Blog

Die "Fremdenrolle": Wie sich Besucher in Moskau (und anderswo) verhalten sollten


"Do as the Romans" do?

Der folgende Buchauszug ist ein interessanter Denkanstoß, den wir unseren Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten wollen. Er erinnert die Redakteurin an einen Besuch in Japan, wo sie in einer Suppenbar die Nudeln mit Stäbchen in den Mund hineinschob und dabei - wie allgemein

üblich und unvermeidbar - kräftig schlürfte. Ein japanischer Gast, mit dem sie sich zuvor unterhalten hatte, wies sie zu ihrem Erstaunen mit

dem Hinweis zurecht, in Deutschland würde man das aber nicht machen...

"Do as the Romans do" scheint also nicht immer das Nonplusultra zu sein, wie auch der Beitrag von Barbara Löwe zeigt. Die Redaktion würde

sich über die Zusendung weiterer Erfahrungen freuen.

 

Die "Fremdenrolle": Wie sich Besucher in Moskau (und anderswo) verhalten sollten

Von Barbara Löwe

Wie überall in der Welt, so erwartet man auch in Rußland, daß ausländische Fremde, die sich als Gast im Lande aufhalten, den Regeln der sogenannten Fremdenrolle folgen. Das bedeutet, daß die Einheimischen eine bestimmte Vorstellung davon haben, was die fremden Gäste zu tun und zu lassen haben. Grundsätzlich gilt, daß Elemente der Fremdheit nicht nur erhalten bleiben dürfen, sondern müssen. Wer als Ausländer allzu perfekt wie ein Russe auftritt oder auch spricht, ruft einen Ablehnungsreflex hervor.

Zwei kleine Beispiele hierzu: Eine junge Ausländerin, die schon einige Zeit in der Moskauer Drogenszene verkehrte, wollte sich schließlich als durch und durch dazugehörig erweisen und verwendete, wie die Einheimischen, deftige Mutterflüche. Man wies sie zurecht: "So spricht eine Frau nicht!" - und meinte damit zur Hälfte auch die Ausländerin. Fortan wurde sie aus dieser Gruppe ausgeschlossen.

Als ich einmal bei der Übersetzung eines förmlichen Kondolenzschreibens zum Tode eines bedeutendenen russischen Wissenschaftlers die Korrektur durch einen Muttersprachler erbat, wurde meine Version mit dem Hinweis gutgeheißen, daß sie völlig korrekt und gleichzeitig "nicht allzu russisch" sei, und das sei genau richtig.

Wer als Gast ein paar Kulturfehler begeht (kein Brot zum Essen nimmt) oder Sprachdefizite offenbart (ein Verb falsch setzt), wird höchst liebenswürdig, großzügig und hilfsbereit behandelt. Die Fremdenrolle erwartet also vom ausländischen Gast, daß er in allem etwas weniger tut, etwas zurückgenommener agiert, etwas leiser, etwas weniger lustig oder traurig, etwas weniger kritisch ist...

Aufgrund der Fremdenrolle wird übrigens jeder ausländische Gast als eine Art Prototyp seines Landes betrachtet, dessen Verhalten das seines ganzen Volkes widerspiegelt.

Auszug mit freundlicher Genehmigung aus "Kulturschock Russland" von Barbara Löwe, Reise Know-How Verlag/Peter Rump GmbH, Bielefeld 1999.

Weitere sehr empfehlenswerte "Kulturschocks" sind zu den Ländern Ägypten, China, Indien, Japan, Mexiko, Pakistan, Thailand und Vietnam sowie zum Islam erschienen. Die Bücher kosten 24,80 DM und informieren auf 200 bis 300 Seiten unter anderem über Sitten und Gebräuche, Alltagskultur, Religionen, Tabus, Verhaltensregeln, Traditionen, Mann und Frau, Stadt und Landleben, Geschichte und politische Kultur heute. Der Reihe "Kulturschock" angeschlossen sind zahlreiche Reise Know-How-Reiseführer und rund 100 Sprechführer aus der Reihe "Kauderwelsch". Informationen bei Reise Know-How, Osnabrücker Str. 79, D-33649 Bielefeld, Tel. 0521 / 43 29 185, Fax 44 10 47, Website: www.reise-know-how.de

(2.688 Anschläge / 40 Zeilen, Oktober 2000)