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Leere Strände, leere Kassen

Tunesien versucht vergeblich, den Tourismus wiederzubeleben


Monastir an der tunesischen Küste. Der Mann am Informationsstand für Touristen weist den Weg zum "Adam Park" nur widerstrebend. Denn auf dem weitläufigen Gelände wuchert Gras, die Kugelleuchten auf den mannshohen Säulen sind zerplatzt. Das Riesenrad steht still, ebenso das Karussell mit den weißen Pferden und die Achterbahn. Der Freizeitpark gehörte der Familie des Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali und wurde bei den Januar-Unruhen in Brand gesteckt. Jetzt ist die einstige Touristenattraktion eine Ruine.

Solche Zeugnisse gewaltsamer Entladung des Volkszorns werden versteckt gehalten. Denn der Stolz auf die Revolution ist gepaart mit dem Bemühen, die Zerstörungen vor den Touristen zu verbergen. Der Fremdenverkehr ist in dem nordafrikanischen Land ein wichtiger Wirtschaftszweig. Laut offiziellen Angaben liegt sein Anteil am Bruttoinlandsprodukt zwischen 6,5 und 8 Prozent.

Schon zwei Wochen nach der Revolution versammelten sich 150 Vertreter der tunesischen Tourismusbranche und der Übergangsregierung, um über Maßnahmen für eine Wiederbelebung zu diskutieren. Zu diesem Zeitpunkt war laut dem Online-Informationsportal für das Hotelgewerbe in Tunesien, DestinationTunisie, "die Revolutionseuphorie bereits verflogen" und die Angst vor den Folgen dominierte. Die Teilnehmer des Treffens waren sich einig, dass die "Psychologie der Konsumenten" positiv beeinflusst werden müsse.

Geholfen haben die Werbeaktionen bislang nichts. Nicht nur die Europäer, sondern auch die Algerier blieben in diesem Sommer weg, und die Libyer kamen als Flüchtlinge. Beim G8-Gipfel in Deauville hat Premierminister Béji Caïd Essebsi seine Forderung nach finanzieller Unterstützung für Tunesien nicht zuletzt mit der "Flaute im Schlüsselsektor Tourismus" begründet. Gegen Ende der Sommersaison liest sich das Desaster in Zahlen so: Die Tourismusankünfte gingen nach Angaben des Tunisian National Tourism Board vom 1. Januar bis 20. August gegenüber dem gleichen Zeitraum 2010 um 38,9 Prozent zurück. Die Zahl der Übernachtungen sank um 46,3 Prozent. Die Einnahmen der Hotels verringerten sich um 928,1 Millionen Dinar (ca. 472 Millionen Euro) und 3019 feste, ganzjährige Stellen sind durch Hotelschließungen verlorengegangen. Besonders stark betroffen aber war die saisonale Beschäftigung: 22.319 direkte Jobs sind hier weggefallen.

Post-revolutionäre Flaute im Tourismus

Erst die Revolution, dann die ausbleibenden Touristen - das trifft die Menschen in der Region hart. Straßenhändler "verschenken" billigsten Tand und erbitten im Gegenzug "ein bisschen Kleingeld". In den Hotels sind im Verhältnis zur geringen Zahl der Gäste viel zu viele Angestellte tätig. Ihr Gehalt ist niedrig und sie sind auf Trinkgelder angewiesen. Animateure arbeiten häufig nur gegen Unterkunft und Verpflegung. Die Pferdekutschenbesitzer warten vor den Hotels oft vergeblich auf Kunden. In den Läden der Medinas stapeln sich die Waren, die keine Käufer finden.

"Die Revolution hat Gutes, aber auch Schlechtes gebracht. Die Menschen in Tunesien sind schmaler geworden", meint Ameer Zagoub, der als Führer im Museum für islamische Kunst im Ribat, dem historischen Wehrkloster in Monastir arbeitet. Während der ersten drei Monate nach der Revolution war die Sehenswürdigkeit geschlossen und er selbst verdiente kein Geld. Auch seit der Wiedereröffnung finden nur wenige Touristen in das Museum.

Diversifizierung als Chance?

Mitten in der Krise des Badetourismus hat Tourismusminister Mehdi Houas Pläne vorgelegt, den Tourismus zu "diversifizieren": Reisenden möchte er den Alltag im Landesinneren sowie archäologische Stätten, das Kunsthandwerk und die tunesische Kultur näher bringen. Dafür soll die nötige Infrastruktur geschaffen werden. Und auch in manchen Zentren des Badetourismus soll nun das Kunsthandwerk gefördert werden. Ökotouristische Projekte sind für Wald- und Wüstengebiete geplant, auf einer Insel soll eine ökologische Oase für Luxustouristen entstehen. Voraussetzung für das Gelingen all dieser Vorhaben ist aber, dass sich wieder mehr Menschen für einen Urlaub in Tunesien entscheiden. Die großen deutschen Reiseunternehmen rechnen jedoch nicht mit einer raschen Erholung. Sie haben die Zahl der deutschsprachigen Reiseleiter vor Ort, die Zahl der Flüge und die Hotelkontingente stark verringert.

Alexandra Hüner von TUI sieht in der Demokratisierung immerhin "viel Potenzial", sie könne "die Strahlkraft Tunesiens erhöhen". Thomas Cook ist optimistisch, dass die Deutschen Tunesien als Urlaubsland wiederentdecken, möchte aber keine zeitlichen Prognosen abgeben. Das Unternehmen versucht mit Zeitungsanzeigen den Tourismus in das nordafrikanische Land wieder anzukurbeln, auch weil - so Sprecherin Nina Kreke - "wir als Reisekonzern eine Verpflichtung haben, Demokratisierungsprozesse zu unterstützen". Außerdem könne man neue Kunden gewinnen, indem man die Vielfalt des Landes herausstellt, nicht nur seine Badestrände.

Aber das ist Zukunftsmusik. Noch bleiben die Touristen aus. Eine schlüssige Erklärung dafür hat Edwin Doldi, Sicherheitsmanager beim Reiseanbieter Studiosus, nicht. Die Unruhen hätten sich nirgendwo gegen Touristen gerichtet und die Kriminalität in Tunesien werde von den meisten südamerikanischen Ländern "locker getoppt", sagt er. Trotzdem buchen viele Studiosus-Kunden Brasilien-Reisen. Nach Tunesien möchten nur wenige.

Verunsicherung überwiegt

Der Umsturz in Tunesien ist noch nicht Geschichte, die Stabilität lässt auf sich warten. Die Widersprüchlichkeit der Bilder in den westlichen Medien - "tunesischer Frühling" einerseits, "Chaos und Unruhen" andererseits - macht es Urlaubern schwer, die Situation dort realistisch einzuschätzen. Im Internet zum Beispiel wirbt der Freizeitpark in Monastir, der bei den Unruhen in Flammen aufgegangen ist, immer noch ungebrochen mit Kinderglück und Ferienspaß.

Das Auswärtige Amt verstärkt die Verunsicherung, indem es zum Beispiel vor "gewalttätigen Übergriffen auf Touristen" warnt. Erst wer nachfragt, erfährt, dass damit lediglich eine "leicht gestiegene Kleinkriminalität" gemeint ist, wie schlimmstenfalls Handtaschenraub. Solche missverständlichen Reisehinweise schaffen ein diffuses Gefühl der Bedrohung. Aber auch reine Imagewerbung, die die Probleme beim Übergang zur Demokratie ausblendet, steuert dem Misstrauen auf dem europäischen Reisemarkt nicht entgegen.

Der Versuch, die "hässlichen" Seiten der Revolution mittels PR schnell aus dem Bewusstsein der Europäer zu drängen und die Fiktion eines "schönen neuen Tunesien" zu erzeugen, hat nicht gegriffen. Eine differenziertere Berichterstattung in den Medien hier, aber auch mehr Offenheit in Tunesien selbst über die wahren Verhältnisse im Land könnten dem Tourismus den nötigen Aufschwung verschaffen.

"Le tourisme fait sa revolution", der Tourismus macht seine Revolution, lautete das Motto einer Reisemesse Ende Mai in Tunis. Was Organisator Afif Kchouk in einem Interview als vordringlichste Ziele nannte, klingt zwar wenig revolutionär: die Beschäftigten im Tourismussektor retten und die Reiseveranstalter davon überzeugen, dass sie weiterhin Tunesienreisen anbieten. Aber vielleicht weist dieser Slogan dennoch in eine richtige Richtung. Denn die gesellschaftlichen Umbrüche, die Herausbildung neuer Strukturen nach dem Sturz eines Despoten könnten spannend sein - möglicherweise spannender als jede archäologische Fundstätte. Die Tourismus-wirtschaft könnte die Veränderungen im Land als Attraktion entdecken - und dabei auch sich selbst verändern.

Anja Ruf ist freie Journalistin in Frankfurt/Main und betreut für die Zeitschrift "welt-sichten" die Dossiers. Dieser Beitrag erschien in längerer Fassung in "welt-sichten" Nr. 7-2011. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.