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Indien als Partnerland auf der ITB

"Incredible India" - unglaublicher Werbeaufwand


″Namaste, Berlin mein aapkaa swaagat hai″ (″Willkommen in Berlin″). Taxis, Busse und Bushaltestellen in Berlin waren mit ″Incredible India” gepflastert, große Werbebanner über die Stadt verteilt. ″Vorsicht vor dem Tiger″ hieß es im Internationalen Kongresszentrum (ICC). Indien präsentiert sich als aufstrebende Wirtschaftsmacht.

Als offizielles Partnerland hat Indien die diesjährige Internationale Tourismusbörse (ITB) gut genutzt, um ein Maximum an Öffentlichkeitswirkung zu erreichen. Giriraj Singh Kushwaha, Europa-Direktor des Indischen Fremdenverkehrsamtes, rechnet für 2007 mit einem Besucherrekord in Indien. Mit 130.000 Besuchern ist auch Deutschland zu einem wichtigen Markt geworden. Angesichts der weltweit gezählten 842 Millionen Auslandsreisen (2006) nimmt sich der indische Marktanteil mit 4,5 Millionen noch recht bescheiden aus. Doch 2005 waren es erst 3,9 Millionen, so dass Indien derzeit eine der am schnellsten wachsenden Destinationen der Welt ist.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort?

Während Regierung und Tourismuswirtschaft Indien als wachsende Destination mit enormen Potenzialen darstellen, die ihren Gästen vielfältige Möglichkeiten, Erlebnisse und Vergnügen bietet, leiden in Indien noch immer Millionen Menschen an Hunger und fehlendem Zugang zu einer menschenwürdigen Grundversorgung. Die Arbeitslosigkeit nimmt zu, erstklassige Gesundheitseinrichtungen, wie sie für den Medizin-Tourismus vermarktet werden (vgl. TW 46), sind für die Mehrheit der Bevölkerung unerreichbar. Im ″wahren″ Indien bringen sich Bauern um, weil es im neuen Entwicklungsparadigma keinen Platz für sie gibt. Dabei sind es ihre Steuergelder, die für die neuen Entwick­lungsprioritäten ge-(oder miss-)braucht werden. In den neuen Image- und Marketing-Kampagnen werden sie zu Objekten der Tourismus-Werbung. Gleichzeitig führen die wenig nachhaltigen Touristen- und Investitionsströme in den Zielgebieten zu zahl­reichen Problemen und Konflikten.

Die Tragfähigkeit touristischer Zielgebiete spielt in den Diskussionen um den Tourismus in Indien bisher keine Rolle. Die Regierung fördert den Tourismus, ohne vor Ort die entsprechenden Vorkehrungen getroffen zu haben. Die Tourismuswirtschaft beutet die Ressourcen aus und zieht dann weiter, um wieder neue Gegenden zu ″erschließen″.

Reisemessen und Werbeveranstaltungen haben in den Zielgebieten in der ″Dritten Welt″ schwerwiegende Auswirkungen, die bislang kaum diskutiert wurden. Insbesondere durch den Status als Partnerland der diesjährigen ITB habe Indien mehr Aufmerksamkeit und Zugang zu neuen Märkten erhalten, heißt es bei ″India Tourism″. 2006/2007 gab das Tourismusministerium mehr als 30,5 Millionen Euro für Werbe­kampagnen im Ausland aus. Allein für die Vermarktung auf der ITB hatte ″India Tourism″ 2,17 Millionen Dollar veranschlagt. Diese öffentlichen Gelder werden im Interesse der ″big player″ im Tourismusgeschäft ausgegeben. In kaum einer der Diskussionen und Veranstaltungen auf der ITB spiegelten sich die Anliegen der Bevölkerung in den Zielgebieten wider.

Auf der Pressekonferenz des indischen Fremdenverkehrsamtes sagte Tourismus­ministerin Ambika Soni, Indien würde umweltfreundlichen Tourismus fördern. In der Praxis weicht die Regierung jedoch bestehende Umweltgesetze und -richtlinien auf, anstatt sie zu stärken. Weder die Tourismuswirtschaft noch ″India Tourism” unter­nahmen irgendwelche Anstrengungen, die Konsumenten zu sensibilisieren, obgleich die ITB dazu gute Gelegenheit geboten hätte.

Die andere Richtung

Die wenigen Veranstaltungen, die von Nichtregierungsorganisationen auf der ITB organisiert wurden, boten die ansonsten seltene Gelegenheit, einige der Anliegen der Menschen aus den touristischen Zielgebieten in einem größeren Forum wie der ITB zur Diskussion zu stellen. Mit einer Präsentation, organisiert von EED Tourism Watch und dem Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung aus Basel zusammen mit der indischen Gruppe ″Kabani - the other direction″, gelang es, dem Publikum einige der Anliegen der ″Bereisten″ in Kerala, Indien, zu vermitteln.

Der Stand von EED Tourism Watch zog viele Besucher an und wirkte als Katalysator zur Sensibilisierung von Fachbesuchern und Konsumenten. Mit einer Waage am Stand die Vor- und Nachteile touristischer Entwicklung abzuwiegen, war eine hervorragende Idee. Die Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung (ECPAT) zeigte in Diskussionsrunden besorgniserregende Trends im Tourismus auf, aber auch Handlungsmöglichkeiten, um Fehlentwicklungen wie Kinderprostitution zu verhindern. Die Preisverleihung zum TO DO!-Wettbewerb für sozialverantwortlichen Tourismus bot Gelegenheit, einige der alternativen Projekte zu diskutieren, die sich für Nachhaltigkeit im Tourismus einsetzen. Auch übergeordnete politische Probleme im Tourismus kamen hier zur Sprache.

Solche vergleichsweise kleinen Veranstaltungen trugen zu einer gewissen Besucher­sensibilisierung bei. Doch um die Interessen der Bevölkerung in den Zielgebieten zu schützen, muss die Reichweite solcher Veranstaltungen erhöht werden. Es wird immer wichtiger, die Probleme im Tourismus einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Durch Vernetzung von tourismuskritischen Initiativen lässt sich die Realität der Menschen in den Zielgebieten der Öffentlichkeit auf dem europäischen Reisemarkt vermitteln. Dies kann dazu beitragen, dass Touristen ihre Urlaubsentscheidungen mit Sorgfalt treffen und Unternehmen zu verantwortlicherem Handeln zwingen. Deshalb ist es dringend geboten, solche Netzwerke zu stärken, um die Konsumenten zu spezifischen Tourismusthemen stärker zu sensibilisieren.

Sumesh Mangalassery ist Kampagnenkoordinator von ″Kabani – The other direction″, einer Initiative aus Kerala (Indien), die sich für eine nachhaltigere Tourismus­entwicklung einsetzt. Er war auf Einladung von EED Tourism Watch zur ITB in Berlin.

Redaktionelle Bearbeitung und Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp

(5.916 Anschläge, 78 Zeilen, Juni 2007)