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Mit Tourismus gegen die Armut?

NGOs auf Vorbereitungsseminar in Hannover bleiben skeptisch


Mit den Millenniumszielen der Vereinten Nationen hat die internationale Gemeinschaft die Bekämpfung der Armut ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Bis 2015 soll der Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, halbiert werden. Auch die Welttourismusorganisation (WTO) aus Madrid, die gerade zur "Sonderorganisation der UN" aufgewertet wurde, hat sich die Armutsbekämpfung auf ihre Fahnen geschrieben. Doch ob der Tourismus einen sinnvollen Beitrag zur Minderung von Not und Elend leisten kann, ist fraglich. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) melden jedenfalls starke Zweifel an.

Auf einer Diskussionsveranstaltung im Rahmen des internationalen Fachseminars "Tourism: Unfair Practices – Equitable Options“ (Unfaire Praxis – Gerechte Alternativen) am 8. Dezember in Hannover wurden sie darin bestätigt. Rund 40 VertreterInnen von Tourismusinitiativen und NGOs aus Europa, Asien, Afrika und Lateinamerika erhielten von TUI-Umweltmanager Wolf Michael Iwand eine klare Antwort auf die Frage "Warum sollte die Tourismusindustrie ein Interesse an der Bekämpfung der Armut haben?".

Ein solches Interesse hat sie nämlich nicht. Denn, so Iwand: "The business of business is business." Entsprechend habe die TUI das Ziel der Armutsbekämpfung auch nicht in ihren Zielkatalog aufgenommen. Im Gegenteil, der Tourismus basiere auf Ungleichheit. "Und damit leben wir komfortabel", gab Iwand zu. Die Menschen in den touristischen Zielgebieten würden die TUI immer wieder bitten, ihnen mehr Touristen zu schicken.

Adama Bah von "Gambia Tourism Concern" sah die Probleme, die dahinterstehen, differenzierter. "Ja, die Leute sagen, schicken Sie uns mehr Touristen. Aber haben sie denn eine Wahl?". In vielen Entwicklungsländern gehe es nicht darum, ob die Menschen vor Ort wirklich mehr Touristen wollen oder nicht, sondern darum, ob sie Alternativen hätten.

K.T. Suresh von "Equations" (Bangalore, Indien) stellte fest, dass er kaum Leute treffe, die mehr Touristen wollten, aber umso mehr Leute, die sagten "genug ist genug!". "Da leben wir wohl in zwei verschiedenen Welten." Trotz der bereits über zehn Jahre dauernden Debatte habe die Ungerechtigkeit zugenommen. Es sei schlichtweg nicht akzeptabel, dass Ungerechtigkeit als etwas angesehen werde, wovon man profitieren sollte, so die deutliche Reaktion von indischer NGO-Seite.

Für die deutsche Bundesregierung sei die Armutsbekämpfung aber sehr wohl ein Ziel, bestätigte Burghard Rauschelbach, Fachplaner der "Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ)". Rund 100 Entwicklungsprojekte der GTZ hätten derzeit mit Tourismus zu tun, darunter Kooperationen mit der Privatwirtschaft ("public private partnerships"). "Wenn es nicht die Vorstellung vom Tourismus als einkommensschaffende Maßnahme gäbe, hätten wir dafür keine Rechtfertigung", so Rauschelbach.

Für Tricia Barnett von "Tourism Concern" aus London reichen Jobs allein jedoch nicht aus. Die britische Aktivistin beklagte die oft ausbeuterischen Arbeitsbedingungen im Tourismus, die zu langen Arbeitszeiten, die unsicheren Arbeitsverhältnisse. Problematisch sei auch die hohe Abhängigkeit der Beschäftigten von Trinkgeldern, denn in Krisenzeiten seien sie nicht mehr in der Lage, von ihren viel zu niedrigen Löhnen zu leben. Um internationale Abkommen zu Menschenrechten und Arbeitsstandards würden sich Regierungen wie Reiseveranstalter wenig scheren.

Dem widersprach Iwand: Die Einhaltung rechtlicher Vorschriften sei für große Unternehmen unabdingbar. Doch in Indien wie in Peru und anderen Ländern, so die Erfahrungen der Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer, würden Gesetze geändert und angepasst, um große Konzerne wie die TUI ins Land zu locken. Tourismusunternehmen hätten dann meist keine Schwierigkeiten, solche Vorschriften einzuhalten. Dennoch: "Dass alle Großunternehmen in allen Ländern die Gesetze einhalten, ist mir neu", konstatierte K.T. Suresh.

"Ist ein schlechter Job nicht besser als kein Job?"

"Ist ein schlechter Job nicht besser als kein Job?" Ganz klar nein, antwortete Patrick Dalban Moreynas vom internationalen Gewerkschaftsverband IUF/UITA/UIL ("International Union of Food, Agricultural, Hotel, Restaurant, Catering, Tobacco and Allied Workers Associations") auf die Frage von Moderator Jürgen Hanefeld, NDR. "Wir wenden uns gegen diese Sichtweise, denn sie setzt einen Abwärtswettlauf in Gang." Die Alternative sei ein besserer Job. "Wir sagen: Bekämpft nicht die Armut, indem ihr den Leuten Jobs gebt, sondern indem ihr ihnen gute Jobs gebt und die Arbeitsbedingungen im Tourismus verbessert", so der Gewerkschaftler.

René Schärer vom Instituto Terramar in Ceará, Brasilien bezweifelte, ob mit Hilfe der "Übertreibungen" der Welttourismusorganisation tatsächlich Armut beseitigt werden könne. "Hört auf, diesen Begriff zu gebrauchen. Nennt es zum Beispiel ein Programm zur Umverteilung von Reichtum". Helfen werde es allenfalls wenig, und auch dafür sei noch sehr viel zu tun, so Schärer vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen. "Wenn wir die Dorfgemeinschaft von Prainha do Canto Verde nicht erfolgreich organisiert hätten, wäre ihr Land an einen Makler gegangen und eine Ferienanlage gebaut worden. Die Fischer hätten den Zugang zum Strand und damit ihre Lebensgrundlage verloren."

Carlos Maldonado von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf wies darauf hin, dass Dorfgemeinschaften in Lateinamerika höchst unterschiedlich mit dem Tourismus umgingen. "Einige sehen ihn als eine Bedrohung, andere glauben, er könnte unter bestimmten Bedingungen interessant für sie sein." Es gebe besonders gute und besonders schlechte Beispiele, abhängig vom Kontext. Einige Länder würden die gleichen Fehler machen und vor den gleichen Schwierigkeiten stehen wie andere Länder vor ihnen.

Nicht nur die Erfahrungen mit dem Tourismus, auch die strukturellen Ursachen der Armut seien höchst unterschiedlich, betonte K.T. Suresh. Entsprechend unterschiedlich müssten die Lösungsansätze ausfallen. Im Tourismus sei noch ein langer Weg zu gehen, bis er einen Beitrag zur Armutsminderung leisten könne.

Fünf Tourismusveranstaltungen auf dem WSF

Ein Schritt auf diesem Weg soll das kommende Weltsozialforum (WSF) sein, dass vom 16. bis 21. Januar 2004 im indischen Mumbai (früher Bombay) stattfindet. Die Diskussionsveranstaltung und das Fachseminar in Hannover, organisiert von der Arbeitsgemeinschaft für Nachhaltige TourismusEntwicklung (DANTE), standen ganz im Zeichen der NGO-Vorbereitungen für das Weltsozialforum. Auf dem vierten WSF sollen erstmals Tourismusthemen in einem Plenum vor 4.000 TeilnehmerInnen und in vier Workshops ausführlich diskutiert werden. Organisatoren sind Equations (Bangalore), die "Ecumenical Coalition on Tourism" (Hongkong) und EED-TOURISM WATCH (Bonn). Unterstützt werden sie dabei von den NGOs aus 19 Ländern, die in Hannover am Vorbereitungsseminar teilnahmen. Geplant sind deutliche Kritik, aber auch positive Beispiele, die zeigen, dass eine andere Welt möglich und nötig ist – auch im Tourismus.

(6.851 Anschläge, 95 Zeilen, Dezember 2003)