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Die Zukunft, die wir wollen?

Drei Fragen an René Schärer, Instituto Terramar, Brasilien


Die "grüne Wirtschaft" ist nicht die Zukunft, die sich breite Teile der Zivilgesellschaft vorstellen. Das wurde auf dem "Gipfel der Völker" deutlich, der im Vorfeld der UN-Konferenz Rio+20 im Juni in Rio de Janeiro stattfand. René Schärer war vor Ort und berichtet über Enttäuschungen, Herausforderungen und Perspektiven. Als Gründungsmitglied des Instituto Terramar in Brasilien und des Schweizer Vereins Amigos da Prainha do Canto Verde unterstützt René Schärer im brasilianischen Fischerdorf Prainha do Canto Verde die lokale Entwicklung, einen umweltverträglichen und sozialverantwortlichen Tourismus und den Kampf gegen die Bodenspekulation.

TW: Wurden auf dem "Rio+20"-Gipfel Weichen gestellt, die helfen könnten, den Tourismus in nachhaltigere Bahnen zu lenken?

René Schärer:Nein, leider findet sich im Rio+20-Abschlussdokument "Die Zukunft, die wir wollen" nichts, das auf eine Abkehr vom "weiter wie bisher" hindeutet. Es ist im Wesentlichen das gleiche "Greenwashing" wie nach dem Ökotourismus-Gipfel 2002 in Quebec. Die Beteiligung der ortsansässigen Bevölkerung und der Zivilgesellschaft an der Tourismusentwicklung wird in dem Dokument nicht einmal erwähnt. Jegliche Armutsbekämpfung wird dem Trickle-Down-Effekt überlassen. Kein Wort findet sich zu den Rechten traditioneller und indigener Bevölkerungsgruppen entsprechend der ILO-Konvention 169.

Auszug aus dem Abschlussdokument des Rio+20-Gipfels "The Future We Want"

Generalversammlung der Vereinten Nationen

A/66/L.56  - 24. Juli 2012

Nachhaltige Entwicklung

Entscheidungsentwurf, vorgelegt vom Präsidenten der Generalversammlung

Die Zukunft, die wir wollen

Nachhaltiger Tourismus

130. Wir betonen, dass ein gut gestalteter und gesteuerter Tourismus einen wesentlichen Beitrag zu den drei Dimensionen nachhaltiger Entwicklung leisten kann, dass er enge Verflechtungen mit anderen Sektoren aufweist und dass er menschenwürdige Arbeitsplätze sowie Chancen für den Handel schaffen kann. Wir erkennen die Notwendigkeit an, nachhaltige Tourismus-aktivitäten und relevante Capacity Building-Maßnahmen zu unterstützen, die das Umwelt-bewusstsein fördern, die Umwelt bewahren und schützen, die Tier- und Pflanzenwelt, die biologische Vielfalt, Ökosysteme und die kulturelle Vielfalt respektieren und das Wohlergehen und die Lebensgrundlage lokaler Gemeinschaften verbessern, indem sie ihre Wirtschaft fördern sowie die menschliche und natürliche Umwelt als Ganzes. Wir rufen zu mehr Unterstützung für nachhaltige Tourismusaktivitäten und relevante Capacity Building-Maßnahmen in Entwicklungsländern auf, um einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung zu leisten.

131. Wir raten dazu, Investitionen in nachhaltigen Tourismus, einschließlich Öko- und Kulturtourismus, zu fördern. Dazu kann die Schaffung kleiner und mittelständischer Unternehmen gehören, die Erleichterung des Zugangs zu Finanzierung, auch durch Kleinkredit-Initiativen für die Armen, für indigene Völker und ortsansässige Gemeinschaften in Gegenden mit hohem Ökotourismus-Potenzial. In Hinblick darauf unterstreichen wir, dass es wichtig ist, wo nötig und in Übereinstimmung mit nationalen Prioritäten geeignete Richtlinien und Bestimmungen sowie Gesetze zur Förderung und Unterstützung von nachhaltigem Tourismus einzuführen.

Nachhaltiger Transport

132. Wir stellen fest, dass Transport und Mobilität für eine nachhaltige Entwicklung von zentraler Bedeutung sind. Nachhaltige Verkehrssysteme können das wirtschaftliche Wachstum und die Erreichbarkeit fördern. Durch nachhaltige Verkehrssysteme erreicht man eine bessere wirtschaftliche Integration und respektiert zugleich die Umwelt. Wir erkennen die Bedeutung eines effizienten Personen- und Güterverkehrs an, und die Bedeutung des Zugangs zu umweltverträglichen, sicheren Verkehrsmitteln, die die Menschen sich leisten können, als Instrument zur Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit, der Gesundheit, der Widerstandsfähigkeit der Städte, der Verflechtungen zwischen Stadt und Land und der Produktivität ländlicher Gebiete. Diesbezüglich berücksichtigen wir auch die Sicherheit auf den Straßen als Teil unserer Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung.

133. Wir unterstützen die Entwicklung nachhaltiger Verkehrssysteme, einschließlich energieeffizienter, multi-modaler Verkehrssysteme, insbesondere öffentlicher Personen(nah-) verkehrssysteme, sauberer Treibstoffe und Fahrzeuge sowie verbesserter Verkehrssysteme in ländlichen Gebieten. Wir erkennen die Notwendigkeit an, einen integrierten Politik-Ansatz auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene zu fördern, damit Transportdienstleistungen und Systeme eine nachhaltige Entwicklung unterstützen. Wir erkennen auch an, dass die besonderen Entwicklungsbedürfnisse von Entwicklungsländern, die keinen Zugang zum Meer haben oder als Transitländer dienen, bei der Entwicklung nachhaltiger Transitverkehrssysteme Berücksichtigung finden müssen. Wir erkennen die Notwendigkeit an, Entwicklungsländern diesbezüglich internationale Unterstützung zukommen zu lassen.

Download des Rio+20-Abschlussdokuments "The Future We Want": www.dgvn.de/fileadmin/user_upload/DOKUMENTE/TS_Rio_20/Abschlussdokument…

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp

Leider waren zivilgesellschaftliche Organisationen an den Verhandlungen zu den Tourismusabschnitten im offiziellen Dokument "The Future We Want" nicht beteiligt. Sie basieren vor allem auf Inputs aus dem Tourismus-Kapitel des Berichts "Towards a Green Economy", herausgegeben vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), der Welttourismusorganisation (UNWTO) und weiteren Partnern (vgl. "Wachstum ohne Grenzen?" in TourismWatch Nr. 67 Juni 2012).1 Eine der wenigen Gelegenheiten, zum Verhandlungsprozess beizutragen, war die Konferenz zur nachhaltigen Nutzung von Ozeanen im November 2011 in Monaco, an der Tricia Barnett von Tourism Concern aus Großbritannien und ich teilnahmen. Doch die Botschaft von Monaco2 hatte auf das Abschlussdokument von Rio keinen wesentlichen Einfluss.

Meine Schlussfolgerung ist, dass wir ohne ständige Präsenz der Zivilgesellschaft in globalen Tourismusdiskussionen nicht erwarten können, globale politische Handlungskonzepte beeinflussen zu können. Ein positives Beispiel gibt die Fischerei-Bewegung, der es gelang, die Kleinfischerei im Abschlussdokument besser zu positionieren. Dieser Erfolg ist auf mehr als fünf Jahre lange Lobbyarbeit und die Beteilung zivilgesellschaftlicher Organisationen wie der "International Collective in Support of Fishworkers" (ICSF) in verschiedenen relevanten UN-Gremien zurückzuführen.

Welchen Stellenwert hatte der "Gipfel der Völker", der parallel zur UN-Konferenz stattfand, und welche Impulse sind davon ausgegangen?

René Schärer:Der "Gipfel der Völker", der vom 15. bis 23. Juni 2012 am Strand von Flamengo in Rio de Janeiro stattfand, sollte keine Konkurrenzveranstaltung zur offiziellen UN-Konferenz über nachhaltige Entwicklung darstellen. Der Gipfel der Völker war sehr viel mehr als das. Er war ein symbolträchtiges Ereignis, der Beginn einer neuen Bündelung einer Vielzahl von Bewegungen: von der Frauenbewegung über Jugendliche, Kleinbauern und Arbeiter bis hin zu indigenen Bevölkerungsgruppen und traditionell lebenden Gemeinschaften. Über 1.200 selbstorganisierte Veranstaltungen, kulturelle Ereignisse und der "Peoples' March" zogen fast 50.000 Teilnehmer und Besucher an. Bei einer Veranstaltung zu "Tourismus, Nachhaltigkeit und Zukunft" kamen über 100 Menschen aus Brasilien, Argentinien, Peru und Indien zusammen.

Der Alternativgipfel zeigte, dass die Völker der Welt lebendig sind und dass sie bereit sind, ihren Beitrag zu leisten, um sicherzustellen, dass "die Zukunft, die die Völker wollen", nicht in Vergessenheit gerät. Vergleicht man das Ergebnis des Gipfels der Völker3 mit dem Abschlussdokument von Rio+20, wird klar, dass dies erst der Anfang ist. So heißt es in dem Dokument der Zivilgesellschaft: "Wir werden mit neuer Energie in unsere Länder zurückkehren, um die Kämpfe und Widerstandsbewegungen zusammenzuführen und Fortschritte gegen das kapitalistische System in seinen alten und neuen Reproduktionsformen zu erzielen."

Wie geht es nun weiter?

René Schärer:Der Kampf geht weiter. Wir stehen vor einer riesigen Herausforderung. Wenn wir "unsere Zukunft" wollen und nicht die Art von Tourismus-Fokus, die bei Rio+20 herausgekommen ist, müssen wir die Koalition zivilgesellschaftlicher Organisationen in Europa, den USA, Afrika, Asien und Lateinamerika, die seit vielen Jahren zusammenarbeiten, wiederbeleben. Wir müssen unsere Beteiligung an den anstehenden UN-Verhandlungen über Nachhaltigkeitsziele artikulieren und bei relevanten UN-Organisationen wie der UNWTO, UNEP u.a. Lobbyarbeit zum Tourismus betreiben. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich in verschiedenen Teilen der Welt mit den negativen Auswirkungen des Tourismus ausein-andersetzen, müssen sich vernetzen und wirksamer organisieren. Es gibt enormes Potenzial für ein globales zivilgesellschaftliches Netzwerk, das Stärke aus seiner Vielfalt gewinnt und geeint ist in der Forderung nach einem fairen, gerechten, demo-kratischen, an den Menschen orientierten und ökologisch nachhaltigen Tourismus.

Weitere Informationen:

1UNEP (2011): Towards a Green Economy: Pathways to Sustainable Development and Poverty Eradication. Das Tourismus-Kapitel zum Download: www.unep.org/greeneconomy/Portals/88/documents/ger/GER_11_Tourism.pdf

2MonacoMessage. Abschlussdokument der Konferenz "Sustainable Use of Oceans in the Context of the Green Economy and Poverty Eradication" vom 28.-30.11.2011 in Monaco. http://bemonaco2011.org/index.php?option=com_content&view=article&id=65&Itemid=90

3Abschlusserklärung des Gipfels der Völker, 15.-23.6.2012 in Rio de Janeiro: http://cupuladospovos.org.br/en/2012/07/final-declaration-of-the-peoples-summit-at-rio20/

(9.272 Zeichen, 125 Zeilen, September 2012)