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Armutsbekämpfung durch Tourismus

UN-Konferenz verabschiedet Aktionsprogramm für die am wenigsten entwickelten Länder


In vielen Entwicklungsländern hat sich der Tourismus zu einem Hoffnungsträger für eine stärkere Präsenz in der Weltwirtschaft entwickelt. In Gambia, Sierra Leone und Tansania, auf den Komoren, Malediven, Samoa, Tuvalu und Vanuatu ist er heute die wichtigste Devisenquelle. In 24 der am "wenigsten entwickelten Länder (LDCs)" steht er gar an führender Stelle des Dienstleistungssektors.

Zwar haben die LDCs nach Angaben der Welttourismusorganisation WTO nur einen Anteil von 0,8 Prozent am Welttourismus. Jedoch verdoppelten sich die Einnahmen aus dem Tourismus 1998 in nur sechs Jahren von einer Milliarde US-Dollar 1992 auf mehr als 2,2 Milliarden US-Dollar. Als Ergebnis ihrer erfolgreichen Tourismusentwicklung hätten sich Kap Verde, die Malediven, Samoa und Vanuatu der Schwelle zur Überwindung des "LDC"-Status genähert, so Pierre Encontre, Wirtschaftswissenschaftler der Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD). Nach Einschätzung von WTO-Generalsekretär Francesco Frangialli haben die ärmsten Länder ihr Tourismuspotential noch lange nicht ausgeschöpft. Häufig fehle es jedoch an Infrastruktur, lokalen Ressourcen und Managementkenntnissen.

Viele der "Least Developed Countries" verfügen aber auch über günstige Voraussetzungen. Um den Tourismus in Zukunft stärker in den Dienst der Armutsbekämpfung zu stellen, setzten ihn die Vereinten Nationen erstmals mit auf die Tagesordnung der "Dritten UN-Konferenz über die am wenigsten entwickelten Länder (UN-LDC III)", die vom 14. bis 20. Mai in Brüssel stattfand. Über 6.500 Vertreter von Regierungen, den Vereinten Nationen, Institutionen und Nichtregierungsorganisationen erarbeiteten ein umfangreiches Aktionsprogramm für die nächsten zehn Jahre. Darin geht es neben Entwicklungshilfe und Schuldenerlaß vor allem um internationalen Handel und die Förderung von Investitionen.

Ziel ist es, die Lebensbedingungen der über 600 Millionen Menschen in den 49 ärmsten Ländern wesentlich zu verbessern. Die Verantwortung für die Umsetzung der Maßnahmen liegt in erster Linie bei den Regierungen der LDCs selbst. Sie sollen mit der Privatwirtschaft sowie Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten und durch internationale Organisationen sowie die reicheren Länder unterstützt werden.

Der Tourismus-Absatz 64 (siehe Anhang) des Arbeitsprogramms beschreibt die Absicht der LDCs, ein politisches und wirtschaftliches Klima zu schaffen, das dem Tourismus förderlich ist. Der Tourismus sollte in nationalen Entwicklungsstrategien zur Geltung kommen. Eine Politik der Produktspezialisierung könnte Investoren die gewünschte Entwicklungsrichtung aufzeigen, in- und ausländische Investitionen müßten gefördert werden. Zentral ist auch der verbesserte Zugang von Anbietern in den LDCs zu globalen Informations- und Reservierungssystemen sowie Verflechtungen des Tourismus mit dem Transportsektor. Die Partner im Entwicklungsprozess sind aufgerufen, die LDCs in ihren Vorhaben zu unterstützen sowie die Finanzierung und Entwicklung einheimischer Arbeitsplätze, die wirtschaftliche Effizienz, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit des Tourismus in den ärmsten Ländern zu fördern.

Der Abfluß von Gewinnen ist zu hoch

Der tansanische Wirtschaftsminister Iddi Simba wies darauf hin, daß viele der ärmsten Länder bereits in den Tourismus investiert hätten. Nun gehe es darum, "ein Gleichgewicht herzustellen zwischen dem, was in den jeweiligen Ländern verbleibt, die diese Investitionen getätigt haben, - und dem, was in die Länder abfließt, aus denen die Touristen kommen". Nach Angaben der UNCTAD beträgt der Kapitalabfluß in kleinen Entwicklungsländern im Durchschnitt 40 bis 50 Prozent der Bruttoeinnahmen aus dem Fremdenverkehr. Um den Multiplikatoreffekt der Einnahmen aus dem Tourismus zu erhöhen, müßten sie die Zusammenarbeit mit anderen Sektoren fördern, beispielsweise mit der Fischerei und der Landwirtschaft. Im Tourismus fließt Kapital oft durch den Import von Gütern und Dienstleistungen wieder ab sowie durch Einkünfte nicht heimischer Arbeitskräfte und Gewinne ausländischer Unternehmen.

Dennoch, so schätzt Frangialli, würde der Nutzen aus dem Tourismus überwiegen, vorausgesetzt, es werde darauf geachtet, daß nur "nachhaltiger" Tourismus gefördert werde. Ungelenkte Tourismusentwicklung könne gravierende Folgen für die Umwelt und für die Kultur und Sozialstruktur in Entwicklungsländern haben. Poul Nielson, EU-Kommissar für Entwicklung und Humanitäre Hilfe, warnte zudem, daß der Tourismus ein riskantes Geschäft sei. Die Reiseveranstalter im Norden seien außerordentlich flexibel, die Zielgebiete im Süden den Moden des Nordens unterworfen. LDCs müßten entscheiden, ob sie ihr Angebot im Hochpreissegment ansiedeln wollen, was weniger Besucher bedeute, oder sich auf den billigeren Massenmarkt einlassen wollen. Um den Schutz der Natur und gleichzeitig den Zugang zu empfindlichen, artenreichen Naturräumen sicherzustellen, seien strenge Regulierungen nötig.

Klar und deutlich war die zentrale Botschaft der UN-Konferenz: Nach zwei verlorenen Entwicklungsdekaden müsse endlich konkret etwas getan werden. Abnehmende Entwicklungshilfe, steigende Schuldenlast, komplexe Handelsbeschränkungen u.a. hätten dazu geführt, daß die Entwicklung der ärmsten Länder weit hinter den Erwartungen früherer Konferenzen zurückgeblieben sei.

1997 betrug das durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in diesen Ländern nur 235 US-Dollar (Industriestaaten: 24.522 US-Dollar). Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei nur 51 Jahren. Jedes zehnte Kind stirbt, bevor es das erste Lebensjahr vollendet hat, und fast 40 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren haben Untergewicht oder leiden an Wachstumsstörungen. Die Hälfte aller Erwachsenen in den LDCs kann weder lesen noch schreiben.

Die zunehmende Marginalisierung dieser Länder umzukehren, sei, so heißt es in dem Arbeitsprogramm, ein "ethischer Imperativ". Hierfür war die Konferenz sicher nicht die Lösung, kann aber - gerade was eine stärkere Förderung des Tourismus in der Entwicklungszusammenarbeit angeht - ein Wegbereiter gewesen sein.

Weitere Informationen zur Dritten UN-LDC-Konferenz sind im Internet unter www.un.org/events/ldc3/conference/index.htm abrufbar.

Die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs)

Die Einstufung eines Landes als "Least Developed Country" (LDC) erfolgt durch die UN-Generalversammlung. Zugrundegelegt werden eine Reihe von Kriterien wie niedriges Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (unter 900 US-Dollar), niedriges Entwicklungsniveau (Gesundheits-, Ernährungs- und Bildungsindex), wirtschaftliche Anfälligkeit, Einwohnerzahl (maximal 75 Millionen). Derzeit sind 49 Länder als LDCs eingestuft, darunter 35 afrikanische, neun asiatische und fünf pazifische Staaten sowie Haiti. Sie erhalten von den Vereinten Nationen, Geberländern und Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit günstigere Bedingungen als andere Entwicklungsländer.

Derzeit als LDCs eingestuft sind: Afghanistan, Angola, Äquatorialguinea, Äthiopien, Bangladesh, Benin, Bhutan, Burkina Faso, Burma, Burundi, Demokratische Republik Kongo, Dschibuti, Eritrea, Gambia, Guinea, Guinea-Bissau, Haiti, Jemen, Kambodscha, Kap Verde, Kiribati, Komoren, Laos, Lesotho, Liberia, Madagaskar, Malawi, Malediven, Mali, Mauretanien, Mosambik, Nepal, Niger, Ruanda, Salomonen, Sambia, Samoa, Sao Tomé und Principe, Senegal, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Togo, Tschad, Tuvalu, Uganda, Vanuatu, Tansania, Zentralafrikanische Republik.

Literaturhinweis

"Tourismus in den am wenigsten entwickelten Ländern"

Zur Vorbereitung der Dritten UN-Konferenz (UN-LDC III) haben WTO und UNCTAD die Ergebnisse eines Expertentreffens in Maspalomas/Gran Canaria, Spanien, vom März 2001 dokumentiert. Auf fast 400 Seiten finden sich Hintergrundberichte und Analysen, die Redebeiträge zur Konferenz, Berichte zum Tourismus aus 29 Ländern sowie die "Erklärung von Gran Canaria". Deutlich wird das Ziel der Konferenz, die ärmsten Länder der Welt über den Tourismus stärker in den Welthandel zu integrieren.

World Tourism Organization (WTO) / United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD): "Tourism in the Least Developed Countries". Madrid, Mai 2001, Preis: 27 Euro; www.world-tourism.org

(8.299 Anschläge, 114 Zeilen, Juni 2001)