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Reisen als Chance

Drei Fragen an Christine Plüss, Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung, Basel


Seit 35 Jahren engagiert sich der Schweizer Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung (akte) in der tourismuskritischen Sensibilisierungsarbeit. Über das veränderte Reiseverhalten, die Nachfrage nach nachhaltigen Angeboten und die neuen Chancen und Herausforderungen durch die "sozialen Medien" sprachen wir mit akte-Geschäftsführerin Christine Plüss.

TW: Der Tourismus ist heute nicht mehr das, was er einmal war. Inwiefern hat sich das Reiseverhalten verändert?

Als der Arbeitskreis Ende der 1970er Jahre gegründet wurde, reisten noch viel weniger Leute. Fernreisen waren erst am Aufkommen und natürlich auch viel teurer. In der Zwischenzeit ist das Reisen nicht nur zu einem Massenphänomen geworden, sondern auch zu einem simplen Konsumgut. Es ist nicht mehr das Spezielle, einmal im Leben eine große Reise zu machen, nach Asien oder nach Afrika. Heute reist man mehrmals jährlich mit dem Flugzeug, genauso wie man sich Kleidungsstücke kauft. Dabei ist etwas verlorengegangen, was wir wieder verstärkt zurückgewinnen möchten: das Reisen als Chance, die Chance, überhaupt woanders hinzugehen. Es sind ja weltweit weniger als zehn Prozent der Menschen, die überhaupt in die Gunst kommen, in so viele Länder Ferienreisen unternehmen zu können. Etwas Neues zu sehen, vielleicht sich selbst zu erneuern, neue Begegnungen einzugehen, den Blick zu öffnen und den Alltag nach der Rückkehr wieder anders angehen zu können – das ist es, was beim Reisen als Massengut, als Konsumgut weitgehend verlorengegangen ist.

TW: Werden denn nicht Reisen heute auch anders nachgefragt? Wonach suchen Reiseinteressierte und was bietet das Reiseportal "fairunterwegs.org"?

Mit der zunehmenden Reiseerfahrung wollen Reisende heute mehr als nur das Null-Acht-Fünfzehn-Programm der standardisierten Pauschalreise. Sie suchen nach Authentischem, nach anderen, neuen Erfahrungen und sie würden gerne auch mehr auf die Umwelt achten. Das belegt die aktuelle Reiseanalyse in Deutschland ganz deutlich. In der Schweiz zeigt eine Marktstudie, dass ungefähr ein Viertel aller Reisenden Nachhaltigkeit zu den drei wichtigsten Buchungskriterien zählen. Das ist ein großes Potenzial, noch wird es aber zu wenig umgesetzt. Das hängt auch damit zusammen, dass es nach wie vor für Reisende relativ kompliziert ist, ein ausgewiesen nachhaltiges Angebot zu finden, weil die Angebote nicht so verkauft werden und nicht transparent genug ausgeschrieben werden. Das ist ein großes verschenktes Potenzial. Es gibt immer mehr Anbieter, die sehr wohl Wert auf Umweltschutz legen und auch zunehmend im sozialen Bereich aktiv werden. Die Reisekundschaft bekommt aber zum einzelnen Angebot zu wenige Informationen. Man muss nachfragen und das ist natürlich mühsam. Da muss in der Kommunikation der Reiseveranstalter wirklich nachgebessert werden.

Genau deshalb machen wir auf dem Reiseportal "fairunterwegs.org" die langfristig angelegte Konsumkampagne "Augen auf beim Ferienkauf", um den Leuten aufzuzeigen, dass es gar nicht so kompliziert ist. Wir zeigen, welche Reiseveranstalter in der Schweiz am besten über Nachhaltigkeit informieren. Wir haben gemeinsam mit Tourism Watch, Ecotrans u.a. einen Labelführer* veröffentlicht, der Reisende informiert, was Labels glaubwürdig und empfehlenswert macht. Wir haben fünf generelle Kriterien zum Buchen** zusammengestellt. Und jetzt haben wir angefangen, für verschiedene Themen (Abfall, Klima, Kinderschutz, Begegnungen im Gastland, etc.) ganz konkreteTipps*** auszuarbeiten, z.B. zum Thema Abfall dem Reiseanbieter die Frage zu stellen, ob sich das Hotel gerade auf kleinen Inseln wie den Malediven daran beteiligt, dass Abfälle recycelt oder gesammelt und wegtransportiert werden. Denn auf den Malediven ist das Abfallproblem sonst schierunlösbar. Es sind einfache, konkrete Handlungsanleitungen, die man der Kundschaft mitgeben muss, und das versuchen wir auf "fairunterwegs". Dazu gibt es Hintergrundinfos und gute Beispiele, die zeigen, dass es machbar ist, dass es keine unheimlich große Anforderung ist, nachhaltig zu reisen.

TW: Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich aus den Veränderungen im Reise- und Medienkonsumverhalten für die entwicklungspolitische Sensibilisierungsarbeit im Tourismus?

Es ergeben sich wirklich große Chancen durch dieses zunehmende Interesse am verantwortlichen Reisen, aber auch große Herausforderungen. Heute wird ja ganz anders kommuniziert, interaktiv über Internet und insbesondere die sozialen Medien. Wir müssen auch auf "fairunterwegs.org", das jetzt sieben Jahre online ist, unser Konzept neu gestalten. Informationen müssen kurz und griffig sein, aber es muss auch solider Hintergrund bereitgestellt werden. Je weniger die Tageszeitungen Hintergrundberichte aus südlichen Ländern bringen, desto mehr werden Online-Portale genutzt, die eben auch Background bringen. Wir sehen aus unseren Statistiken, dass gute, kritische Hintergrundinformation sehr gerne gelesen wird. Zum Einsteigen, insbesondere in den sozialen Medien, braucht es Häppchen, interaktive, multimediale Aufbereitung, damit die Leute dabeibleiben. Es muss sehr viel illustriert werden. Das macht unsere Arbeit sehr spannend. Es ist fast wie ein neuer Job, gegenüber noch vor zehn Jahren.

Weitere Informationen: www.fairunterwegs.org

* Labelführer: www.fairunterwegs.org/fair-tipps/zur-wahl-von-angeboten/labelfuehrer.ht…

** Die 5 fairunterwegs-Kriterien:     www.fairunterwegs.org/fair-tipps/zur-wahl-von-angeboten/die-5-fairunter…

*** Aktiv werden:      www.fairunterwegs.org/aktuell/aktionen/augen-auf-beim-ferienkauf/aktiv-…