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"Corporate Social Irresponsibility"

Die Praktiken eines indischen Hotel-Giganten


Für die Bewohner des Fischerdorfes Kovalam* ist die Nacht des 13. April 2006 (der Abend vor dem tamilischen Neujahrsfest) noch immer ein Alptraum. Polizisten kamen in ihr Dorf, schlugen ihre Frauen, bedrohten ihre Männer und nahmen viele in Haft. Zu ihrer Verblüffung erfuhren die Dorfbewohner, dass es der Manager des Hotels "Taj Fishermen's Cove" war, der Anzeige gegen sie erstattet hatte. Das Hotel gehört zur Taj-Gruppe einer der größten Luxus-Hotelketten in Indien, die der berühmten Unternehmensgruppe Tata gehört.

In der Anzeige hieß es, dass die Fischer die Gäste mit “tödlichen Waffen” bedroht hätten. In der Tat hatte es vor der Polizeiaktion Beschwerden des Hotels gegeben, die Fischer würden den Touristen Probleme verursachen, indem sie am Strand vor dem Hotel offen ihre Notdurft verrichteten und ihre Boote parkten (so wie es üblich ist).

Übernahme von Gemeinschaftsgrund und -boden

Vor etwa 30 Jahren baute Tata das "Fishermen's Cove Beach Resort", im Kanchipuram Distrikt ca. 30 km südlich von Chennai (damals Madras, Hauptstadt des südindischen Bundesstaates Tamil Nadu), ca. 15 km nördlich von Mahabalipuram. Tata pachtete zwei Acres** Land von einem Eigentümer, der das Grundstück von der Kirche erworben hatte. Um die Hotelanlage zu bauen, übernahm Tata auch sieben Acres Land, die zum Fischerdorf gehörten. Im Gegenzug vereinbarte das Unternehmen mündlich mit der Dorfgemeinschaft, dass sie die Bewohner mit einigen grundlegenden Dingen unterstützen würden: Trinkwasser (zwei Tankwagen pro Tag), die Ausbildung der Kinder (Schulgebühren, Bücher, etc.) und Reis in der Regenzeit. Ferner würden sie die Fischer für Bootsausflüge mit den Hotelgästen bezahlen.

Heute sind die sieben Acres Land mehrere Millionen Rupien wert, denn durch den Strandtourismus lässt sich Geld machen. Die mündliche Vereinbarung kam zu einem abrupten Ende, als 2004 der Tsunami die tamilische Küste traf.

Nach dem Tsunami bekamen die Fischer von Kovalam ca. 50 Boote, die sie am Strand parken mussten. Manchmal mussten sie dazu auch den Strand vor dem Fishermen's Cove Resort nutzen. Das Hotelmanagement verlangte, dass diese neuen Boote entfernt würden, denn sie beeinträchtigten den Blick der Touristen auf das Meer – sehr zum Verdruss der Fischer, deren Lebensgrundlage auf's Spiel gesetzt wurde und die ihre Boote nirgendwo sonst abstellen konnten. Nach einigen Verhandlungstagen wurde den Dorfbewohnern klar, dass Fishermen's Cove sich nicht erweichen lassen würde.

Die Fischer von Kovalam waren unzufrieden mit Fishermen’s Cove, weil das Hotel ihnen nach dem Tsunami nicht in angemessenem Umfang geholfen hatte. Sie baten das Hotelmanagement, ihnen zur sicheren Unterbringung der Dorfbewohner drei Acres Land anderswo zur Verfügung zu stellen – weniger als die Hälfte dessen, was das Hotel sich ursprünglich in den 80er Jahren angeeignet hatte. “Seit 1991 sagen die Hotel-Leute immer wieder, dass sie uns das Land zurückgeben oder uns neues Land kaufen würden, wenn wir irgendwann Grundstücke für den Bau von Häusern oder Schulen bräuchten", erzählt Narayan, der früher vom Hotel als Rettungsschwimmer angestellt war und heute Sozialarbeiter im Dorf ist. “Als wir dann nach dem Tsunami das Land wirklich brauchten, sagten sie, sie könnten uns mit allem helfen…” – außer mit Land, wie sich nun herausstellte.

Vermittelt durch das Fischereiministerium dauerten die Verhandlungen zwischen der Dorfgemeinschaft von Kovalam und der Hotelgruppe über drei Monate, bis schließlich ein Memorandum unterzeichnet wurde. Die Gemeinschaft erklärte sich bereit, auf die sieben Acres ihres angestammten, geschützten Grundbesitzes zu verzichten, die nun im Besitz des Hotels waren, wenn die Regierung ihnen als Entschädigung drei Acres Land anderswo zur Verfügung stellen würde. Die endgültige Entscheidung der Regierung dazu steht noch aus.

In der Zwischenzeit hat das Hotel mit einer Erweiterung und einem Neubau begonnen – ohne dafür die notwenige Genehmigung von der Lokalverwaltung ("panchayat") eingeholt zu haben, sagt Janaki Raman, Präsidentin der Lokalverwaltung. Die Gemeindebewohner haben auch festgestellt, dass selbst der bestehende Hotelkomplex schon eine Verletzung der Bestimmungen zum Küstenschutz ("Coastal Regulation Zone Notification – CRZ") darstellt, einem Gesetz zum Schutz des empfindlichen Ökosystems.

Die Geschichte wiederholt sich

Bereits in den 1990er Jahren waren Verstöße der Taj Hotels gegen geltendes Umweltrecht bekannt geworden. Der Fall Nagarhole in Karnataka ist ein solches Beispiel. Die Taj-Gruppe schloss 1994 einen Vertrag mit der Forstbehörde von Karnataka, um im Nagarhole-Nationalpark eine umweltfreundliche "Jungle Lodge" zu betreiben. 1996 reichte eine Adivasi-Organisation (d.h. eine Organisation der indigenen Bevölkerung) aus Nagarhole Klage gegen die Forstbehörde und Taj ein. Die Kläger argumentierten, dass ein 5-Sterne-Hotel in einem Nationalpark absolut verboten sei, denn es handle sich dabei um keine waldbezogene Aktivität. Das Gericht erklärte entsprechend den Vertrag für illegal und ungültig und verfügte, dass das Land zurückzugeben sei. Die Taj-Gruppe zog vor das Oberste Gericht – und verlor. Die Regierung von Karnataka wurde aufgefordert, den Pachtvertrag aufzuheben. Der Schauplatz musste innerhalb von 60 Tagen geräumt werden.

'Corporate Social Responsibility' als Marketing-Trick

Auf der Tata-Website heißt es, gesellschaftliche Verantwortung gehöre zu den zentralen Werten der Taj-Gruppe. Tata ist in Indien allgemein bekannt als "eines der unangefochten führenden Unternehmen im Bereich Corporate Social Responsibility". Doch bei näherem Hinschauen zeigt sich, dass zwischen den Statements und den Praktiken des Unternehmens ein großer Widerspruch besteht. Wie die Beispiele zeigen, verweigert die Taj-Gruppe marginalisierten Gemeinschaften wie Adivasis und Fischern ihre Rechte und eignet sich öffentlich Ressourcen im Namen touristischer Entwicklung an. Es wird von Natur- und Umweltschutz, gesellschaftlicher Verantwortung usw. geredet. Das von Taj lancierte EARTH-Projekt ("Environment Awareness & Renewal at Taj Hotels") wurde von "Green Globe" ausgezeichnet, einem Umweltzertifizierungsprogramm der Tourismuswirtschaft. Gleichzeitig jedoch verletzt das Unternehmen bestehende Gesetze und Richtlinien, die dazu da sind, die sensible Umwelt und die Interessen lokaler Gemeinschaften zu schützen. Mit CSR lenkt Taj die Aufmerksamkeit von den tatsächlichen und ernsten Problemen ab.

Kann der Markt die Probleme lösen, die der Markt geschaffen hat?

Dieses Image-Management zeigt die Schwächen der so genannten ‘Corporate Social Responsibility’. CSR ist oft ein billiges Werbeinstrument und eine Gegenstrategie, um Kritiker ruhig zu stellen. Die gegenwärtigen Diskussionen über CSR widmen sich nicht den Problemen, die ihre Wurzeln im System des Marktes und der Liberalisierung der Wirtschaft haben, wie Über-Konsum, die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich und die dauerhaften Schäden an der Umwelt und den Ökosystemen, von denen unsere zukünftigen Generationen abhängig sind.

Die Diskussionen gehen in Richtung einer zunehmenden Übernahme staatlicher Funktionen durch die Wirtschaft. Sie vermitteln den Eindruck, dass die Regierungen nicht in der Lage seien, Gerechtigkeit für ihre Bevölkerung sicherzustellen, so dass die Rolle und die Politik des Staates minimiert werden müsse. Die Macht der Unternehmen oder ihre "gesellschaftliche Verantwortung" wirken jedoch nicht als Hebel, um gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Vielmehr ist die sich anhäufende Macht der Konzerne eines der größten Hindernisse. Da Corporate Social Responsibility etwas Freiwilliges ist, stärkt sie die Macht der Unternehmen, statt sie in Frage zu stellen.

Wir sollten daher eher daran arbeiten, die regulativen Rahmenbedingungen innerhalb des demokratischen Systems zu verbessern, um mehr Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht der Regierungen gegenüber dem Wohlergehen ihrer Bevölkerung sicherzustellen. Nur durch staatliche Regulierung kann man Unternehmen zwingen, die Kosten selbst zu tragen, die sie gegenwärtig auf die Gemeinschaft abwälzen. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass Unternehmen oder der Markt die Probleme lösen werden, die sie selber geschaffen haben.

* An der Küste Südindiens gibt es mehrere Orte mit dem Namen Kovalam. Hier ist nicht der beliebte Ferienort "Kovalam Beach" in Kerala (unweit der Hauptstadt Thiruvananthapuram) gemeint, sondern ein Fischerdorf in Tamil Nadu, ca. 30 km südlich von Chennai.

* 1 Acre entspricht 4.047 m2

Sumesh Mangalassery ist Gründungsmitglied von "KABANI – the other direction", einer Initiative, die sich mit Tourismusthemen in Indien auseinandersetzt.

(8.337 Anschläge, 110 Zeilen, März 2009)