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HIV/Aids: Tourismus als Risiko-Umfeld


In der persönlichen Erfahrung und als Wirtschaftszweig schafft der Tourismus ein Umfeld, in dem Krankheiten wie HIV/Aids sich ausbreiten können. Der Tourismus floriert, weil er den Menschen Möglichkeiten bietet, neue Erfahrungen zu sammeln. Weil Touristen nach neuen Erfahrungen suchen, setzen sie sich auch gerne als „sicher“ empfundenen Risiken wie Glücksspielen, Sex und Drogen aus. Sich davor zu scheuen, Touristen und die Tourismusindustrie auf HIV/Aids anzusprechen, ist kurzsichtig, gefährlich und ungesund.

HIV/Aids ist die größte Gefahr für den Tourismus – einen Wirtschaftszweig, der für viele Entwicklungsländer die dringend benötigten Devisen bringen soll. Die meisten der Länder, in denen HIV/Aids besonders verbreitet ist, sind zugleich beliebte Touristenziele. Hotels und andere touristische Einrichtungen in diesen Ländern verzeichnen eine sehr hohe Fluktuation an Arbeitskräften und müssen mit einer sehr niedrigen Produktivität ihrer mit HIV/Aids lebenden Angestellten zurechtkommen.

Einige der Angestellten, insbesondere Beschäftigte im Unterhaltungsbereich oder Zimmerpersonal, stecken sich durch ungeschützten Sex mit infizierten Touristen an und verbreiten das Virus innerhalb ihrer Familien. Der Tourismus trägt zur Ausbreitung einer tödlichen, sexuell übertragbaren Krankheit wie HIV/Aids bei. Die Übertragung erfolgt nicht nur von Touristen auf Einheimische oder von Einheimischen auf ausländische Gäste, sondern das Virus verbreitet sich auch aus touristischen Regionen in andere Landesteile.

Volkswirtschaftlich ist allgemein anerkannt, dass eine unkluge Tourismusentwicklung erstens zu einem raschen Schwund genau dessen führen kann, was die Besucher ursprünglich angelockt hat, und dass sie zweitens „externe Effekte“, wie z.B. Umweltschäden, hervorrufen kann, deren Kosten höher sind als das durch den Tourismus erzielte Einkommen. Die Ausbreitung von HIV/Aids kann als solche „Externalität“ angesehen werden. Der Tourismus kann die Epidemie verstärken und kostet ein Land an Wirtschaftskraft und zusätzlichen Ausgaben am Ende womöglich mehr, als er wirtschaftlich einbringt.

Man sollte nicht davon ausgehen, dass entweder Touristen oder Einheimische die potenzielle Infektionsquelle sind. Beide Gruppen sind in einem Umfeld wie dem Tourismus Risiken ausgesetzt. Deshalb müssen sowohl Touristen als auch Einheimische über die Gefahren von ungeschütztem Sex oder der gemeinsamen Benutzung von Spritzen zum Drogenkonsum aufgeklärt werden. Es muss ein angemessenes und praktisches Gleichgewicht gefunden werden, Touristen sowohl auf die Gefahr hinzuweisen, dass sie andere anstecken können, als auch auf die Gefahr, dass sie sich selbst infizieren können.

In touristischen Gebieten muss ein ausreichendes Angebot an Kondomen und sterilen Spritzen (einschließlich Möglichkeiten, Spritzen zu sterilisieren) sichergestellt werden. Einem erhöhten Risiko ausgesetzte Gruppen, wie z.B. Zimmerpersonal, professionelle Sex-Arbeiterinnen und -Arbeiter (die hauptberuflich oder gelegentlich tätig sind) und Straßenkinder, müssen befähigt werden, ein sichereres Sexualverhalten auszuhandeln. Im Tourismus Beschäftigte müssen ein Bewusstsein dafür bekommen, dass sie, wenn sie sich mit HIV/Aids infizieren, auch ihre Partner und Kinder einem Risiko aussetzen – und schließlich auch ihre Gemeinschaft, wenn sie die Krankheit in entfernte Landesteile tragen und andere infizieren, wenn sie nicht länger in der Lage sind, die Menschen zu unterstützen, die von ihnen abhängig sind, wenn sie sterben und ihre Kinder als Waisen in der Obhut von Verwandten zurücklassen.

Ein wichtiger Beitrag, um die Ausbreitung von HIV/Aids zu stoppen, sind auch faire Arbeitsbedingungen und Löhne im Tourismus, die verhindern, dass schlecht bezahlte Arbeitskräfte ihr Einkommen durch Prostitution aufbessern.

Tourismus kann einerseits zur Ausbreitung von HIV/Aids beitragen und die Situation für gefährdete Menschen in touristischen Zielgebieten verschlechtern. Gleichzeitig hat Tourismus aber auch das Potenzial, zur Sensibilisierung zum Thema HIV/Aids beizutragen, Menschen auf solidarische Weise zu verbinden und so schließlich zu Lösungen beizutragen.

Ranjan Solomon ist Direktor der Ecumenical Coalition on Tourism (ECOT) in Chiang Mai, Thailand.

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp

(4.249 Anschläge, 57 Zeilen, Juni 2006)