltung und Gesetzgebung für den Inselstaat zu entwerfen. Die Rede ist auch von der Einführung eines Mehrparteiensystems. Aber die Opposition traut ihm nicht. Gayoom fürchtet sich vor einem möglichen Tourismusboykott. Deshalb ließ er im internationalen Nachrichtensender "BBC World" (Fernsehen) mehrmals täglich vor und nach der Wettervorhersage die teure Werbung schalten: "Maldives - the sunny side of life". Seinen Tourismusminister Hassan Sobir schickte er in die drei Top-Herkunftsländer der Malediven-Touristen, nach Italien, Deutschland und England, um die Gemüter zu beruhigen. Sobir stellte fest: "A boycott of tourism would be like cutting down the branch you are sitting on" (5) –nun, zumindest für sich gesprochen liegt er mit dieser Aussage richtig.

Literatur: Alcantara, Nelson: Maldivian president declares state of Emergency, cuts off all Internet communication. Browne, David: Maldives campaigners urge reform. Browne, David: Maldives gov’t rejects calls for tourism boycott. Alle in: www.travelwirenews.com. Fuchs, Cornelia: Touristendollars für die Tyrannei. In: www.stern.de/politik/ausland/index.html. "Der Standard": Malediven lockern Ausnahmezustand – EU erwägt Aufruf zu Tourismusboykott. Wien, 24.08.2004. "In Focus": The Maldives: Lost in Paradise. Tourism Concern, London, Herbst 2004. "Integra": Die Malediven – Schatten im Paradies, respect-Institut für integrativenTourismus und Entwicklung, Wien, 3/2004, www.respect.at

Anmerkungen:

(1), (2), (5): www.travelwirenews.com

(3) UN Development Assistance Framework1998. In: Briefing on the Maldives: Lost in Paradise. A Tourism ConcernCampaign.

(4) Falksohn, Rüdiger. Teestunde für Aufrührer. In: Der Spiegel 35/2004.

Neuer Tourismusminister ist inzwischen Mustafa Lutfi

Weitere Informationen:

Menschenrechtskampagne von Tourism Concern: www.tourismconcern.org.uk Friends of Maldives: http://friendsofmaldives.co.uk/ Maldives Culture: www.maldivesculture.com

Demokratische Partei der Malediven: www.maldiviandemocraticparty.org

Alternative solution to Media Suppressionin the Maledives: www.sandhaanu.com

Website des Präsidenten: www.presidencymaldives.gov.mv

Offizielle Homepage des Tourismusministeriums: www.visitmaldives.com

(11.889 Anschläge, 153 Zeilen, Dezember 2004)