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Tourismusgebiete im Würgegriff zwischen Dumping und nachhaltiger Entwicklung

Kommentar


Nachhaltiger Tourismus soll helfen, die globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen – so steht es in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Die UN-Welttourismusorganisation und die internationale Tourismuslobby beten mit Regelmäßigkeit Wirtschaftszahlen herunter: Globales Bruttoinlandprodukt, Arbeitsstellen oder Einnahmen sollen die Entwicklungskraft des Tourismus belegen. Von der Qualität der Arbeitsstellen, den Kosten des Tourismus und der Verteilung der Einnahmen ist kaum die Rede. So wird der Eindruck erweckt, die Branche sei schon auf dem besten Weg, nachhaltig zu werden. Doch jüngste Presseberichte lassen zweifeln.

Tourismus ist ein volatiles Geschäft: Nach den Terroranschlägen in Kenia, Ägypten, Tunesien, Frankreich, Indonesien und der Türkei ist die touristische Nachfrage nach diesen Destinationen eingebrochen. Beim Reiseweltmeister Deutschland war 2015 erstmals ein Rückgang der Nachfrage zu verbuchen, weil die Urlauber sich Sorgen um die Sicherheit machten.

Gastländer buhlen mit kostspieligen Anreizen

Für die betroffenen Länder ist das ein Desaster. Sie haben auf den Tourismus als Wachstumsmotor gesetzt und hängen wirtschaftlich von der Reisebranche ab. Doch große Reiseveranstalter sind globalisierte Unternehmen. Zu deren Merkmalen gehört, dass sie sich kaum an lokale Gegebenheiten anpassen, sondern Ressourcen und Know-how zentralisieren und Standort- und Steuervorteile nutzen. Also buhlen Regierungen mit finanziellen Anreizen um die internationalen Gäste: Kenia hebt vorübergehend die Landegebühren in Mombasa und Malindi für Charterlinien auf und zahlt gar 30 Cent pro internationalem Gast mit Flugziel Kenia. Das kostet das Land dieses Jahr rund zehn Millionen Euro. Zusätzlich hat die Regierung die Visagebühren für Kinder unter 16 abgeschafft und will die Eintrittspreise für die Nationalparks um ein Drittel senken.

Ägypten bezuschusst die Marketingaktivitäten der Veranstalter mit über 50 Prozent, die Bewerbung von Nilkreuzfahrten gar mit 75 Prozent, verlängert die Charter-Subventionen und denkt über die Subvention von Linienflügen nach. Von der türkischen Regierung erhalten Ferienflieger, die Antalya, Alanya, Bodrum, Dalaman oder Izmir ansteuern, 6.000 US-Dollar Treibstoffzuschuss pro Flug und Reiseveranstalter Zuschüsse für ihr Marketing. Gleichzeitig investieren die Regierungen Millionen in die Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen in Tourismusgebieten. All diese Bemühungen um die internationalen Gäste werden mit Steuergeldern bezahlt, die dann für Schulen, Sozialleistungen oder die Förderung von Kleinunternehmen fehlen.

Verramschte Destinationen

Was bleibt im Land für eine "nachhaltige" Entwicklung, wenn Regierungen den Tourismus so stark subventionieren müssen – und die Reiseveranstalter die Destinationen regelrecht verramschen? FTI wirbt für sein "buntes Rabatt-Potpourri" mit um mehrere hundert Euro billigeren Preisen für Urlaub in Ägypten, Marokko oder Oman, in der Türkei oder in Griechenland. Die TUI-Preise liegen im Schnitt zwei bis drei Prozent unter dem Vorjahr – selbst in Destinationen, die von Terror bisher verschont waren und stärker nachgefragt werden, wie Mallorca oder die Kanaren. Bereits im Jahr 2015 waren die Flugtickets im Schnitt um 0,7 Prozent und die Pauschalreisen um 0,3 Prozent günstiger.

Wie nachhaltig ist eine Entwicklung, bei der die letzten – geschützten – Küstenabschnitte verbaut werden, ohne Rücksicht auf die Tragfähigkeit des Gebiets, auf Wasserprobleme der Einheimischen und auf Umweltprobleme rund um die Anlagen? Weil Spanien als Ausweichziel schlechthin für die gemiedenen Destinationen in Nordafrika gilt, steigt der Druck auf die Regierung, den Baustopp auf neue Hotels und Appartement-Siedlungen auf den Kanarischen Inseln aufzuheben. Erste Ausnahmegenehmigungen wurden bereits erteilt. Und etwas dreistere Unternehmen bauen einfach ohne Genehmigung. Bislang wurde in den Kanaren noch kein Hotel abgerissen, das illegal gebaut wurde. Das System ist nicht nur in Spanien beliebt. In Phuket, Thailand, erklärte kürzlich Vizegouverneur Prajiad Aksornthammaku, praktisch jede zweite Touristenattraktion wie Tiershows, Schießanlagen, Go-kart-Bahnen, Quadfahrten usw. werde ohne Bewilligung betrieben.

Bis der letzte Zipfel Schönheit verbaut ist

Während Tourismusunternehmen Landschaften und Ressourcen bis aufs Letzte nutzen, müssen Regierungen zusätzliche Kosten übernehmen, wenn die Branche ihre Gewinne bereits im Trockenen hat – etwa zur Befestigung erodierender Küsten oder zum Schutz der schwindenden Artenvielfalt. Emotionen gingen hoch, als Mallorca die Einführung einer Tourismussteuer als Beitrag zu Umweltschutzmassnahmen ab 2016 ankündigte. Ein Déjà-vu: Die Ökosteuer, welche die Balearen im Jahr 2000 eingeführt hatten, musste auf Druck der Reisebranche 2003 wieder aufgehoben werden. Irgendwann sei die Preisspanne ausgereizt und dann würden die Profite der lokalen Tourismusunternehmen zurückgehen, warnte kürzlich ein Kommentator in „eTurbo-News“. Er findet es unstatthaft, dass Reisende, die die von Steuergeldern bezahlte Tourismusinfrastruktur eines Landes beanspruchen, für diese auch einen Beitrag leisten – und fordert sodann weitere Investitionen durch die öffentliche Hand: Die Kapazitäten der Flughäfen müssten erhöht und die Kundenorientierung der Angestellten verbessert werden, es brauche mehr Kläranlagen und bessere sanitäre Einrichtungen. Wie aber soll Spanien das leisten? Trotz Tourismus ist das Land hoch verschuldet.

Das sind nur einige Schlaglichter auf eine Branche, von der heute vor allem Lokalmatadore, globale Wirtschaftsplayer und Reisende profitieren. Um auch der Bevölkerung in den Tourismusregionen ein gutes Leben zu ermöglichen und die Lebensräume zu schützen – gemeinhin das, was unter nachhaltiger Entwicklung verstanden wird – müsste sie ihre Geschäftspraktiken radikal ändern.

Nina Sahdeva ist Mitarbeiterin beim Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung in Basel und Redakteurin von www.fairunterwegs.org. Nachdruck des Beitrags mit freundlicher Genehmigung.

(5.824 Zeichen, März 2016, TW 82)