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Südsee-Insulaner wehren sich gegen Ausverkauf

Hotelbesetzungen auf Rapa Nui


Mit negativen Meldungen macht die Südsee selten Schlagzeilen. Der Traum von einsamen Stränden unter Palmen und einem stressfreien Leben der Südsee-Bewohner wird von Reiseveranstaltern und Medien gerne genährt. Doch die Wirklichkeit sieht oft anders aus. So auch auf der sagenumwobenen Insel Rapa Nui, bekannter unter dem Namen Osterinsel. Bilder von blutüberströmten demonstrierenden Ureinwohnern erregten im Dezember 2010 weltweite Aufmerksamkeit. Die gewaltsame Räumung eines von Ureinwohnern seit dem Sommer 2010 besetzten Hotels machte schlaglichtartig deutlich, dass das einst heile Südsee-Bild deutliche Risse zeigt.

Die offiziell zu Chile zählende Insel erlebte seit ihrer Erklärung zum UNESCO-Weltkulturerbe im Jahr 1995 eine beispiellose Entwicklung des Tourismus. Das 3.700 Kilometer vom chilenischen Festland entfernte Eiland, das mit seinen 166 Quadratkilometern Fläche weniger als halb so groß wie das Bundesland Bremen ist, kam wegen seiner Moai-Statuen zu Weltruhm. Die bis zu 20 Meter hohen, mythenumrankten Statuen machen die Insel zu einem einzigartigen Weltkulturerbe. Erosion und Verfall machen den mehr als 880 Moai allerdings schwer zu schaffen. Dutzende Archäologen aus aller Welt bemühen sich um die Restaurierung dieser größten Touristenattraktion, die jedes Jahr 70.000 Besucher anlockt. Weitere 26.000 archäologische Ausgrabungsstätten machen Rapa Nui zu einer Pilgerstätte für kulturinteressierte Reisende. Nicht alle Urlauber gehen aber schonend mit den traditionellen religiösen Stätten der Ureinwohner um. Immer wieder werden Moai bekritzelt, erklettert oder Reisende meißeln sich Souvenirs aus den Tuffstein-Blöcken.

An den Grenzen der Tragfähigkeit

Auf keiner Pazifikinsel ist die Zahl der Besucher pro Kopf der Bevölkerung höher, obwohl das Eiland tausende Kilometer von benachbarten Inseln entfernt ist. Jeden Tag landet ein Linienflug, der Touristen vom chilenischen Festland bringt. Die Zahl der Urlauber wächst jährlich um 20 Prozent. Mit einer neuen Landebahn, die zurzeit errichtet wird, will Chile den Tourismus noch weiter ausbauen. Im Jahr 2020 sollen nach dem Willen der chilenischen Reggierung sogar 200.000 Urlauber kommen, fast 40-mal so viele Menschen, wie auf Rapa Nui leben.

Schon heute stößt die Insel mit dem Zustrom an Touristen an ihre Grenzen. Fast alle Nahrungsmittel werden aufwändig vom Festland importiert. Die Wasserversorgung der Hotels und die Müllentsorgung sind gefährdet. Alle Bewohner leben vom Tourismus. Doch vor allem unter der Urbevölkerung, die seit 2006 nicht mehr die Mehrheit der rund 5.000 Bewohner stellt, regt sich immer mehr Widerstand gegen den ungezügelten Ausverkauf der Insel. Denn mit den Touristen kamen auch viele chilenische Siedler und Saison-Arbeitskräfte, die auf Rapa Nui ihr Glück suchen. Einige kamen auch, weil Ureinwohner nicht mehr bereit waren, alle anfallenden Arbeiten zu verrichten.

Doch seit Jahren wird der Ruf nach einer Beschränkung der ungezügelten Einwanderung chilenischer Siedler immer lauter. Im August 2009 blockierten indigene Aktivisten mit Autos und Lastwagen einen Tag lang die Landebahn des Flughafens, um gegen die Migranten und den ausufernden Tourismus zu protestieren. Die Blockade wurde erst aufgehoben, nachdem die chilenische Regierung zusicherte, Maßnahmen zur Kontrolle der Einwanderung zu ergreifen. Nachdem ein im September 2009 erlassenes Dekret zur Regelung der Einwanderung vom obersten Gericht für verfassungswidrig erklärt worden war, sprachen sich 96 Prozent der Ureinwohner in einer Volksabstimmung im Oktober 2009 für eine Verfassungsänderung aus, um die Einwanderung zu beschränken. Eine entsprechende Gesetzesvorlage blieb aber bislang im chilenischen Parlament blockiert.

Seit mehreren Jahren schon fordern Ureinwohner ähnliche Bestimmungen zur Einwanderungskontrolle wie auf den Galapagos-Inseln, die zu Ecuador gehören. Dort dürfen ecuadorianische Staatsbürger nur mit Sondergenehmigung einwandern.

Wenn Ureinwohner ein Autonomie-Statut für Rapa Nui verlangen, dann denken sie vor allem an eine Sicherung ihrer Landrechte. Zwar regelt ein Gesetz aus dem Jahr 1966, in dem Chile den Bewohnern der Insel die volle Staatsbürgerschaft zusicherte, dass nur die Urbevölkerung Landeigentum besitzen darf. Doch tatsächlich nimmt der Ausverkauf des Landes immer mehr zu. Ende Juli 2010 besetzten daher Ureinwohner verschiedene öffentliche Gebäude und ein Hotel, das in den 1980er Jahren an eine Hotelkette verkauft worden war, obwohl dies gesetzlich untersagt ist. Zwar räumten Sicherheitskräfte im September das Hotel, doch nach wenigen Tagen wurde es erneut besetzt. Die rund 500 Besetzer forderten eine Rückgabe des Landes an die Ureinwohner, die von der Regierung und den Privateigentümern abgelehnt wurde. Nach dem Scheitern von Vermittlungsbemühungen entsandte die chilenische Regierung Bereitschaftspolizisten, die die besetzten Gebäude am 3. Dezember 2010 gewaltsam räumten und dabei mehr als 20 Ureinwohner zum Teil schwer verletzten.

Menschenrechtsorganisationen, Vertreter indigener Völker aus aller Welt und chilenische Oppositionspolitiker äußerten massive Kritik am gewaltsamen Vorgehen der Sicherheitskräfte. Die Vereinten Nationen appellierten an Chile, den Konflikt friedlich zu lösen. Der brutale Polizei-Einsatz hat das Vertrauen vieler Ureinwohner in die Regierung Chiles tief erschüttert. Aktivisten fordern sogar eine Loslösung der Insel von Chile und einen Zusammenschluss mit anderen Eilanden Polynesiens. Doch dies wird Chile mit aller Macht verhindern. So sind mehr Konflikte zwischen Ureinwohnern und den Behörden zu erwarten. Keine guten Zeiten, um den Südseetraum auf Rapa Nui zu leben.

Ulrich Delius ist Asien- und Afrikareferent der Gesellschaft für bedrohte Völker. Er verfolgt zudem intensiv die Lage in den kleinen Inselstaaten und abhängigen Territorien im Südpazifik.

(5.919 Anschläge, 78 Zeilen, März 2011)