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Widersprüchliche Wirkungen des Tourismus

Analyse akademischer Arbeiten zur Armutsbekämpfung durch Tourismus


Das Thema Armutsbekämpfung durch Tourismus wird in der Wissenschaft immer noch zumeist von der makro-ökonomischen Seite betrachtet. Der Tourismus als Wachstumsmotor für Entwicklungsländer wird zum Beispiel durch den Anteil der Tourismuswirtschaft am Bruttoinlandsprodukt oder die Zahl der Beschäftigten in der Reisebranche gemessen.

Betrachtet man aber Armutsbekämpfung ganzheitlich und versteht sie als Beitrag zur menschlichen Entwicklung, dann hat der Tourismus bei weitem nicht nur positive Wirkungen. Als ein Referenzrahmen für Armutsbekämpfung im Sinne der menschlichen Entwicklung gelten die Millenniumsentwicklungsziele (Millennium Development Goals - MDGs). Für den Tourismus sind darüber hinaus auch Themen wie Landrechte, Partizipation, "Empowerment" und soziokulturelle Auswirkungen von großer Bedeutung.

Allgemeingültige Antworten sind nicht möglich

Eine Analyse von 14 Diplomarbeiten, Masterarbeiten und Dissertationen aus den vergangenen fünf Jahren im deutschsprachigen Raum zeigt, dass es keine einfachen, allgemeingültigen Antworten auf die Frage gibt, was der Tourismus zur Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern beiträgt.

Die Wirkungen, die Christian Byczek im Auftrag von EED Tourism Watch auf Grundlage dieser Arbeiten erfasst hat, sind ökonomischer, sozialer und ökologischer Natur. Sie können äußerst positiv, aber auch äußerst negativ sein. Sie reichen von Einkommens- und Beschäftigungseffekten, die oftmals aber Verteilungskonflikte bedingen, über Naturschutz, aber auch Zerstörung der Natur bis hin zu sozialen Auswirkungen, wie Prostitution und Migration oder auch der Einbeziehung des informellen Sektors.

Es besteht Einigkeit darüber, dass der Tourismus wirtschaftliche Impulse setzt und damit helfen kann, Hunger und Armut zu reduzieren (MDG 1). Tiefer gehende Aussagen zu Umverteilungsmechanismen oder zur Qualität der Beschäftigung im Tourismus bleiben wesentlich widersprüchlicher oder unklar.

In Bezug auf die MDGs 2 und 3 (Grundschulbildung und Gleichstellung der Geschlechter) werden in den Arbeiten fast keine Aussagen gemacht. Auffällig ist, dass die Gleichstellung der Geschlechter im Rahmen der vorliegenden Abschlussarbeiten in keiner Weise behandelt wird. Auch die gesundheitsspezifischen MDGs 4 bis 6 finden in den Studien kaum Beachtung.

Inwiefern der Tourismus sich auf die ökologische Nachhaltigkeit (MDG 7) auswirkt, wird widersprüchlich bewertet. Es wird anerkannt, dass der Tourismus zwar das Potenzial hat, Umwelt und Natur zu schonen, in der Realität wird aber eher ein negativer Zusammenhang angenommen.

MDG 8, der Aufbau einer globalen Partnerschaft für Entwicklung, wird in den Arbeiten aus privatwirtschaftlicher Perspektive betrachtet und bezieht sich zumeist auf die Aktivitäten von Unternehmen im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung ("Corporate Social Responsibility" - CSR).

Empirische Untersuchungen liefern Einzelfall-Ergebnisse

Anders als große Studien über Tourismus und Armut in Entwicklungsländern, gehen die vorliegenden Arbeiten stärker ins Detail und betrachten die Mikro-Ebene. Die studentischen Wissenschaftler hatten die Gelegenheit, sich als unabhängige Forscher über einen längeren Zeitraum ein genaues und unvoreingenommenes Bild von der Realität vor Ort zu machen. Wenngleich es schwierig ist, die Ergebnisse zu übertragen oder zu verallgemeinern, und auch wenn die empirischen Befunde im Rahmen der relativ "kleinen" Forschungsprojekte begrenzt sind, kann man doch davon ausgehen, dass die Ergebnisse aussagekräftig und glaubwürdig sind.

Ein Defizit der Arbeiten zeigt sich aber im meist geringen Radius der verwendeten Literatur. Die wissenschaftliche Fragestellung wird in den meisten Fällen nur anhand der gängigen Standardwerke deutschsprachiger Wissenschaftler zum nachhaltigen Tourismus eingeordnet.

Weitergehender Forschungsbedarf

Betrachtet man die ökonomischen Wirkungen des Tourismus, könnte gerade in studentischen Arbeiten der Zugang zur Mikro-Ebene genutzt werden. Der Anteil an den Tourismuseinnahmen, der wirklich den Armen zugute kommt, kann bisher in den seltensten Fällen genannt werden. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf. Stark umstritten und mit vielen widersprüchlichen Aussagen besetzt sind die Themen Beschäftigung und Einkommen. Dabei ist eine Frage, inwiefern Beschäftigung im Tourismus tatsächlich Einkommensgefälle abbauen kann.

Themen, die in Bezug auf Armutsreduzierung im Tourismus eine wichtige Rolle spielen, aber in den vorliegenden Studien nicht in angemessenem Umfang behandelt werden sind Landrechte, Menschenrechte, die Gleichstellung der Geschlechter, Frieden, ethnische Gruppen und Völkerverständigung.

Forschungsbedarf zu oben genannten Themen besteht insbesondere in Form von empirischen Vergleichsstudien. Viele der in den analysierten Studien genannten Wirkungszusammenhänge sind in ihrer Prozesshaftigkeit nachvollziehbar. Wie stark die Wirkungen sind und in welche Richtung sie gehen, bleibt aufgrund unzureichender Nachweise oder widersprüchlicher Datenlage aber oft unklar.

(5.134 Anschläge, 74 Zeilen, September 2010)