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Fasten um die Welt

Begegnung in Nepal, am Weg ins Annapurna Sanctuary, einem beliebten Trekkingziel


Auf dem schmalen Pfad hoch über der Schlucht des Modi Khola kommt uns eine ungewöhnlich große Wanderkolonne entgegen. Der Anführer, ein kleiner, rundlicher Mann, redet uns an. Resolut, keinen Widerspruch erwartend: "Seid Ihr Deutsche?" - "Jawoll" und strammgestanden - "Dann müßt ihr unseren Prospekt mitnehmen, wir sind nämlich Fastenwanderer".

Schon wühlt er wichtigtuerisch im Rucksack und zieht einen Stoß Faltblätter heraus. Ärgerlich verweigern wir die Annahme. Schließlich reisen wir nicht nach Nepal, um uns mitten im Himalaya mit deutschen (!) Werbezetteln überfallen zu lassen. Die Fastenwanderer schauen beleidigt. Sie wünschen uns "einen guten Weg" - was aber eher wie ein Fluch klingt.

Seit Tagen schon haben wir von diesen sonderbaren Wandervögeln gehört und immer wieder ihre Spuren gesehen. Die Wirte der einfachen Lodges am Weg hatten sich beklagt. Eine Gruppe von 32 Deutschen sei gekommen, hätte die Hütten belegt, aber nichts verzehrt: "Nur warmes Wasser haben uns diese Leute abgekauft." Unübersehbar die Spuren des Zuges der Hungernden: Werbezettel an Zäunen wie Eingängen zu Lodges, mit Kreide gemalte Pfeile und Mitteilungen für Nachzügler auf Treppen und Felsblöcken.

Daß sich wohlsituierte Europäer in eines der ärmsten Länder der Erde begeben, um fastend durch die Dörfer zu ziehen, mag auf den ersten Blick vielleicht originell oder ein wenig absurd erscheinen. Im Grunde genommen ist es jedoch schlicht unanständig.

Viele Menschen in Nepal müssen hungern, weil sie nicht genug zum Essen haben. Die Betreiber der Lodges entlang der Trekkingrouten lassen Grundnahrungsmittel zur Versorgung der Touristen heranschleppen und sind auf jede Rupie angewiesen. Wenn aber die Gäste nur zum Fasten kommen, müssen früher oder später auch die Wirte fasten.

(1.889 Anschläge / 26 Zeilen, März 2001)