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Kreuzfahrer im Aufwind

Gewinnmaximierung durch Privatinseln


Kaum ein Tourismuszweig verzeichnet so hohe Zuwächse wie die Kreuzfahrtbranche. Die jährlichen Zuwachsraten der Kreuzfahrtpassagiere liegen seit 1990 bei durchschnittlich sieben Prozent. Zwischen 2011 und 2016 wird vom Verband der Kreuzfahrtindustrie (Cruise Lines International Association – CLIA) sogar ein Wachstum von 29 Prozent erwartet. Mit den Passagierzahlen wächst auch die Größe der Schiffe.

Allein 17 der bis zum Jahr 2016 neu in Fahrt kommenden Schiffe werden mehr als 100.000 Tonnen groß sein. Vierzehn dieser schwimmenden Urlaubsorte werden sogar größer als 125.000 Tonnen sein und mehr als 4.000 Passagiere aufnehmen können.

Sind diese neuen Riesenschiffe ein Geschenk des Himmels für darbende Hafenstädte und gebeutelte Volkswirtschaften in den Ländern des Südens? Im Norden zumindest könnte man dies meinen, schaut man sich den Ausbau immer neuer Kreuzfahrtterminals an Nord- und Ostsee sowie im Mittelmeer an. Hamburg baut zurzeit seinen dritten Kreuzfahrtterminal. Auch in Kiel wurden erst jüngst die Umschlagkapazitäten des Kreuzfahrthafens deutlich erweitert und Warnemünde entwickelt sich zum Eldorado der Ostsee-Kreuzfahrer. Überall nimmt die Zahl der Kreuzfahrtpassagiere massiv zu und Hamburgs Tourismusmacher sind hellauf begeistert von jährlich zehntausenden neuen Besuchern.

Größere Schiffe, neue Häfen

Doch profitieren auch in den Ländern des Südens die Besuchten vom Ansturm der Kreuzfahrer? Weltweit sind derzeit 310 Kreuzfahrtschiffe unterwegs, die Häfen suchen, in denen sie ihren Passagieren etwas Interessantes bieten können. Rund 43 Prozent dieser Schiffe sind nicht weit vom bedeutendsten Kreuzfahrtmarkt, den USA, in der Karibik unterwegs. Angesichts der enormen Größe der neuen Mega-Schiffe entstehen dort immer neue Häfen.

Jedes neue Schiff läuft durchschnittlich neben seinem Basishafen vier weitere Häfen pro Woche an. Bei 23 neu bestellten oder jüngst ausgelieferten Schiffen bedeutet dies 6.000 Hafenanläufe im Jahr. Der Kreuzfahrtbranche bereitet dies großes Kopfzerbrechen, da die meisten Häfen gar keine Kapazitäten haben, um die neuen Mega-Schiffe abzufertigen. Händeringend sucht man nach Abhilfe.

So wurde auf der Insel Jamaika, einem traditionellen Zentrum des Kreuzfahrttourismus, im Frühjahr 2011 der neue Hafen Falmouth eröffnet. Der Hafen rechnete im Jahr 2013 bereits mit 680.000 Passagieren. Abseits der bislang bedeutendsten Häfen Jamaikas, Ocho Rios und Montego Bay, wurde eine ganz neue Anlage in der nur 30 Kilometer von Montego Bay entfernten, 7.400 Einwohner zählenden Stadt Falmouth gebaut.

Kreuzfahrtmanager sind begeistert, denn dort gibt es bislang nicht nur weniger Kriminalität als in Montego Bay, Ocho Rios und der Millionenstadt Kingston, sondern auch einen sehenswerten historischen Stadtkern. Der ehemalige Fischerort Ocho Rios ist seit den 1970er Jahren zur Kreuzfahrtmetropole ausgebaut worden und zählt heute 16.500 Einwohner. Doch inzwischen gilt auch Ocho Rios als überlaufen und vom Kreuzfahrtboom überfordert. Nun ist Falmouth der „neue Stern am Kreuzfahrthimmel“.

Doch viele Urlauber werden ihn gar nicht bewundern, da sie gleich nach ihrer Ankunft am Flughafen in Jamaika zum Schiff gebracht werden, dessen Abfertigungsgebäude in einem abgeschlossenen neuen Areal jenseits der Stadt liegt. Der Terminal wurde für die zeitgleiche Abfertigung von zwei Mega-Schiffen entworfen. Direkt daneben gibt es Einkaufpassagen und Vergnügungseinrichtungen für die Landgänger, so dass viele nicht den Weg in die Stadt auf sich nehmen werden.

Fraglicher Nutzen für arme Länder

Auch das bitterarme Haiti setzt auf den Kreuzfahrtboom. Im August 2014 unterzeichneten die Regierung Haitis und der Tourismuskonzern Carnival, der größte Kreuzfahrtreeder der Welt, eine Vereinbarung zum Bau eines 70 Millionen US-Dollar teuren Kreuzfahrthafens auf der Insel Tortuga. Dort sollen 900 Arbeitsplätze geschaffen werden. Haitis Premierminister Laurent Lamothe zeigte sich begeistert über das Großprojekt und verspricht sich davon bedeutende wirtschaftliche Impulse für sein Land.

Kritiker in Haiti befürchten, die Arbeitsplätze würden zumeist Ausländern zufallen. Auch seien mit den erforderlichen Ausbaggerungen einer neuen Fahrrinne die ökologischen Folgen des Hafenprojekts unvorhersehbar. Haiti ist mit einem Durchschnittseinkommen von nur 780 US-Dollar im Jahr das ärmste Land des amerikanischen Kontinents. Drei Viertel der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Doch ob Carnivals Großinvestition daran etwas ändern wird, ist fraglich. Denn dem zuletzt aufgrund eines heftigen Preiswettbewerbs angeschlagenen Konzern geht es mit dem neuen Hafen vor allem um Profitmaximierung.

Die lobenden Worte des Premierministers lassen vergessen, dass sich viele karibische Inselstaaten über Jahre einen erbitterten Kampf mit den Reedereien über die Hafengebühren lieferten. Denn viele Inselbehörden haben in den letzten Jahren massiv die Liegegebühren für die immer größer werdenden Schiffe erhöht, um auch vom Kreuzfahrtboom zu profitieren. Die Reedereien protestierten heftig und verwiesen darauf, dass die Kreuzfahrtindustrie bis zu zwei Milliarden US-Dollar jährlich zur Wirtschaftsleistung der Inselstaaten beitrage. So besuchten im Jahr 2002 rund 2,8 Millionen Kreuzfahrer die Bahamas, im Jahr 2012 waren es bereits 4,4 Millionen.

Doch ob diese Urlauber tatsächlich so sehr die lokale Wirtschaft voranbringen, wie die Industrie glaubhaft machen will, ist umstritten. Denn die Zahlen beruhen auf Schätzungen. Sie gehen davon aus, dass jeder Passagier pro Tag rund 100 US-Dollar im Hafen ausgibt. Kritiker halten das für unrealistisch und überzogen. Denn auf den Bahamas wurde zum Beispiel festgestellt, dass nur 20 Prozent der Passagiere tatsächlich einen Landgang machen. Der Rest bleibt mangels interessanter Ausflugsziele an Bord oder aus Angst, Opfer von Überfällen oder Diebstählen zu werden. Und auch diejenigen, die von Bord gehen, geben nach jüngsten Statistiken immer weniger Geld aus. Waren es 2009 noch durchschnittlich 84 US-Dollar pro Tag, so wurden 2012 nur noch 64 US-Dollar ausgegeben.

Der Trend zur Privatinsel

Die Reedereien griffen angesichts des Streits zur Selbsthilfe. Alle großen Kreuzfahrtanbieter legten sich Privatinseln mit eigenen Abfertigungsterminals zu. Die Inseln wurden für Jahrzehnte gepachtet oder gekauft und dann systematisch nach den Bedürfnissen der Reedereien umgestaltet.

So pachtete Royal Caribbean International vier Quadratkilometer auf der Insel Labadee von Haiti bis zum Jahr 2050. Costa Kreuzfahrten legte sich Serena Cay in der Dominikanischen Republik zu und Holland America Line sicherte sich Half Moon Cay auf den Bahamas. Bei vielen Kreuzfahrtgästen aus den USA sind die Privatinseln beliebt, bieten sie doch ein breites Spektrum von Freizeitaktivitäten auf kleinem Raum sowie ein Bummeln in vermeintlich traditionellen Geschäften und Märkten ohne Angst vor Überfällen und Kriminalität.

Die Investition rechnet sich vor allem für die Reedereien. Denn sie schaffen es, durch das Angebot vieler kostenpflichtiger Freizeitaktivitäten und einer lückenlosen „Betreuung“ der Gäste in einer karibischen Traumwelt noch mehr Gewinn abzuschöpfen. Denn alle Geschäfte und Dienstleistungen auf den Privatinseln werden von ihnen kontrolliert. Der große Verlierer ist das bereiste Gastland, dessen Bewohner von den Urlaubern bewusst ferngehalten werden und das allenfalls als Theaterbühne dient.

Ulrich Delius ist Asienreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker und verfolgt seit langer Zeit aufmerksam die Entwicklung der Kreuzfahrtbranche.

(7.382 Zeichen, September 2014, TW 76)