Blog

„Imagine There’s No Countries“

Ungleichheit und Wachstum im Tourismus


Wenn es keine Länder gäbe, die sich dem reichen Norden oder dem armen Süden zuordnen, oder sich als touristische Ziel- und Herkunftsländer bezeichnen ließen, würden tourismuskritische Diskussionen wohl in vieler Hinsicht differenzierter ablaufen. Wertvolle Beiträge zu einer solchen Differenzierung leisteten Wissenschaftler und Tourismusfachleute auf dem internationale Symposium „Imagine There's No Countries” Ende Juni 2006 im südenglischen Eastbourne.

Nach Einschätzung von Peter Burns, dem Organisator der Konferenz an der University of Brighton, leistet Tourismus einen direkten Beitrag zur Armutsbekämpfung – wenngleich es noch keine ausreichenden, wissenschaftlich fundierten Beweise dafür gebe. Die Ergebnisse der Konferenz, so sein Wunsch, sollen Geberorganisationen in der Entwicklungszusammenarbeit anregen, sich mit dem Tourismus auseinanderzusetzen.

In vielen der Konferenz-Beiträge wurden jedoch nicht nur Potenziale sondern auch die Problematik von Armutsbekämpfung durch Tourismus deutlich, insbesondere in Fällen, in denen Organisationen aus dem Bereich der Entwicklungsfinanzierung sich als treibende Kraft verstehen, und – wie zum Beispiel die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) – in große Projekte investieren, die mehr den ausländischen Experten und ihren Organisationen als den Menschen vor Ort zugute kommen.

Tourismus und Globalisierung

Auch Henryk Handszuh, bei der Welttourismusorganisation (UNWTO) zuständig für Qualitätsfragen, äußerte Bedenken. Nicht nur Armut, sondern auch andere Fragen von Gleichheit und Gerechtigkeit sollten angesprochen werden, sagte er in seiner Eröffnungspräsentation.

Der Tourismus sei sowohl ein Ergebnis als auch ein Instrument der Globalisierung. Doch nur eine Minderheit der Weltbevölkerung profitiere davon, betonte Handszuh. Nur fünf Prozent aller Menschen weltweit würden überhaupt in andere Länder reisen. Als Ferien- und Geschäftsreisende gehören sie zu den Nutznießern der Globalisierung. Sie wählen das Reisen als Lebensstil.

Andere dagegen, die Opfer der Globalisierung, seien gezwungen, ihre lokale Welt zu lieben, die sie nicht verlassen können. Fehlende Ressourcen, gesellschaftliche Marginalisierung, Behinderungen oder ihre nationale Herkunft hinderten Menschen am reisen. Sie sind die benachteiligte Mehrheit. Ihre Option bestehe allenfalls darin, sich für die Emigration zu entscheiden. Sind sie damit erfolgreich sind, können auch sie Urlaubs- oder Geschäftsreisende werden.

Was die Zahlen nicht verraten

Ende der 1960er Jahre spielten sich 97 Prozent des internationalen Tourismus zwischen nur 15 Ländern ab. Mit der Entwicklung neuer Zielgebiete hätten sich die globalen Marktanteile jedoch verschoben. 2004 war der Anteil der „Top 15“ auf 58 Prozent gesunken. Die Länder, die am meisten am Tourismus verdienen, sind überwiegend dieselben, deren Bürgerinnen und Bürger als Touristen im Ausland das meiste Geld ausgeben.

Die UNWTO-Zahlen verrieten jedoch nicht, dass Polarisierungen, z.B. wer reist und wer nicht, oder zwischen einem Hoch- und Niedrigpreistourismus, nicht mehr nur zwischen, sondern auch innerhalb einzelner Länder stattfinden. Der Tourismus als kommerzielle Aktivität spiegele gesellschaftliche Ungleichheiten wider und verschärfe sie zusätzlich, so Handszuh. Die Zahlen, mit denen die UNWTO so gerne hantiere, würden noch nichts über die Wirkungen des Tourismus aussagen und auch Entscheidungsträgern bei tourismuspolitischen Weichenstellungen nicht helfen.

Tourismus, Wachstum und Entwicklung

In der Regel gelte, dass Tourismus auf wirtschaftliches Wachstum folge, und nicht etwa umgekehrt. Der Tourismus verursache zudem abrupte gesellschaftliche Veränderungen. Er bewirke eine schleichend zunehmende Uniformität, Kommerzialisierung und einen Wettbewerb um immer billigere Angebote, sowie überlaufene Zielgebiete.

Aufgrund ihrer inneren Strukturen und schwachen Volkswirtschaften könnten die am wenigsten entwickelten Länder keine Massen von internationalen Urlaubern aufnehmen. Die Kosten, die entsprechende Infrastruktur für touristische Anlagen zu schaffen, um Millionen von Feriengästen anzuziehen, wären angesichts des bestehenden Konkurrenzkampfes sehr hoch. Zudem setze der wenig nachhaltige Ressourcenkonsum im Tourismus die ärmsten Länder zusätzlich unter Druck.

Ob zwischen wirtschaftlicher Liberalisierung und gesellschaftlichem Fortschritt ein Zusammenhang besteht, konnte bislang nicht bewiesen werden. Auch wären ausländische Direktinvestitionen allein nicht die Lösung, meint Handszuh. Die Destinationen müssten vielmehr in der Lage sein, ihr Produkt, die Vertragsbedingungen und den Preis zu kontrollieren. Diese aber würden durch den Vertrieb diktiert, nicht von den Anbietern vor Ort.

Anm. d. Red.: Weitere interessante Konferenz-Beiträge werden wir in dieser und kommenden TW-Ausgaben in Form von Referenten-Beiträgen oder Rezensionen aufgreifen.

(4.900 Anschläge, 69 Zeilen, September 2006)