Blog

Asiatisches Sozialforum in Hyderabad

"Cut the GATS" NGO-Kritik an der Welthandelsorganisation


Um der mangelnden Transparenz der Welthandelsorganisation (WTO) entgegenzuwirken, fordern asiatische Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Liberalisierungsanfragen und -angebote, die von den einzelnen Ländern vorgelegt werden, zu veröffentlichen. Auf dem "Asiatischen Sozialforum", das Anfang Januar im südindischen Hyderabad stattfand, machten Aktivisten gegen die WTO mobil.

Im Mittelpunkt standen die Gefahren durch das Welthandelssystem für die Ernährungssicherheit und biologische Vielfalt sowie die drohende Privatisierung von Basisdiensten durch das "Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen" (GATS). Walden Bello (Focus On The Global South) charakterisierte die WTO als entwicklungsfeindlich. "Mit der Unterzeichnung des Uruguay-Abkommens haben die Entwicklungsländer ihr Recht auf Entwicklung aufgegeben," sagte Bello.

Mit den derzeit in Genf laufenden GATS-Verhandlungen befinden sich viele Länder an einem historischen Wendepunkt. Jenseits öffentlicher und parlamentarischer Kontrolle sind Regierungen dabei, überlebenswichtige Bereiche ihrer Volkswirtschaften den bindenden Liberalisierungsregeln des GATS zu unterwerfen. Dazu gehören Basisdienste wie die Wasserversorgung, Energie und Telekommunikation, Bildung und Gesundheit sowie Finanzdienste und der Tourismus. Einmal eingegangene Liberalisierungsverpflichtungen können praktisch nicht wieder zurückgenommen werden.

Da die Lebensbereiche, in die die WTO eingreift, extrem vielfältig sind, wird auch der Widerstand gegen diese Eingriffe von Vielfalt geprägt sein. "Slogans helfen heute nicht mehr weiter", warnte Prabir Purkayastha vom "All India People’s Science Network” (AIPSN). "Wir müssen uns die WTO im Detail anschauen und im Detail erklären, was es mit den einzelnen Vertragswerken auf sich hat."

Die größte Herausforderung im Hinblick auf die im September anstehende WTO-Ministerkonferenz im mexikanischen Cancun besteht seiner Ansicht nach darin, alle WTO-kritischen Organisationen ins gleiche Boot zu holen. Die Kritik bewegt sich zwischen Forderungen nach Abschaffung der WTO, dem Ausstieg einzelner Länder aus der WTO und Reformen des WTO-Systems. Es müsse vor allem darum gehen, der WTO ihre Legitimität zu entziehen, betonte Vandana Shiva ("Research Foundation for Science, Technology and Ecology", New Delhi). Walden Bello zeigte sich diesbezüglich optimistisch: "Wir haben die beste aller Ressourcen: Millionen Menschen auf der ganzen Welt, die desillusioniert sind. Und die WTO als Institution hat ihre Glaubwürdigkeit verloren."

Dass die WTO-Ministerkonferenz in Cancun genauso scheitern könnte wie 1999 in Seattle, dafür gibt es laut Bello mehrere Ansatzpunkte. Dazu gehören die Differenzen zwischen der EU und den USA in den Bereichen Landwirtschaft, Stahl, Hormone und genmanipulierte Organismen. Die NGOs müssten ihre Lobbyarbeit in Genf ausweiten, WTO-Delegierte ihre Länder über ihre Befürchtungen informieren, nationale Kampagnen durchführen und diese international auf das Ziel hin koordinieren, einen Konsens in Cancun zu verhindern. Deshalb müssten zum einen die unter WTO-Mitgliedsstaaten bestehenden Differenzen verdeutlicht werden, zum anderen müsse Druck von außen durch die Zivilgesellschaft aufgebaut werden. Das erfordere eine kritische Masse von Menschen in den Strassen von Cancun. "Wenn wir die Ausweitung der WTO-Abkommen auf immer weitere Wirtschaftsbereiche nicht aufhalten, können wir uns von nachhaltiger Entwicklung endgültig verabschieden," so Bellos Fazit.

In einem Seminar "Cut the GATS", organisiert von der tourismuskritischen Nichtregierungsorganisation "Equations" (Bangalore) mit Unterstützung der "National Working Group on Patent Laws” (New Delhi), der "Research Foundation for Science, Technology and Ecology" (New Delhi) und dem Indien-Programm von "Focus On The Global South" (Bombay/Mumbai) ging es um die drohende Aushebelung demokratischer Grundrechte durch das GATS. Angesichts des fortgeschrittenen Stadiums der GATS-Verhandlungen besteht nach Ansicht von Equations dringender Handlungsbedarf. Die Menschen in Asien und ihre sozialen Organisationen müssen reagieren und Druck auf ihre Regierungen ausüben, die Interessen ihrer Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Doch noch immer gebe es in Asien nur wenig Bewusstsein über die Gefahren des GATS, beklagte Equations-Koordinator K.T. Suresh.

Kein Konsens über GATS-Inhalte

Als die WTO 1994 gegründet wurde, fühlten sich viele Entwicklungsländer – zu Recht oder Unrecht – durch das GATS weniger bedroht als zum Beispiel durch das TRIPS-Abkommen über geistige Eigentumsrechte, erinnert sich der frühere indische WTO-Botschafter S. Narayanan. Dies sei vor allem darauf zurückzuführen, dass die Positiv-Liste, in der jeder zu liberalisierende Bereich spezifiziert werden muss, den Ländern mehr Spielraum lasse, ihre Wirtschaft nur in dem Ausmaß zu öffnen, in dem sie wollen.

Dennoch ist das GATS extrem weitreichend. Es besteht kein Konsens darüber, was es alles umfasst. Im Rahmen nationaler Liberalisierungs- und Privatisierungspolitiken und unter dem Druck internationaler Finanzinstitutionen werden bestehende nationale Schutzmechanismen systematisch ausgehebelt. Mit den Entscheidungen, die heute in der WTO fallen, werden auch zukünftige Generationen und Regierungen leben müssen, betonte Clare Joy vom "World Development Movement" (London). Indem das GATS den Liberalisierungsprozess rechtlich bindend zementiere, werde das Ende rationaler öffentlicher Politik eingeläutet. Dienstleistungen, die bisher allein von der Regierung erbracht wurden, können nun in die Hände von privaten, insbesondere ausländischen Anbietern fallen und damit zu einem neuen Betätigungsfeld für Ausbeuter werden, brachte Narayanan die Gefahr auf den Punkt.

Nicht von ungefähr bezeichnet die WTO das GATS als die "vielleicht wichtigste Entwicklung in der Geschichte des multilateralen Handelssystem, seit das GATT 1948 in Kraft getreten ist". GATT ist das internationale Zoll- und Handelsabkommen. Über die Verhandlungen in Genf dringt nur wenig an die Öffentlichkeit. Der Prozess von Anfragen und Angeboten, die die einzelnen WTO-Mitgliedsstaaten vorbringen, ist hochgradig komplex. Eine Reihe von Industrieländern haben Anfragen an Entwicklungsländer vorgelegt, einzelne Dienstleistungssektoren verstärkt für internationale Anbieter zu öffnen. Diese Anfragen werden derzeit geprüft. Ab Ende März werden die angefragten Länder mit entsprechenden Angeboten reagieren. Auch Entwicklungsländer untereinander gehen Liberalisierungsverpflichtungen ein.

"Der Kampf gegen das GATS ist ein Kampf für das Leben," betonte Charles Santiago von "Monitoring Sustainability of Globalization" (Philippinen). Auf den Philippinen ist die Privatisierung und die Übernahme lebenswichtiger Bereiche durch multinationale Unternehmen bereits stark vorangeschritten. Umso schlimmer sei es, so Clare Joy, dass die einzigen Allianzen, die europäische Verhandlungsführer heute eingingen, diejenigen mit der Wirtschaftslobby ihrer jeweiligen Länder seien. Noch in den 80er Jahren habe sich die EU gemeinsam mit Indien und Brasilien dafür eingesetzt, das GATS separat vom GATT zu behandeln, eine Entwicklungsorientierung vorzusehen und die nationale Souveränität zu wahren – entgegen den Interessen der USA, die den Dienstleistungsbereich einfach in das GATT mitnehmen wollten, erinnerte S.P. Shukla, früherer indischer GATT-Botschafter. Unter dem Druck der Wirtschaft, so Clare Joy, treibe nun gerade die EU das GATS in nie dagewesenem Tempo voran. Jedoch gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass die Liberalisierung im Dienstleistungsbereich tatsächlich funktioniere. Das genaue Gegenteil sei der Fall.

Das gilt gerade auch für den Tourismus. In einer Fallstudie über die Auswirkungen von Wirtschaftsliberalisierungen im indischen Bundesstaat Goa zeigte Equations Defizite auf und machte darauf aufmerksam, dass es keine Daten über den tatsächlich zu erwartenden Nutzen gibt. Diese seien aber erforderlich, bevor weitere Liberalisierungsverpflichtungen eingegangen würden. Der indischen Regierung empfahl Equations, erst einmal die Defizite zu beheben. Es müssten gesetzliche Rahmenbedinungen geschaffen werden, die bislang fehlten. Existierende Gesetze, wie beispielsweise zum Küstenschutz, müssten von den Tourismusanbietern eingehalten, negative soziale und ökologische Auswirkungen verhindert werden.

Dass das GATS die Demokratie bedrohe, werde besonders im kommunalen Bereich deutlich, wo sich die auf nationaler Ebene eingegangenen GATS-Verpflichtungen besonders auswirkten. Auf lokaler Ebene liegt die Verantwortung bei den "Panchayats" (Gemeindeverwaltungen). Mit den GATS-Verpflichtungen der Zentralregierung werde den Panchayats die Kontrolle im Bereich ihrer Befugnis und Rechenschaftspflicht wieder entzogen. Dies sei besonders dramatisch, weil die Geschichte der Dezentralisierung politischer Entscheidungsbefurgnisse in Indien relativ jung sei und die Panchayats gerade erst begännen, Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung wahrzunehmen.

(9.002 Anschläge, 124 Zeilen, März 2003)