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Kerzenlicht und Handydisplays

Kambodscha-Tourismus zwischen Angkor Wat und Dorfentwicklung


Tourismus in Kambodscha hat viele Facetten. Einige davon dienen dem Wohl der Bevölkerung, andere wohl eher nicht. Da gibt es eine "Shooting Range" in Phnom Penh, auf der Schießwütige mit automatischen Waffen herumballern und sogar eine Panzerfaust abfeuern können – und das in einem Land, in dem viele Menschen nach wie vor unter den Auswirkungen eines langen Bürgerkrieges leiden. Derselbe Tuktuk-Fahrer, der eben noch den Schießstand angepriesen hat, fährt den Fahrgast auch in ein Kinderheim. Touristinnen und Touristen wird hier die Möglichkeit gegeben, eines der Kinder zu betreuen. Dabei wird auch die Möglichkeit einer Adoption angesprochen.

Einige hundert Kilometer nördlich besuchen die Bildungshungrigen die weltberühmten Tempel von Angkor Wat. Die nahegelegene Stadt Siem Riep mit ihrem internationalen Flughafen lebt vom Tourismus. An der Hauptstraße reiht sich Hotel an Hotel, Massagesalons und Souvenirläden sind überall zu finden und auf dem Nachtmarkt können Urlauber sich mit allem eindecken, was ihr Herz begehrt.

In und um Angkor Wat ist alles auf Massentourismus ausgerichtet. Kein Wunder, dass die Touristenzahlen in Kambodscha in die Höhe schnellen. Waren es im Jahre 2001 noch etwa 600.000 Reisende, die ins Land kamen, verzeichnete das Land zehn Jahre später schon mehr als 2,8 Millionen Besucher, etwa 63.000 davon Deutsche. Im selben Zeitraum sind die Einnahmen durch Tourismus von etwa 300 Millionen auf 1,9 Milliarden US-Dollar gestiegen. Die meisten Touristen und Geschäftsreisenden kommen aus dem Nachbarland Vietnam, an zweiter und dritter Stelle folgen Koreaner und Chinesen. Wie wichtig der Tourismus geworden ist, zeigt sich im Flugverkehr. Der internationale Flughafen von Siem Riep ist stärker frequentiert als der Flughafen der Hauptstadt Phnom Penh.

Ländlicher Tourismus in Chambok

Eine ganz andere Art von Tourismus findet man etwas mehr als zwei Autostunden südwestlich, etwa 88 km von der Hauptstadt entfernt. Dort führt eine kleine Straße zum Kirikom-Nationalpark. Nach weiteren 20 km, größtenteils auf Staubstraße, erreicht man das Dorf Chambok. Hier haben die Dorfbewohnerinnen und -bewohner einen von ihnen selbst gestalteten Tourismus entwickelt.

Für die Besucher gibt es einfache, saubere Zimmer mit Matratze, inklusive Moskitonetz. Die Fenster bleiben so lange geschlossen, bis man ins Bett geht. Dann werden sie weit geöffnet, damit der Wind abseits aller Klimaanlagen ein wenig Kühlung bringt. Eine Energiesparlampe, betrieben von einer kleinen Solaranlage auf dem Dach, bringt etwas Licht, damit die Gäste abends noch ein wenig lesen können. Für den Gang ins "Badezimmer" muss man über den Hof. Dafür empfiehlt sich eine Taschenlampe. Frisches Wasser zur morgendlichen und abendlichen Wäsche gibt es dort auch. In Chambok gehen die Menschen früh zu Bett. Dafür sind die Bäuerinnen und Bauern schon vor sechs Uhr auf den Beinen und kümmern sich um das Vieh.

Alternativen zum Raubbau im Regenwald

Albert Weinmann, Fachkraft des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED), arbeitet seit vielen Jahren in Kambodscha mit verschiedenen kleinen Organisationen zusammen, vor allem in ländlichen Regionen. "Wenn Bauern nicht überleben können, überlebt auch die Umwelt nicht", sagt der Deutsche, der mit seiner Familie in Phnom Penh lebt und die Menschen in Chambok berät. "Doch wenn die Menschen mit ihren eigenen landwirtschaftlichen Produkten ein Einkommen erzielen, gibt es auch weniger Abholzung im Regenwald des Kirikom-Nationalparks". Bisher wird in der Region immer noch viel Holzkohle verkauft, die aus unkontrollierten Einschlägen im Regenwald stammt. Den Bauern in Chambok machte der deutsche Experte klar, dass der Tourismus trotz allem nur einen kleinen Teil ihres Einkommens ausmachen dürfe, damit sie von den Besuchern nicht finanziell abhängig würden.

Solarstrom macht's möglich

In Chambok ist die Neuzeit eingekehrt. Während man abends noch hauptsächlich bei Kerzenlicht zusammen sitzt, steht am Ortsausgang unübersehbar ein solarbetriebener Mobilfunkmast. So mischt sich allmählich zum Kerzenlicht der Schein von Handydisplays. Weinmann findet diese Entwicklung gut: "Nur so können die Bäuerinnen und Bauern zum Beispiel Preise für Produkte abfragen oder sind für die Reiseunternehmen erreichbar, wenn sich eine Touristengruppe verspätet." Mit kleinen, einkommensschaffenden Maßnahmen überleben die Familien. "Die Schweine- oder Hühnerzucht gehört dazu", so der 34-jährige Nut Caam, der stolz durch das Dorf führt. Caam ist einer der beiden "Scouts" von Chambok.

Von 2002 bis 2009 wurde die Dorfbevölkerung von der kambodschanischen Organisation "Mlup Baitong" beraten, bei der Albert Weinmann angestellt ist. Seit 2010 betreibt die Gemeinschaft ihr Tourismusprojekt völlig selbstständig. Neun Dörfer mit 761 Familien leben davon. In 37 Häusern können die Urlauber übernachten. Dabei wird ein Rotationssystem angewendet, damit alle Beteiligten etwas von den Einnahmen haben. Bekocht werden die Urlauberinnen und Urlauber von der Frauengruppe in Chambok. 320 Frauen kochen reihum. Die Preise sind gestaffelt. Ausländische Touristinnen und Touristen zahlen zunächst als eine Art "Eintrittsgeld" drei US-Dollar pro Tag, Einheimische etwa 0,15 bis 0,20 US-Dollar. Die Übernachtung kostet ebenfalls drei US-Dollar. Davon bleiben den Hausbesitzern 2,50 US-Dollar und der Rest fließt in eine Gemeinschaftskasse. Damit werden mittellose Dorfbewohnerinnen und -bewohner mit dem Nötigsten versorgt.

Pläne für die Zukunft

Im Jahr 2010 wurden 11.000 einheimische Besucherinnen und Besucher begrüßt, die meist an Wochenenden kamen. Außerdem fanden 770 ausländische Urlauber, hauptsächlich aus Australien, ihren Weg nach Chambok. 24.000 US-Dollar konnten auf diese Weise eingenommen werden. Die Touristinnen und Touristen unterstützen mit ihrem Besuch, dass die Landschaft erhalten bleibt und Arbeitsplätze geschaffen werden. Als Zusatzverdienst verkaufen die Einheimischen Kunsthandwerk und Früchte aus dem Regenwald. Jeden Montag sind Dorfbewohnerinnen und -bewohner unterwegs, um den Pfad zu reinigen, der zu einer der nahegelegenen Attraktionen führt: drei Wasserfälle, der größte über 40 Meter hoch.

Die Menschen in Chambok haben Pläne für die Zukunft, um den Besuch für Gäste noch attraktiver zu machen: "Wir möchten einen Turm errichten, damit die Besucher Vögel beobachten können, und wir planen einen Radweg zu einem wunderschönen Platz, an dem man den Sonnenuntergang genießen kann", so Nut Caam zum Abschluss seiner Führung.

Allerdings werden Ökotourismus-Projekte wie in Chambok, die von den Dorfbewohnern selbst gestaltet werden, in Kambodscha wohl die Ausnahme von der Regel bleiben. Die gewaltigen Touristenströme von Angkor Wat werden weiterhin eher in die neu entstehenden Luxushotels an die Strände geleitet.

Jürgen Hammelehle ist Leiter des Referats Öffentlichkeitsarbeit beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED).

(6.866 Zeichen, 94 Zeilen, September 2012)