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Indien: Strategische Vertreibung zugunsten des Tourismus?

Angst um Zugang zu Land und Ressourcen an der Küste Tamil Nadus


Im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu hat der Tsunami jede Menge Konflikte und Widersprüche bei der Festlegung von Prioritäten in der Küstenregion zu Tage gebracht. Zum Teil sind es Probleme, die schon vor dem Tsunami bestanden, und die sich in der Wiederaufbauphase deutlich verschärft haben. Eine der größten Sorgen der betroffenen Fischerfamilien ist ihr Zugang zu dem Land und den Ressourcen, die seit Generationen ihre Lebensgrundlage dargestellt haben. Die Verunsicherung ist groß, denn alle Anzeichen sprechen dafür, dass im Zuge des Wiederaufbaus eine systematische Vertreibung der Fischer von der Küste stattfindet, um den Weg frei zu machen für den Tourismus und andere Industrie- und Infrastrukturentwicklungen.

Während Hilfsorganisationen sich nun vor allem um die Katastrophenvorsorge kümmern, leben viele Menschen noch immer in Notunterkünften. Wo der Bau neuer Häuser abgeschlossen ist, sind andere Probleme, wie z.B. die Trinkwasserversorgung, nach wie vor ungelöst. Nun werden die überlebenden Opfer des Tsunami auf Wirbelstürme oder Feuer vorbereitet, nicht aber auf „man-made disaster“, von Menschen verursachte Katastrophen, die ihnen mit viel größerer Wahrscheinlichkeit und schleichender Bedrohlichkeit bevorstehen. Denn die Regierung des Bundesstaates Tamil Nadu und die Wirtschaftslobby machen sich die menschliche Tragödie zu Nutze und ziehen Entwicklungspläne aus der Schublade, für deren Umsetzung der Tsunami nun den Weg frei gespült hat. Der Bau von Vergnügungsparks und anderen touristischen Einrichtungen an der Küste mit Hilfe privater Investitionen ist erklärter Teil der Tourismuspolitik von Tamil Nadu (2005-06).

Vergnügungsparks – kein Vergnügen für die Fischer

Bereits vor dem Tsunami sind entlang der neuen Küstenstraße von Chennai Richtung Süden nach Mahabalipuram Hotels, Ressorts und Vergnügungsparks entstanden. Die Grundstückspreise sind in die Höhe geschossen. Gerade in diesen Gegenden gibt es nun kein Land für die entwurzelten Fischerfamilien – womit ihre Lebensgrundlage auf dem Spiel steht. Der Tourismus und andere Infrastrukturprojekte haben die Anfälligkeit der Bevölkerung für die Folgen von Naturkatastrophen deutlich erhöht.

Den Fischern gegenüber heißt es, dass kein Wiederaufbau von Häusern innerhalb von 200 Metern ab der Hochwasserlinie stattfinden dürfe, zum Schutz der Bevölkerung vor weiteren möglichen Naturkatastrophen. „Doch die Fischer sind von der Nähe zum Meer und dessen Ressourcen abhängig. Vom Meer entfernt können sie nicht leben”, sagt Peter Das, Präsident der Fischergewerkschaft von Tamil Nadu. „Die Regierung soll uns mitteilen, was sie nach der Verdrängung der Fischer mit dem Land innerhalb der 200-Meter-Zone machen wird“, so seine Forderung. Doch dazu gibt es kaum offizielle Informationen oder öffentliche Diskussionen. Die fehlende Transparenz lässt den Gewerkschaftsführer vermuten, dass große Unternehmen die Nutznießer sein werden und zwischen den umgesiedelten Fischerdörfern und dem Meer bald Hotels entstehen könnten.

„Für Hotels und Ressorts gelten die Beschränkungen, innerhalb der Küstenschutzzone nicht zu bauen, offenbar nicht”, hat M.A. Sekhar vom Tamil Nadu Coastal Panchayat Resource Centre in Mahabalipuram beobachtet. Sein Büro befindet sich nur wenige Minuten vom Strand entfernt, wo die Verletzung des Küstenschutzes durch strandnah gebaute Hotelanlagen deutlich sichtbar ist. „Auch in Touristenorten wie Kovalam, nördlich von Mahabalipuram, wo es noch Land gibt, erlaubt es die Regierung den Menschen nicht, ihre Häuser an der Küste wieder aufzubauen. Sie sagt den Leuten, dass sie weiter ins Landesinnere ziehen sollen. Wir haben den Verdacht, dass auch dieses Land für große Hotels und private Investoren vorgesehen ist“, sagt M.A. Sekhar.

Die Bevölkerung aus Karikattukuppam, einem Fischerdorf zwischen Chennai und Mahabalipuram, lebt noch immer in Notunterkünften. Diese befinden sich auf einem 40 Acre* großen Grundstück der Tamil Nadu Tourism Development Corporation, unweit des Vergnügungsparks „Dizzee World“. Die Fischer fordern von der Regierung 13 Acres Land, genau so viel, wie sie vor dem Tsunami hatten, um endlich Häuser bauen zu können. „Doch die Regierung sagt, sie könne uns höchstens sechs Acres geben, mehr nicht. Wir sind 300 Familien hier in diesem Dorf. Wie sollen wir auf so wenig Land alle Platz haben?“ fragt Vinayakam, ein Fischer aus Karikkattukuppam. M.R.K. Desappan, einer der traditionellen Dorfvorsteher, erhielt die Begründung, warum nicht mehr Land zur Verfügung gestellt werden könne, aus dem Tourismusministerium: „Wir haben 40 Acres Land hier, für den Tourismus. Wenn wir Ihrem Dorf 16 Acres geben, wie sollen wir denn dann hier Tourismus entwickeln?“

Verletzung und Aufweichung des Küstenschutzes

Die Regierung von Tamil Nadu hatte nach Angaben des Tourismusministeriums durch den Tsunami Schäden an touristischen Anlagen in Höhe von 53,5 Mio. Rupien (ca. 0,91 Mio. Euro) zu verzeichnen. Dass darunter auch Hotelanlagen waren, ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch die Regierung mit eigenen, nah am Meer gebauten touristischen Einrichtungen an der Verletzung der Richtlinien zum Küstenschutz (Coastal Regulation Zone Notification - CRZ) und der angestammten Rechte der Fischer beteiligt ist.

Seit der Küstenschutz in Indien rechtlich verankert ist, wurde die CRZ Notification immer wieder verletzt, ausgehöhlt und auf Druck der Wirtschaft weiter verwässert. Die Tourismuswirtschaft war und ist daran maßgeblich beteiligt. Um neue Investitionen möglich zu machen, soll nun statt der bisherigen Küstenschutzzone eine „Küstenmanagementzone“ (CMZ) eingeführt werden – ein Konzept, das deutlich vager und schwächer ist, als die ohnehin schwache CRZ Notification. Auch frühere Verletzungen des Küstenschutzes sollen damit rückwirkend legalisiert werden. Vom Schutz der Rechte der Fischer oder Richtlinien zur Kontrolle der „Entwicklungsaktivitäten“ in den empfindlichen Ökosystemen der Küstenzone ist keine Rede.

Im Rahmen des Wiederaufbaus ist „Ökotourismus” eine der gerne genannten Optionen, um die „Lebensgrundlagen“ der Bevölkerung „wiederherzustellen“. Die Regierung von Tamil Nadu, die Asiatische Entwicklungsbank, die Weltbank und andere Entwicklungsorganisationen haben den Tourismus als dafür geeignet identifiziert. Vertreter der Lokalverwaltungen (Panchayats) aus den vom Tsunami betroffenen Gebieten sehen das anders.

Auf einem Workshop Anfang des Jahres in Mahabalipuram, organisiert vom Tamil Nadu Coastal Panchayat Resource Centre und der tourismuskritischen Initiative Kabani, mit Unterstützung der Church's Auxiliary for Social Action (CASA), einer EED Partnerorganisation, forderten die Teilnehmer, dass die bisherige Tourismusentwicklung sowie neue Projekte einer kritischen Prüfung zu unterziehen seien. Die Teilnehmer, überwiegend Panchayat-Vertreter, Gewerkschafter und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, plädierten für mehr Transparenz und forderten, Tourismusprojekte nur mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Bevölkerung umzusetzen. Der Küstenschutz müsse gestärkt statt geschwächt werden, zum Beispiel durch ein entsprechendes strengeres Gesetz, einen Integrated Coastal Regulation Zone Act.

* 1 Acre entspricht 4.047 m2

Sumesh Mangalassery ist Kampagnenkoordinator von „Kabani – The other direction“, einer Initiative aus Kerala (Indien), die sich für eine nachhaltigere Tourismusentwicklung einsetzt.

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp

(6.432 Anschläge, 99 Zeilen, September 2006)