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Glosse: Eene meene meck … war’n die Würfel weg

Über die Widrigkeiten tourismusbezogener Bildungsarbeit auf der ITB


„Was macht den Tourismus fair, was macht ihn unfair?“ fragten wir auf der ITB 2006 Messebesucherinnen und -besucher, die an unserem Tourism Watch-Stand Halt machten und sich auch für unsere Inhalte und nicht nur für die EED-Schokoladentäfelchen - aus Fairem Handel, versteht sich! - interessierten. Auf einer große Holzwaage konnten die Besucher abwägen: „Cluburlaub“, „Kinderarbeit“, „Backpacking“, „Bird-Watching“, „Umweltstandards“, „Täglich frische Handtücher“, „Menschenrechte“… – fair oder unfair? Und was wiegt wie schwer? Unsere in dezentem EED-blau gehaltenen, insgesamt 55 Pappwürfel mit verschiedensten Begriffen rund um den Tourismus sollten den jeweiligen Waagschalen zugeordnet und so gegeneinander abgewogen werden.

Unsere schöne Idee geriet jedoch schon bald aus dem Gleichgewicht. So mussten wir feststellen, dass nach und nach immer mehr Würfel verschwanden. Das Rätselraten begann: Ob sich wohl der „All-Inclusive“-Würfel von selbst auf den Weg gemacht hatte und in der Halle der unzähligen Pauschalangebote herumschnupperte? Hatte sich etwa unser „Geiz ist geil“-Würfelchen in die Angebote eines Billigfliegers verliebt? Einige der verschwundenen Würfel könnten unter Umständen ja auch Schaden anrichten. Der Würfel mit der Aufschrift „Sextourismus“ sollte auf seinem Weg durch die Messehallen unbedingt eine Begeleitperson von Tourism Watch an seiner Seite führen, damit keine Missverständnisse auftreten. Nachdem schließlich auch unsere „Einheimischen Reiseleiter/innen“ verschwunden waren, deuteten die Indizien mehr und mehr auf eine Entführung hin - so dass wir uns besorgt auf die Suche machten.

Den „Verhaltenskodex zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung“ fanden wir schließlich – mit bösen Verletzungen und seines Inhalts entleert – am anderen Ende der Messehalle. Der „Backpacker“ entschied sich bei seiner Individualreise sicher nicht aus eigenem Willen, in der grünen Tonne zu landen. Die „Umwelt“ ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.

„Was ist fair, was ist unfair?“ hatten wir gefragt. Den Würfel-Diebstahl fanden wir nicht fair. Doch wenn unsere Würfel den einen oder anderen Messebesucher dazu anregen konnten, dem – schwerwiegenden – Inhalt von Reiseangeboten mit ebensolcher Neugier nachzugehen, wie dem gewichtigen, aber in diesem Fall völlig unwichtigen Inhalt unserer Pappwürfel, dann haben sie vielleicht doch noch ihren Bildungszweck erfüllt.

Isabelle Schunck studiert Geographie mit Schwerpunkt Fremdenverkehrsgeographie an der Universität Trier. Sie hat zusammen mit Kommilitoninnen und Kommilitonen den Stand von Tourism Watch auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) 2006 in Berlin betreut.

(2.618 Anschläge, 36 Zeilen, Juni 2006)